Kapitel 16
Sein Gesicht war bleich und besaß dennoch diese makellose Schönehit, die sie so sehr faszinierte. Das Haar war golden und kunstvoll zusammen geflochten. Doch da erst erkannte sie ihn wieder. Es war der Elb gewesen, der als Anführer die Elben in die Feste brachte und solch huldvolle Worte sprach. Er war der Hoffnungsbinger aus Bruchtal gewesen mit dem Namen Haldir.
Schnell besann sie sich wieder und nahm sich dann ein Messer. Ruckartig zerschnitt sie sein Hemd, legte seinen Oberkörper frei und bewunderte im Stillen seinen muskulösen Körper, den alle zu haben schien. Als Erstes wusch sie die Wunden und verschloss die größte mit den Metallringen. Eine der jungen Heilerinnen half ihr und zusammen verbanden sie die Bauchwunde. Dann kontrollierte sie seinen Puls am Hals und spürte ihn schwach. Erleichtert stand sie auf und wollte gerade gehen, als die Heilerin hinter ihr leise keuchte.
„Er atmet nicht mehr!“
Rief sie erschüttert und hielt eine kühle Schneide vor seinem Mund, die sich nun nicht mehr beschlug. Schnell ließ sich Gweneth neben ihn fallen und fühlte seinen Puls der nun nicht mehr war.
Eine eisige Hand griff um ihr Herz und schnürte ihr die Kehle zu.
´Aber es ging ihm doch gerade noch gut!´
Schnell nahm sie seinen Kopf und legte ihn weit in den Nacken, dass seine Luftröhre frei war. Dann ballte sie ihre rechte Hand zur Faust, legte sie auf das Brustbein und legte ihre andere Hand darüber. Sie wusste nicht mehr genau, wie oft sie drücken musste, doch sie überließ es ihrem Instinkt. Geschätzte zwanzig Mal drückte sie kräftig auf die Brust des Mannes und spürte, wie plötzlich eine Rippe mit einem hässlichen Geräusch brach. Doch sie wusste, dass diese fast jedes Mal geschah. Danach hielt sie seine Nase zu und blies ein paar Mal kräftig in seinen Mund hinein.
„Herrin! Was tut ihr da!“
Rief die Heilerin geschockt und besah sie das Schauspiel.
„Ich versuch ihn wieder zu beleben!“
Keuchte Gweneth und bearbeitete weiterhin seine Brust, die sie fast bis auf die Wirbelsäule durchdrückte. Immer wieder versuchte sie dazwischen seinen Puls zu fühlen, doch da war keiner.
´Scheiße! Stirb mir nicht weg! Bleib hier! Verdammt leb!´
„Atme, verdammt noch Mal! Atme!“
Schrie sie nun halber und drückte nur noch fester. Doch sein Herz arbeitete nicht wieder. Tränen standen ihr in den Augen und alles schien sie überrollen zu wollen, was sie die ganze Zeit weit in sich geschoben hatte.
„Lebe verdammt!“
Wimmerte sie nun und Tränen tropften auf sein bleiches Gesicht. Ein letztes Mal presste sie und legte dann ihr Ohr gegen sein Herz. Ihr eigenes Blut rauschte in ihren Ohren und konnte seinen Herzschlag nicht hören, selbst wenn er einen gehabt hätte. Schnell nahm sie einen kurzen Dolch und hielt ihn gegen die Nase und Mund und wartete angstvoll. Die Sekunden schienen endlos zu verstreichen, bis plötzlich die Klinge beschlug.
„Er lebt!“
Keuchte die Heilerin und besah Gweneth mit großen Augen.
„Ihr habt ihn gerettet!“
Doch Gweneth konnte nichts erwidern. Zu sehr war sie erleichtert und damit drängte sie ihre Erlebnisse wieder zurück in ihr Inneres. Doch lang sollte die Erleichterung nicht anheben.
Mühselig rappelte sie sich auf und trank einen Schluck Wasser aus einem Krug. Schweiß wischte sie sich vom Gesicht und warf einen kurzen Blick in ihr Spiegelbild im Wasser. Sie sah nicht besonders gut aus. Ihr Gesicht war mit Dreck und Blut anderer verschmiert. Wirr standen ihre Haare ab und Augenringen zierte ihr Gesicht. Über ihrer rechten Augenbraue war die Platzwunde, die sie durch den Sturz erhalten hatte. Jedoch blutete sie nicht mehr.
Schnell wand sie sich ab und biss in ein Stück Brot, das ihr eine Heilerin gegeben hatte. Es schmeckte nach nichts oder sie konnte einfach momentan nichts schmecken. Sie wusste es nicht.
„Rückzug!“
Die drei Jungs rannten herein, mit angstgeweiteten Augen.
„Was ist passiert!“
Gweneth ließ ihr Stück Brot fallen und rannte auf die drei zu. Die andern Heilerinnen waren ebenfalls aufgestanden. Die drei keuchten vor Anstrengung und der größte von ihnen antwortete.
