Kapitel 21
Mit einer Aufgabe im Kopf stieg sie die Treppen hinunter und ging danach in die große Halle. Erkenbrands Abschied lag ihr noch schwer auf ihrem Gemüt, dennoch wollte sie helfen. In der Halle angekommen sah sie sich um und der Blutgeruch vermischt mit dem vom Alkohol drang ihr unangenehm in die Nase. Immer noch huschten dort die Heilerinnen unruhig umher und mit einem kleinen Seufzer ging sie auf einer der Heilerinnen zu.
„Verzeiht, doch kann ich Euch helfen?“
Fragte sie ein junges Mädchen, dass sie vom Sehen von letzter Nacht her kannte. Anscheinend erkannte das Mädchen sie auch wieder und lächelte sie müde, aber fröhlich an.
„Herrin, es ist schön Euch zu sehen.“
„Es ist auch schön Euch zu sehen. Soll ich Eure Aufgabe übernehmen, damit Ihr ein wenig ruhen könnt?“
Mit einem weiteren Lächeln schüttelte sie den Kopf.
„Hier wird gerade jede helfende Hand gebraucht. Ihr könnt mir zur Hand gehen, wenn Ihr es vermögt.“
Dabei ließ sie ihren Blick aufs Gweneths Arm in der Schlinge gleiten.
Gweneth nickte dankbar und bat der jungen Frau ihr den Ärmel ihres Kleides hochzurollen und ihre Hände schnell mit Alkohol zu säubern.
„Wie lautet Euer Name?“
„Mann nennt mich Isabell und Ihr seid Gweneth, nicht wahr?“
„Woher kennt Ihr mich?“
„Es gibt hier kaum jemanden, der Euch nicht kennt.“
Verlegen schlug sie die Augen nieder und versuchte nicht dran zu denken, dass sie in Helms Klamm einen sehr guten Ruf hatte. Nun betrachtete sie ihren Patienten, der vermutlich etwas älter als sie war und stellte fest, dass er drei abgeschnittene Pfeile in der Schulter steckten. Die Rüstung und seine Bekleidung der Brust war ihm schon ausgezogen worden und sie konnte somit einen guten Blick von seinem gestählten Oberkörper werfen.
´Ob Éomer genauso aussieht? `
Jedoch verdrängte sie gleich darauf den Gedanken und besah sich die Wunde, die schon anfing langsam zu verheilen.
„Seit wann wartet er auf Eure Pflege? Die Wunde blutet nicht mehr und scheint mir nicht besonders frisch zu sein.“
„Ihr habt Recht, er liegt hier seit Anbeginn des Tages.“
Sie keuchte und sah Isabell schockiert an.
„Und niemand hat sich seit dem um ihn gekümmert?“
„Er schwebte nicht in Lebensgefahr und konnte somit warten.“
Bestürzt sah sie den Mann an und mit einem leichten Schreck bemerkte sie, dass er Gweneth aus meergrauen Augen ansah.
„Wir müssen ihn auf die Seite drehen, damit wir die Pfeile herausziehen können.“
Meinte Isabell und zusammen drehten sie ihn auf die unverletzte, rechte Seite. Sie ärgerte sich zwar, dass sie nur eine Hand benutzen konnte, aber besser eine als keine.
Schnell schob Gweneth einen Lederriemen in den Mund des Patienten und stellte dann schnell eine Flasche Alkohols neben ihm ab. Geschwind tränkte sie sechs kleine quadratische Tücher mit ein paar Spritzern und hielt ihn dann fest. Kurz nickten sie sich zu und Isabell fing mit der Entfernung an.
Vorsichtig zog Isabell die drei Pfeile heraus und Gweneth hatte zum Glück keine Mühe ihn fest zu halten, da er nicht um sich schlug. Stattdessen verkrampfte er und biss heftig in den Lederriemen.
Beruhigend tätschelte Gweneth den Arm des Mannes und strich ihm durchs blonde Haar. Als die Pfeile entfernt waren, drückte Gweneth die Tücher auf die Stellen und zusammen verbanden sie ihn rasch. Vorsichtig legten sie ihn wieder richtig hin, nahmen die Utensilien weiter zum nächsten Patienten.
