Kapitel 11
Ein leises Klopfen weckte Gweneth und verwirrt blinzelte sie den Schlaf aus ihren Augen.
„Herein!“
Rief sie noch verschlafen und eine Frau streckte den Kopf herein.
„Verzeiht, aber uns wurde angeordnet ein Bad für Euch herzurichten, Herrin.“
´Bad?´
„Wer hat Euch das befehligt?“
Fragte sie, doch die schon etwas ältere Frau trat ein mit zwei weiteren Frauen, die alle Eimer mit heißem Wasser trugen. Bevor die Frau antwortete, gossen sie auch schon das Wasser in den Zuber.
„Es war Herr Gamling, Herrin.“
„Nennt mich bitte, Gweneth… eine Herrin bin ich nicht.“
Meinte sie immer noch müde und schlug die Decke zurück.
´Eigentlich hab ich mich schon an dieses “Herrin“ gewöhnt, doch ab und an geht mir das ganz schon gegen den Strich!´
Als sie sich jedoch aufsetzte, spürte sie ihren Muskelkater und ließ sie leise stöhnen.
´Blödes Training…. Ich hätte lieber faulenzen sollen… davon bekommt man wenigstens keinen Muskelkater!´
„Verzeiht, dass ich Euch wiedersprechen muss, aber für uns seid ihr eine Herrin. Ihr habt den Männern und uns Mut gemacht.“
„Ich hab doch nur etwas die Feste verstärkt.“
„Doch das genau hat uns die Sicherheit und Zuversicht geschenkt, die wir so dringend brauchten.“
Ein zweites Mal kamen die Frauen herein und füllten den Zuber.
„Es freut mich, dass ich Euch helfen konnte. Aber das ist nicht nötig.“
Und zeigte auf den, inzwischen fast vollen Zuber.
„Wasser wurde rationiert und die Seife ebenfalls.“
„Für Euch tun wir dies gerne.“
Sagten nun auch die beiden anderen Frauen, verbeugten sich schnell und verließen ihr Gemach.
„Erfrischt Euch, Herrin… es könnte das letzte Mal sein.“
Fügte sie traurig lächelnd hinzu und bevor Gweneth etwas erwidern konnte, war sie auch schon draußen. Die Tür schnappte gerade ins Schloss, als Gweneth langsam und mit steifen Gliedmaßen zum großen Zuber ging.
´Naja, ich will mal nicht so sein.´
Sie entkleidete sich und stieg ungelenk ins warme Wasser. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und sie entspannte sich langsam. Vorsichtig knetete sie ihre Arme und Beine, damit der Muskelkater verschwinden würde. Nach wenigen Minuten half es auch schon und sie konnte die Arme schon fast schmerzfrei heben.
Während sie weiterhin ihre Muskeln massierte, glitten unweigerlich ihre Gedanken zu Erkenbrand, verbannte diese jedoch gleich wieder. Sie hatte keine Lust darüber nachzudenken, was ihm alles zustoßen könnte. Immerhin konnte sie jetzt eh nichts mehr für ihn tun.
Nachdem sie ausgiebig gebadet und sich abgetrocknet hatte, schlüpfte sie in ihr schokoladenfarbenes, einfaches Kleid, legte sich den Pelzumhang um und kämmte ihre Haare. Als sie diese gebändigt und zu einem Zopf gebunden hatte, verließ sie ihr Gemach und gelangte wenig später in die Halle.
Dort schnappte sie sich ein trockenes Stück Brot und würgte dies mit dem Wasser-Wein-Gemisch hinunter.
´Boah, ich glaub an dieses Gesöff werd ich mich nie gewöhnen.´
Langsam ließ sie ihren Blick durch die Halle gleiten und setzte sich dann langsam auf eine Bank, abseits der Männer. Sie bemerkte die seltsamen Blicke, welche die Krieger ihr zuwarfen. Immer wenn sie die Blicke erwiderte, wendeten sie sich wie ertappt ab und sahen zu Boden. Irritiert zog sie ihre Augenbrauen hoch und ein mulmiges Gefühl beschlich sie.
Es war eigentlich nichts Besonderes, dass sie angesehen würde. Denn allein ihre Erscheinung war besonders und dazu kam dann noch ihre hohe Stellung als Frau, was gänzlich absonderlich war. Dennoch waren diese Blicke ganz anders.
Die Flügeltür öffnete sich plötzlich mit einem lauten knirschen und Gamling trat in die Halle ein. Sein Gesicht war ernst und unbewegt. Überrascht hielt Gweneth beim Kauen inne und würgte den letzten Bissen hinunter.
Gamling trat näher an sie heran und in seinen Augen konnte sie Schmerz und Sorge erkennen. Er ließ sich neben ihr nieder und strich sich durch die schon ergrauten Haare.