„Sie haben den ersten Ring eingenommen und das Tor zum Zweiten bricht gleich! Sie werden bald hier sein!“
Schrecken befiel alle in der Halle und mit einem Entsetzen ihr ihren Gesichtern sahen sie zu den geöffneten Flügeltüren. Kälte kroch in Gweneth und ließ sie erzittern.
„Was tun wir jetzt?“
Fragte eine der jungen Heilerinnen ängstlich und sah alle fragend an, doch keiner antwortete. Ihr Blick blieb bei Gweneth hängen und Gweneth sah in ihren Augen die Verzweiflung, die vermutlich auch in ihren stand. Ein weiteres Mal verdrängte sie ihre Angst und versuchte für alle anderen stark zu sein.
„Öffnet die Türen zu den Grotten. Wie bringen alle Verletzen vorsichtig hinein! Die Frauen in den Höhlen sollen helfen die Verletzen hinein zu tragen!“
Alle nickten, froh darüber, dass jemand anderes die Führung übernahm und die großen Flügeltüren wurden geöffnet, als sie dagegen hämmerten. Schon kamen von den Ringen die ersten Männer zurück und erzählten, dass die zweite Tür zum zweiten Ring gefallen war. Immer mehr Männer kamen herein und manche halfen die Verletzten in die Höhlen zu tragen. Gweneth schleppte mit den drei Jungs Haldir in die Höhle, der bereitwillig von den Frauen übernommen wurden. Gweneth ließ ihren Blick über die Menschen in den Höhlen gleiten und sah Verzweiflung und Angst in ihren Gesichtern. Kinder weinten leise und Mütter pressten ihre Kinder an die Brust, als ob sie Halt an ihnen suchen müssten um nicht zu zerbrechen. Viele kauerten auf den Boden und weinten stille Tränen der Angst und der Sorge um ihre Liebsten.
Plötzlich stand Éowyn ihr gegenüber und schien noch blasser als zuvor.
„Wie sieht die Lage aus.“
Flüsterte sie und Gweneth warf ihr einen schmerzvollen Blick zu.
„Bleib lieber hier drin und bewache die Tore, falls wir es nicht halten können.“
Murmelte sie stattdessen und sah in Éowyns geschocktes Gesicht. Dann wand sie sie von ihr ab und eilte wieder nach draußen. Inzwischen war die Halle geräumt worden und die Flügeltüren wurden wieder geschlossen. Ihr Blick wanderte nun über die übrigen Männer und sie erschrak, wie wenig von ihnen übrig geblieben war. Ein Großteil von Ihnen war gerade damit beschäftigt, die mächtigen Flügeltüren zuzuhalten, an deren die Orks ihre Schwerter durchstießen.
Sie ließ einen Blick durch die Halle wandern und war erleichtert als sie alle, die sie kannte hier versammelt waren. Wenige Schritte von ihr hatten standen Eothin und Gamling, die der Diskussion von Aragorn und König Théoden lauschten. Gweneth trat leise an Gamling heran und legte eine Hand auf seinen Oberarm. Überrascht wendete er den Kopf und als er sie erkannte, lächelte er zaghaft und drückte kurz ihre Hand. Ihr Blick ließ sie weiterwandern und nicht weit entfernt standen Legolas, Gimli und Éomer, die ebenfalls der Diskussion lauschten. Sie drückte kurz Gamlings Arm und gesellte sich dann zu den anderem. Legolas musste sie bemerkt haben, jedoch verzog er keine Miene. Sie folgte seinem Blick und beobachtete nun auch Aragorn und den König. Dabei bemerkte sie, dass Aragorn sich verändert hatte.
Eine mächtige Aura schien ihn zu umgeben, die selbst Théodens überstrahlte. Nichts mehr war von dem schwächlichen Mann, der heute neben ihr gesessen hatte, übrig geblieben.
„Um was geht es?“
Legolas sah sie freundlich an, jedoch war seine Miene angespannt.
„Um die Verteidigung de Feste. Es wurde gerade entschieden, dass wir hinaus reiten werden.“
Geschockt sah sie ihn an und ihr Blick viel auf Éomer, der sie gerade bemerkt hatte. Langsam ging er auf sie zu und stellte sich neben sie.
„Ist das wahr? Reitet ihr wirklich raus in die Massen der Orks? Ist die Hoffnung wirklich schon so vergebens?“
Er antwortete erst nicht, sondern sah sie betrübt an und lange sahen sie sich in die Augen.
„Hoffnung gibt es immer… nur sehen wir sie nicht.“
Meint er und wendete sein Blick wieder zu Aragorn und Théoden, die sich nun anschwiegen.
„Geh bitte in die Höhlen… von dort aus kannst du und die anderen Frauen, Alten und Kinder über einen schmalen Gebirgspass fliehen.“
Éomer drehte sich zu ihr um und ein Flehen lag in seinen Augen. Fast wollte sie den Drang nachgeben und einfach fliehen, doch dann kamen ihr wieder all die Gesichter der Frauen und Kinder vor geistigem Auge. Zwar wurden die Höhlen schon geräumt, doch so schnell würden sie nicht sein. Es waren viele Verletzte und Alte in den Höhlen, die sie aufhielten. Das letzte was sie tun konnte war die Hilflosen und Schwachen zu beschützen.