Diese Mal zerriss es Gweneth fast das Herz, als sie den fünfzehnjährigen Patienten vor sich auf den Boden liegen sah.
Seine übergroße Rüstung war blutgetränkt und aus Augenschlitzen sah er beide ängstlich an.
Schnell knieten sie sich neben ihm, jede auf eine andere Seite und zogen dann rasch seine Rüstung aus. Zum Vorschein kam eine relativ hässliche Schwertwunde, die zwar nicht tief war, aber über seinen ganzen Oberkörper verlief und unter seinem rechten Auge endete. Er konnte froh sein, dass er sein Auge nicht verloren hatte.
Als der Alkohol seine Wunden berührte, fing er an schrecklich zu weinen und Gweneth zerriss es das Herz.
Sie versuchte ihn mit gut zureden zu beruhigen, doch das half wenig. Ängstlich schlug er um sich und ihr blieb nur noch eine Möglichkeit.
Immer wenn sie sich früher gefürchtet hatte oder nicht einschlafen konnte, sang ihre Mutter ein Lied vor. Zwar konnte sie damals die Wörter nicht verstehen, doch irgendwie hatte dieses Lied immer eine beruhigende Wirkung auf sie ausgeübt.
Später lernte sie die Bedeutung kennen und lernte es auswendig, denn dieses Lied, war laut einer Legende schon über mehrere Generationen gesungen worden und sie wollte die Tradition fortführen.
Tief holte sie Luft und erinnerte sie an die fremden Wörter, die ihr so viel bedeuteten:
Ai! laurië lantar lassi súrinen,
Yéni únótimë ve rámar aldaron!
Yéni ve lintë yuldar avánier
mi oromardi lisse-miruvóreva
Andúnë pella, Vardo tellumar
nu luini yassen tintilar i eleni
omaryo airetári-lírinen.
Sí man i yulma nin enquantuva?
An sí Tintallë Varda Oiolossëo
ve fanyar máryat Elentári ortanë
ar ilyë tier undulávë lumbulë;
ar sindanóriello caita mornië
i falmalinnar imbë met, ar hísië
untúpa Calaciryo míri oialë.
Si vanwa ná, Rómello vanwa, Valimar!
Namárië! Nai hiruvalyë Valimar!
Nai elyë hiruva. Namárië!
(Und hier die Übersetzung:
Ah! wie Gold fallen die Blätter im Wind, lange Jahre zahllos wie die Schwingen der Bäume! Die langen Jahre sind vergangen wie rasche Schlucke des süßen Mets in hohen Hallen jenseits des Westens unter den blauen Gewölben von Varda, worin die Sterne zittern beim Gesang ihrer Summe, heilig und königlich. Wer nun soll den Becher für mich füllen? Denn nun hat die Entzünderin, Varda, die Königin der Sterne vom Berg Immerweiß, ihre Hände wie Wolken gehoben, und alle Pfade sind tief im Schatten versunken: und aus einem grauen Land kommend, liegt Dunkelheit auf den schäumenden Wogen zwischen uns, und Nebel deckt die Edelsteine von Calacirya auf immerdar. Verloren nun, verloren für jene aus dem Osten ist Valimar! Lebewohl! Vielleicht wirst du Valimar finden. Ja, vielleicht wirst du es finden. Lebewohl!«)
Während sie sang, strich sie beruhigend über sein Haar und Isabell reinigte schnell die Wunden, da der Junge aufgehört hatte zu zappeln. Seine Lider schlossen sich langsam und sein Brustkorb hob und senkte sich ruhig und gleichmäßig. Mit einem Lächeln legte sie eine dünne Decke über seinen Körper und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Stirn. Danach sah sie zu Isabell, die sie staunend anstarrte.
„Habe ich etwas Falsches getan?“
Fragte sie verwirrt, während sie Gweneth nur weiter ansah.
„Wenn mich meine Ohren nicht trügen, würde ich sagen Ihr singet wie das schöne Volk es tun pflegen.“
„Ich singe elbisch?“
Fragte sie nun erstaunt und dachte dabei an Mallos.
´Vermutlich hat sie es damals in meine Welt gebracht. ´
Isabelle schüttelte kurz den Kopf und nickte zum nächsten Patienten. Es war ein alter Mann mit weißem Haar und Falten zogen sich über sein Gesicht wie Canyons.
