Kapitel 2
Gweneth schloss hinter sich ihre hölzerne Haustür zu und trat hinaus ins Freie. Vorsichtig ging sie auf ihren hohen Riemchenschuhen über den gepflasterten Hof und besah sich noch einmal das alte Fachwerkhaus, das sie nun ihr Eigen nennen konnte. Das Haus war groß und besaß zwei Stockwerke. In der unteren Etage befand sich ein großes Wohn-Esszimmer mit einer riesigen Küche und einem Gästebad. Außerdem eine große Terrasse mit Garten. Eins drüber war ihr Schlafzimmer sowie zwei Gästezimmer und großes, luxuriöses Bad. Im Spitz war noch ein Speicher, in dem alles Mögliche verstaut war. Der Keller nutze sie als Atelier, in dem sie malen, zeichnen und bildhauerisch tätig sein konnte. In der kleinen Scheune, direkt neben dem Haus, sammelte sie Materialien und parkte ihr neues Auto. Efeu rankte sich auf einer Seite des Hauses hoch und erstreckte sich bis zum Dach.
Da sie davor wenig an Möbeln besaß, hatte sie alles neu eingerichtet und lebte schon mehr als zwei Monate hier.
Das Haus befand sich am Waldrand, am Ende eines Vorortes zu einer großen Stadt. Vor dem Haus erstreckte sich ein kleiner gepflasterter Hof, dahinter eine große Wiese, die, ebenso wie ein Teil des Waldes, zum Haus gehörte. Gweneth schulterte ihre kleine schwarze Umhängetasche und marschierte auf den Wald zu. Ein kleiner gepflasterter Weg führte durch den Wald und an dessen Ende gelangte sie zu einer Busstation.
Es fand an dem Abend eine Party in ihrem Lieblingsclub ´Rouge` statt, die sie auf keinen Fall verpassen wollte. Vor allem war es ihre letzte Gelegenheit ihre beste Freundin Silvia zu Verabschieden, die in wenigen Stunden nach Australien flog, um ein Auslandsemester zu absolvieren.
´Ohne sie wird das Jahr ganz schön farblos… aber immerhin hab ich dann die Gelegenheit neue Freunde kennen zu lernen und meinen Freundeskreis endlich zu erweitern… eine Freundin ist ein wenig mager.´
Schon nach wenigen Minuten war sie durch den Wald hindurch und stand nun bei der Bushaltestelle. Sie zupfte sich kleine Blätter von ihrem hellen Top und dem cremefarbenen Minirock. Sie merkte, wie ein ebenfalls wartender Mann sie von oben bis unten musterte und sich Gweneth ein Grinsen verkneifen musste. Sie wusste, dass die hellen Farben ihrer Kleidung ihre Haut zum leuchten brachte und die hohen braunen Schuhe ihre Beine noch länger machten. Außerdem war sie sehr schlank, besaß jedoch eine üppige Oberweite. Wenn Silvia sie manchmal ärgern wollte, nannte sie Gweneth scherzhaft Lara Croft.
Ihre ebenholzfarbenden Haare hatte sie nur leicht hochgesteckt und vereinzelt fielen Strähnen ihren Rücken hinunter. Eigentlich mochte sie es nicht, wenn man sie bemerkte und ansah, aber sie hatte nun schon seit ein paar Jahren keinen Freund mehr und es war endlich Zeit das zu ändern.
Endlich kam der Bus und erleichtert stieg sie ein und fuhr die zwanzig Minuten in die Innenstadt.
Dort angekommen ging sie in eine Seitenstraße, die fast ausgestorben und verwahrlost schien und steuerte auf eine schwere, versteckte Tresortür zu. Über der Tür war mit neonbuchstaben „Rouge“ geschrieben, die man im Zwielicht nur schwer erkennen konnte. Gweneth klopfte gegen die Tresortür, die sogleich schwungvoll geöffnet wurde. Ein schwarzer, riesiger Mann mit kahlem Schädel sah sie an und lächelte schließlich.