„Was ist passiert?“
Flüsterte sie und eine kalte Angst kroch ihr den Rücken hoch und legte sich um ihr Herz.
Er sah ihr lang in die Augen und fing dann leise an zu sprechen.
„Wir erhielten Botschaft, dass Erkenbrands Gruppe am Isen geschlagen worden ist. Niemand weiß ob er überlebt hat.“
Ihr Brot fiel ihr aus der Hand und mit weit aufgerissenen Augen sah sie Gamling an, hoffend, dass dies nur ein schlechter Scherz war. Doch er schwieg.
Ihre Hände fingen an zu zittern und sie sackte in sich zusammen. Tränen rannten über ihr Gesicht und Gamling schloss sie sanft in seine Arme. Doch sie nahm ihn nur am Rande wahr. Ihr Herz schien wie ausgequetscht und sie musste sich zusammenreißen, damit sie nicht hyperventilierte. Ein leises Wimmern entfuhr ihr und sie hatte das Gefühl, als würde die Welt zusammenbrechen. Erkenbrand war ihr Anker gewesen, ihr Fels in der Brandung, ihr Bruder, den sie nach so vielen langen Jahren hier gefunden hatte.
„Er wird überlebt haben. Dessen bin ich mir sicher! Er ist ein starker Krieger und du weißt das!“
Seine Worte drangen zu ihr hindurch und leicht abwesend nickte sie. Sie war schon immer einer Meisterin gewesen, wenn sie ihre Gefühle verdrängen musste.
„Du… du hast bestimmt recht.“
Krächzte sie leise und wischte sie die Tränen aus dem Gesicht.
„Wir dürfen ihn nicht aufgeben! Solange mir niemand seine Leiche bringt, halte ich daran fest!“
Sagte sie nun mit fester Stimme und hielt sich an diesem mageren Strohhalm der Hoffnung fest.
´Er lebt! Er muss einfach leben! Er würde mich nicht alleine lassen! Immerhin hat er es versprochen.´
„Gweneth…“
Flüsterte Gamling und er hob ihren Kopf mit seiner Hand an ihrem Kinn an und fixierte sie fest.
„Die Krieger brauchen jemanden, der ihnen Zuversicht gib, dass er nicht von uns gegangen ist. Sei stark für sie… sie wissen, wie nah ihr Euch standet. Sie sehen zu dir auf.“
„Aber, kann ich das denn? Stark sein für andere?“
„JA, du kannst! Du beweist mehr Stärke als so manch Krieger der Mark!“
Sie nickte und richtete sich wieder auf.
´Ja, ich muss stark sein! Vor der Schlacht darf ich mir so was nicht erlauben! Nicht vor den anderen zu mindestens.´
Nun lächelte auch wieder und Gamling lehnte sich etwas zurück. Kurz ließ sie ihren Blick durch die Halle schweifen und merkte, dass sie von allen verstohlen gemustert wurde. Sie schenkte ihnen ein kleines Lächeln und hoffte, es würde besser aussehen, als sie sich fühlte.
Gweneth knetete ihre noch zittrigen Hände und überlegte, was sie nun tun sollte.
´Ich brauch irgendeine Ablenkung! Sonst dreh ich noch durch!´
Sie hatte immer noch etwas Muskelkater vom gestrigen Schwertkampf und würde eine weitere Runde gewiss nicht überleben. Dann stand sie auf, holte ihre Zeichensachen, ging eilig zum ersten Ring und setzte sich auf ihren Stammplatz auf der Brustwehr.
Ein frischer Wind wehte und sie zog sich ihren Umhang fest um die Schultern.
Sie konnte sich daran erinnern, wie Erkenbrand ihn ihr geschenkt hatte und wie dankbar ihm sie war. Weitere Erinnerungen stiegen in ihr empor und schnürten ihr die Kehle zu.
´Nein! Ich darf nicht an ihn denken! Gamling hatte recht gehabt! Ich darf keinen weiteren Gedanken mehr an ihn verschwenden, sonst schaff ich es nicht. Zum Glück lenkt mich zeichnen immer etwas ab.´
Sie schlug ihr Buch auf, zückte einen Kohlestift und sie begann das Tal erneut zu zeichnen. Während sie still auf der Brustwehr saß, wanderte die Sonne über das Firmament und es wurde später Nachmittag, bis sie unterbrochen wurde.
„Ist dir nicht kalt?“
Tönte hinter ihr eine bekannte Stimme und erstaunt hob sie den Kopf und drehte sich leicht um. Hinter ihr stand Eothin der sie lächelnd ansah.
„Es geht.“
Murmelte sie und merkte, dass sie leicht fröstelte.