Schnell warf Isabell einen Blick auf seine Wunden, prüfte seinen Puls und sah dann traurig zu Gweneth.
„Er wird es nicht schaffen.“
Flüsterte sie und Gweneth zog scharf die Luft ein.
„Weshalb?“
„Er hat zu viel Blut verloren… sein Herz schlägt zu unregelmäßig. Kommt, wir dürfen unsere Zeit an ihm nicht verschwenden.“
Da stand sie auch schon auf und ging weiter. Fassungslos sah sie der kaltblütigen Heilerin hinterher und beugte sich dann über das schmutzige Gesicht des alten Mannes. Vorsichtig legte sie ihm die Hand auf die Stirn und müde hob er seine Augenlider.
Wunderschöne dunkelblaue Augen sahen in die ihrige und freundlich lächelte sie ihn an.
Dann nahm sie seine runzelige, raue Hand in ihre und drückte sie fest.
„Könnt Ihr… noch einmal… dieses Lied singen? Es war so schön.“
Keuchte er uns seine Augen leuchteten auf.
„Wenn dies Eurer Wunsch ist, erfülle ich ihn mit Freuden.“
Erwiderte sie und legte seine Hand auf ihre weiche Wange.
Tief holte sie Luft und sang leise das alte Lied ihrer Vorfahren. Die ganze Zeit ließ er nicht die Augen von ihr und kleine Tränen kullerten sein Gesicht hinunter. Sanft wischte sie ihm die Tränen weg und lächelte ihn noch einmal herzlich an, als sie geendet hatte.
„Es war immer einmal mein Wunsch… dass eine wunderschöne Elbin, wie Ihr es seid, mir eins ihrer schönen Lieder, nur für mich singt. Nun hält mich nichts mehr hier.“
Flüsterte er sanft und richtete seinen Blick zur Decke.
„Bitte singet noch einmal für mich.“
Langsam sang sie wieder und dieses Mal rannte ihr Tränen über die Wangen. Denn sie wusste, dass dies sein Todeslied sein würde.
Durch den Tränenschleier hindurch erkannte sie, wie sich ein letztes Mal seine Brust hob und senkte und dann still dar lag.
Sie sang ihr Lied noch zu Ende, legte dann die Hände des alten Mannes auf seine Brust, wischte sich die Tränen weg und wankte wieder zu Isabell. Sie hatte Gweneth aufmerksam beobachtet, sagte jedoch nichts zu ihr.
Gweneth war es nicht komisch vorgekommen, dass er sie mit einer Elbin verwechselt hatte, immerhin rann in ihrem Blut ein elbisches Erbe.
Im Laufe des Tages, bis schließlich die Sonne versank, musste Gweneth noch oft ihr Lied singen und nicht selten, war es das letzte was er hören würde.
„Herrin Gweneth?“
Ertönte eine weibliche Stimme und Gweneth sah von ihrem Patienten auf, dessen Arm gerade verbunden wurde.
Eine ältere Heilerin stand im Raum und blickte sich suchend um. Ihre schon ergrauten Haare, hatte sie unter einem blauen Tuch zusammengehalten.
Gweneth sah kurz zu Isabell, die jedoch ihr zunickte und ihr somit die Zustimmung gab, dass sie das auch alleine bewältigen würde.
Mit steifen Gliedern stand sie auf und ging auf die ältere Heilerin zu.
„Ihr sucht nach mir?“
Als die Heilerin sie erblickte, lächelte sie ein fast zahnloses Lächeln und verbeugte sich zur Begrüßung. Gweneth tat es ihr gleich und sah dann die Frau abwartend an.
„Ich suchte Euch, da ein Patient seine Lebensretterin mit eigenen Augen sehen möchte. Würdet Ihr mit mir kommen?“
´Oh… wer kann das denn sein? Ich hab einigen geholfen zu überleben. ´
„Sicher, ich folge Euch.“
Humpelnd drehte sich die Frau daraufhin um und lief schneller, als Gweneth erwartet hätte in die Richtung der heilenden Häuser. Zusammen betraten sie den Gang, den Gweneth nur allzu gut kannte und gingen ihn bis zum Ende durch. Plötzlich öffnete sich der Gang und sie stand in einer großen Halle, die fast größer schien als die Haupthalle. Überall standen Betten, die mit Vorhängen voneinander getrennt waren. Neugierig folgte sie der Frau und betrachtete im Gehen die vollen Betten. Die meisten Männer schliefen ruhig und schenkten ihnen wenig Aufmerksamkeit.