„Schön dich zu sehen Gwen.“ Raunte er und trat zur Seite.
„Auch immer wieder schön dich zu sehen, Berry.“ Meinte sie, grinste ihn an und trat ein.
Sofort schlug ihr gedämpfte elektronische Musik entgegen, als sie durch den schmalen Gang hinter der Tür schritt. Der Gang war düster und aus Metall. Freiliegende Rohre zogen sich über Decken und Wände. Ebenso war fast alles mit Graffitis besprüht, die im Dämmerlicht leuchteten. Schon begegnete sie im Flur tanzende Paare, die eng aneinandergeschmiegt tanzten. Gweneth quetschte sich an ihnen vorbei und kam an der Garderobe vorbei.
Schließlich gelangte sie in das Herzstück des Clubs. Vor ihr öffnete sich der Flur schlagartig und sie stand in einer großen, gewölbten Halle.
Wild tanzten die Menschen auf der Tanzfläche und bewegten ihre Körper im Rhythmus zu der Musik, die aus riesigen Lautsprechern von der Decke und den Ecken schallte. Am anderen Ende der Halle, auf einem hohen Podest, stand das Mischpult, auf dem ein DJ auflegte. Gweneth grinste und sah hinauf zu den unzähligen Kronleuchtern, die sich im farbigen Licht der zuckenden Scheinwerfer brachen. Sie legte den Kopf in den Nacken und drehte sich vergnügt auf der Stelle. Der starke Bass, der in ihrer Brust pochte erfüllte sie mit Freude und die laute Musik füllte ihren Kopf aus. Im Rhythmus der Musik tanzte sie sich durch die Menge zur Bar durch und bestellte sich gleich darauf einen Cocktail. Der Barkeeper grinste sie an und mixte schnell das alkoholische Getränk.
Gweneth ließ einen Blick über die zuckende Menge gleiten und beobachtete interessiert, was für Menschen heut da waren. Manche waren so schlicht angezogen wie sie, aber manche tanzten in engen Lackbodys mit Ketten oder sehr ausgefallenen Kleidern.
Als der rote Trank fertig war, schnappte sie ihn sich, bezahlte und steuerte tanzend auf eine der vier Treppen zu, die sich ein Stockwerk höher windeten. Langsam schritt sie die metallenen Stufen hoch und passierte die Balkons, auf denen Menschen ebenfalls wild tanzten. Leicht tanzend schob sie sich in eine der Öffnungen in den Wänden und betrat eine Lounge mit vielen roten Sofas und Sessel. Schon von weitem sah sie ihre Freundin, die schon mit anderen feierte. Als Silvia Gweneth entdeckte, schrie sie laut auf, sprang auf sie zu und drückte Gweneth fest an sich. „Schön dass du endlich da bist!“ rief Silvia laut und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Das konnt ich ja schlecht verpassen!“ schrie sie zurück und lies sich zu den anderen ziehen. Dort wurden sie alle vorgestellt und dann ging die Party los. Bald darauf war sie nassgeschwitzt vom vielen Tanzen und leicht beschwipst von dem roten Alkohol, der in Massen ausgeschenkt wurde. Es wurde immer wilder und ausgelassener gefeiert, bis es schließlich soweit war und Silvia gehen musste. Sie alle gingen gemeinsam hinaus und Gweneth kamen leicht die Tränen, als sie sah, wie Silvia in das Taxi stieg um zum Flughafen zu fahren.
´Sie ist wirklich die Einzige, die noch Party macht, und danach gleich in einen Flieger zu steigen.´
Kopfschüttelnd sah Gweneth ihr hinterher und mit einem Seufzen entschied sie sich noch etwas zu essen zu kaufen. Immerhin war es bereits morgens und ihr Magen knurrte laut. Aber niemand hatte mehr offen und die ersten Bäcker würden erst in einer Stunde öffnen.
Und die nächste Entscheidung, die sie traf, würde den Rest ihres Lebens verändern… sie entschied sich zur nächsten Tankstelle zu gehen.