„Hier, ich hab was für dich.“
Er hielt ihr eine dampfende Schüssel voller Suppe hin. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und mit einem danke schön, nahm sie die Suppe vorsichtig in die Hand. Schnell legte sie ihre Zeichensachen neben sich und löffelte langsam die Suppe. Ein Geräusch neben ihr ließ sie Aufsehen und sie bemerkte, wie er nun neben ihr saß.
Er beugte sie vorsichtig nach vorne und sah in den Burggraben hinab.
„Hast du keine Angst hier runter zu fallen?“
„Nein… ich muss halt aufpassen, aber bist jetzt ist noch nichts passiert.“
Er runzelte die Stirn und lehnte sich wieder zurück. Still saßen beide nebeneinander, während Gweneth die Suppe schnell auslöffelte. Nachdem sie die Suppe ganz aufgegessen hatte, gab sie ihm Eothin zurück und er lächelte sie leicht an.
„Besser?“
„Oh ja! Viel besser! Danke noch mal.“
„Keine Ursache.“
Er stellte die Schüssel neben sich hin und sah ins Tal hinab.
„Ich nehme an, du hast das von Erkenbrand gehört.“
Murmelte er leise und warf ihr kurz einen Seitenblick zu.
Sie zeigte keine Gesichtsregung, dennoch spürte sie einen kurzen, heftigen Schmerz.
„Ja, das habe ich. Dennoch denke ich, dass er es geschafft hat.“
Sie sah es zwar nicht, aber er runzelte zweifelnd die Stirn und sah weiter stur ins Tal.
„Ich hätte gern deine Zuversicht.“
Nun lächelte sie und sah ihn an.
„Für mich darf es keinen anderen Gedanken geben, denn dann wär ich vollkommen fertig und würde die Schlacht bestimmt nicht überleben.“
„Dann kämpfst du mit?“
„Wieso nicht, immerhin kann ich kämpfen. Wieso sollte ich es dann nicht tun?“
Eothin schwieg, doch sie wusste auch so was in seinem Kopf rumspukte, auch wenn er zu viel Angst hätte es auszusprechen. Sie war eine Frau und sollte eigentlich mit allen anderen in die Höhlen gehen.
„Es würde uns alle bestürzen, wenn du nicht mehr wärest.“
„Und ihr meint nicht, dass es mir genauso weh tun würde wenn einer meiner geliebten Menschen stirbt?“
Daraufhin schwieg er und sah sie nicht mehr an. Kurz musste sie schmunzeln und wartete nur darauf, dass er sagte, was er wirklich dachte. Doch dann runzelte er plötzlich die Stirn und beschattete seine Augen. Verwirrt sah sie nun auch zum Anfang des Tals und tat es ihm gleich.
„Etwas regt sich.“
Murmelte er leise, sprang von der Brustwehr, landete sanft auf dem Wall und sprintete davon. Gweneth vermutete, dass er Gamling holen wollte. Sie sprang nun ebenfalls von der Brustwehr, eilte in ihr Gemach und verstaute dort ihre Zeichensachen. Dann rannte sie wieder durch die Gassen auf den Wall und kletterte auf die Brustwehr. Wenige Sekunden später standen Eothin und Gamling hinter ihr und alle drei sahen in die Ferne.
´Ein Fernglas wäre nun wirklich nicht schlecht.´
Dachte sich Gweneth und strengten ihre Augen an.
Weit in der Ferne schien sich eine Schlange von Gestallten über die felsigen Hügel zu schieben, die immer länger wurde und nicht abzubrechen schien. Es wurden immer mehr und ein nervöses Gefühl beschlich sie.
„Es sind Menschen!“
Rief Gamling plötzlich und drehte sich abrupt um.
„Lasst die Brücke herunter und öffnet die Tore!“
Gleich darauf hörte man das Rattern der schweren Eisenketten und das Knirschen der Tore. Jetzt erkannte auch Gweneth die Menschen, die eilends auf sie zuliefen. Zu allen Verwunderungen war nur wenig Mannen bei ihnen um sie zu beschützen.
Manche zogen Karren auf denen Essen und ältere Menschen lagen. Manche stützten die Älteren und manche trieben ihre Tiere eilig vor sich her. Alle hatten einen panischen Gesichtsausdruck und sie schienen schon am Ende ihrer Kräfte zu sein.
„Etwas stimmt hier nicht.“
Murmelte Gamling und Gweneth konnte ihm nur zustimmen.
Immer näher kamen die Menschen und an der Spitze konnte Gweneth schließlich eine Frau ausmachen, die offensichtlich die Menschen leitete. Ihre blonden Haare schimmerten golden im getrübten Licht der Sonne.