Schließlich betraten sie einen weiteren Gang, von dem ebenfalls Zimmer abzweigten. Vor einer Tür bliebt die Alte stehen und öffnete diese.
„Ich habe sie gefunden, Mein Herr.“
Ertönte die Stimme der älteren Heilerin und Gweneth betrat den weißen, freundlich eingerichteten Raum. Sie stand sogleich am Fußende und sah den Mann freundlich an, der vor ihr im weißen Bett lag. Er lag leicht erhöht auf einem großen Kissen und unter der weißen Decke konnte sie die Verbände ausmachen, die seinen Oberkörper umschlangen. Seine goldenen langen Haare lagen leicht zerzaust auf dem Kissen, während er sie mit freundlichen blauen Augen musterten. Obwohl sein makelloses Gesicht nun nicht mehr so blass war und verschmutzt, konnte sie sich dennoch an ihn erinnern. Er war der Elb, den sie mit einer Herzmassage ins Leben zurückgeholt hatte.
Der Elb sah sie freundlich an und nickte ihr zur Begrüßung zu.
„Mae Govannen, ich grüße dich Menschenfrau.“
Sprach er mit seiner melodischen Stimme und sah dann die Heilerin an.
„Ich danke Euch, für Eure Mühen.“
Die Heilerin verbeugte sich vor dem Elb, warf Gweneth noch einen schnellen Blick zu und ging dann hinfort.
Gweneth wusste nicht ganz, was sie tun sollte und setzte sich dann schließlich auf den kleinen Schemel, der neben seinem Bett stand.
„Wie geht es Euch?“
Er lächelte ein strahlendes Lächeln und versuchte sich etwas mehr aufzusetzen, was ihm auch gelang.
„Dank Eurer Hilfe, weile ich noch auf Arda.“
´Das nehme ich mal als ein „Gut“. ´
„Doch erlaubt mir die Frage, wem ich das zu verdanken habe?“
„Mein Name ist Gweneth, die aus dem Süden kam und wenn ich mich recht entsinne, ward ihr der Anführer der Elben aus Bruchtal mit dem Name Haldir, der solch Huldvolle Worte sprach.“
„Fürwahr, der bin ich und ich fühle mich geehrt, dass ich mein Leben jener Frau zu verdanken habe, die Helms Klamm zu einer wahren Feste errichtet hat.“
Jetzt wurde Gweneth etwas rot und senkte ihren Blick, weil sie nicht wusste wohin sie sehen sollte, da seine blauen Augen sie zu durchdringen schien.
„Ihr habt größeres geleistet.“
„Das mögt Ihr meinen dennoch sehe ich Euren Anteil wesentlich größer als den meinen. Ihr handelte aus freien Stücken, während ich mich den Befehlen von Herrn Elrond beugte.“
„Dann ward es nicht Eure Entscheidung hier her zu kommen?“
Fragte sie neugierig und er lächelten leicht.
„Es wäre nicht meine Erste Wahl gewesen. Jedoch bereue ich es nicht, da ich den Mut und die Tapferkeit der Menschen gesehen habe und es erleben durfte, dass sich eine Frau in der Welt der Männer behaupten konnte. Die Herrin Galadriel wäre sicher erpicht darauf mit Euch zu sprechen.“
„Ist sie wahrhaftig so schön, wie es der Herr Gimli immer beschreibt?“
„So schön wie ein Sonnenaufgang, der sich im frischen Tau einer Rose spiegelt.“
´Also auch gefährlich… sollte ich mir merken, falls ich ihr mal über den Weg laufen sollte.´
„Jedoch würde Herr Elrond ebenfalls erpicht Euch sprechen zu wollen, da ihr es geschafft habt einen Toten in das Reich der Lebenden zurück zu holen… Ich habe in meiner langen Lebenszeit noch von keiner Methode gehört, die dies ermöglicht.“
Abwartend musterte er sie und sie lächelte ein wenig.