´Vielleicht rettet mich der Ring wieder, wenn ich in Gefahr schweb. Darauf sollte ich mich zwar nicht verlassen, aber mehr Hoffnung gibt es nicht. Ich kann in die Höhlen gehen und fliehen, aber die Orks sind zu schnell… sie würden uns so oder so einholen… da kann ich genauso gut hier auf sie warten.´
„Selbst wenn ich fliehen würde, würden sie uns einholen. Ich bleibe hier vor den Toren und beschütze diese. Vielleicht kann ich den anderen damit etwas Zeit verschaffen.“
Während sie das gesagt hatte, war sein Gesicht etwas weißer geworden und er schlug kurz die Augen nieder.
„Aber das ist Wahnsinn, Herrin!“
Knurrte Gimli laut und zog damit die Aufmerksamkeit von Théoden und Aragon auf die vier.
„Ihr habt keine Chance gegen die Massen von Orks, die hier eindringen werden.“
„Ihr hab auch keine Chance gegen die Massen, die auf Euch draußen warten werden, Gimli. Weshalb darf ich nicht diejenigen schützen, die es selbst nicht vermögen?“
„Ihr würdet in Euer Verderben stürzen.“
Sprach nun auch Legolas und seine blauen Augen sprühten so von Überzeugungskraft, dass sie wieder fast nachgegeben hätte.
´Ich weiß, dass es Wahnsinn ist aber… ich kann nicht anders… vielleicht soll mein Leben so enden… vielleicht, soll ich mich für andere opfern… wer weiß… ich kann nicht zurück und ich kann nicht fliehen… ich habe schon oben auf dem Wall den nachgegeben… ein weiteres Mal, kann ich nicht akzeptieren.´
„Dann werde ich mit erhobenem Haupt in meinen Untergang gehen! Ihr wählet doch auch den Weg des Todes, warum darf ich das nicht?“
„Ihr seid eine Schöne Maid und der Himmel würde weinen, wenn Ihr vergeht.“
Meinte nun auch Aragorn und verwundert sah sie ihn an, weil er sich ebenfalls in ihre Entscheidung einmischte.
„Dann wird er weinen.“
Antwortete sie, erwiderte seinen Blick standhaft und fügte hinzu.
„Aber der Himmel wird sich auftun und rot verfärben, wenn solch tapfere Männer, wie hier vor mir stehen, vergehen.“
Da waren sie alle für einen Moment still und sie sah zu Éomer, deren Blick er traurig erwiderte. Die Sonne ging langsam auf und viel durch die wenigen Fenster der Halle.
Hinter ihr ertönten plötzlich Hufgetrappel und viele Pferde wurden von den Höhlen hereingebracht. Jeder der Männer nahm sie eins und stellten sich in Reih und Glied auf. Langsam ging Gweneth zu Éomer, der hinter seinem König ritt.
„Pass auf dich auf und ich werde nicht lebe wohl sagen, da wir uns nach der Schlacht sehen werden. Sei es hier auf Erden oder in Mandos Hallen.“
Raunte Gweneth und legte eine Hand auf den Hals des Pferdes.
„Pass auch auf dich auf… wir sehen und wieder.“
Leicht lehnte er sich nach vorne und umfasste ihre Hand mit seiner. Fest drückte sie ihre Hand zu und sie tauschten einen intensiven Blick aus. Dann trat sie zurück, als er ihre Hand losließ und sein Gesicht emotionslos wurde.
Ein letztes Mal drückte sie auch die Hände der anderen Männer die sie kannte und schätzte und ihr wurde es ein wenig schlecht, da sie nicht wusste ob sie sich je wieder sahen.
Sie ging zu den Flügeltüren der Höhlen zurück und bei ihr waren vier weitere Mannen, die mit ihr zusammen das Tor beschützen würden.
Die Tore bebten unter den Schlägen der Orks und bei jedem weiteren Schlag zuckte Gweneth innerlich zusammen.
Die Mannen konnten das Tor nicht länger halten und die Flügeltür brach auf. Ein letztes Mal sah Éomer zurück und begegnete Gweneth Blick. Doch bevor sie seinen Blick deuten konnten, ritten die Reiter durch das Tor und schlugen die hereinstürmenden Orks alle nieder.
Weitere Mannen scharten sich um das Tor zu den Höhlen und alle zogen ihre Schwerter. Gweneth zog ihre Handschuhe an, setzte ihren Helm auf und tat es ihnen gleich.
Ihr Schwert zitterte leicht in ihrer Hand, als sie die Spitze ihrer Klinge Richtung Tür wendete und wartete. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, das Blut rauschte ihr in den Ohren und zitternd stand sie dar. Ihre Gedanken kreisten um all die Personen, die dort draußen waren und vielleicht nicht wiederkehren würden.