„Ich kann mir gut denken, dass Ihr die Methode nicht kennt, da sie aus dem Süden stammt und die wenigsten Menschen und Elben an diesem Ort freiwillig gewesen waren.“
Er nickte zur Bestätigung leicht und sie fuhr dann fort.
„Bei dieser Methode werden die Hände über den Brustkorb geballt und mit gleichmäßigen rhythmischen Bewegungen runter gedrückt, bis fast auf die Wirbelsäule hindurch. Verzeiht, dass ich Euch Rippen brach, aber dies kann durchaus einmal passieren.“
Erneut nickte er und sie meinte ein leichtes lächeln auf seinen Lippen zusehen.
„Nach etwa zwanzig Wiederholungen wird der Kopf über streckt, damit die Luftröhre frei wird. Danach hält man die Nase des Patienten zu und bläst Luft in die Lunge… dann wird der Prozess so lange wiederholt, bis derjenige wieder anfängt zu atmen… oder auch nicht. Jedoch bin ich mir nicht ganz sicher, ob die Anzahl der Pressungen richtig war. Es ist schon eine Weile her, dass ich diese Technik erlernte.“
„Ihr müsst viel über den Körper Wissen, damit ihr solch Technik erlernen konntet.“
„Ich kenne nur das, was mir einst erzählt worden war. Sicherlich hätte ich noch viel mehr erlernen können, doch zog ich es vor dem künstlerischem Handwerk nachzugehen.“
„Ihr seid eine Künstlerin?“
Seine Augenbrauen hoben sich überrascht.
„In meiner Heimat war ich das. Jedoch kann ich hier meine Künste nicht ausleben. In diesem Krieg muss man wissen wie man sich zu verteidigen weiß und manchmal auf Kosten des eigenen Interesses.“
Erstaunt sah er sie an und etwas glitzerte in seinen tiefen blauen Augen.
„Ihr seid sehr weise Herrin Gweneth…. Ich verstehe nun, warum sie Euch Gehör schenkten… irgendetwas an Euch ist… anders.“
´Und wie nahe du damit liegst ahnst du nicht einmal.´
„Ich komme aus einem anderen Land, mit anderen Sitten und Wissen. Es erscheint nur natürlich mich andersartig zu finden, besonders da meine Erscheinung nicht die gewöhnlichste ist.“
„Nein… gewiss nicht… Noch nie sah ich eine Frau wie Euch.“
Flüsterte er nun schon fast und lächelte sie charmant an und für Gweneth war es das Zeichen zu gehen. Seine blauen Augen bohrten sich schon fast unangenehm und aufdringlich in ihre.
„Ich danke Euch… jedoch kann ich nicht länger bei Euch verweilen… die Patienten brauchen meine Hilfe.“
„Ich verstehe… Mae Govannen bain firieth (schöne Frau).“
Er nickte leicht mit den Kopf und Gweneth erwiderte den Gruß als sie sich erhob.
„Mögen die Sterne noch lange über Euch leuchten, Herr Haldir.“
Mit diesen Worten wand sie sich ab, ging schnellen Schrittes davon und spürte noch seine blauen Augen auf ihr ruhen.
Schnell war sie wieder in der großen Halle angelangt und suchte Isabell, die sie schnell wieder fand. Sie kniete sich zu ihr nieder und Isabell lächelte sie freundlich und etwas erschöpft an.
„Ich bin froh Euch zu sehen. Könntet Ihr mit zu Hand gehen?“
„Sicher.“
Dann half sie den Mann hochzuheben, damit seine Brust verbunden werden konnte. Wenige Minuten später war sie wieder in ihrer Routine gefangen und arbeitete bis spät in die Nacht hinein, bis ihr Körper die Strapazen und den Druck des Tages nicht mehr standhalten konnte.
Isabell konnte sie gerade noch auffangen, sonst wäre sie im Sitzen zur Seite gekippt und auf den harten Boden aufgeschlagen.
Einer der Krieger hob sie sachte hoch und bettete sie am Rande der Halle auf eine Trage. Eine dünne Decke wurde über ihren schlanken Körper gezogen und sie glitt von einer Ohnmacht in einen tiefen Schlaf.
Sie spürte Gras unter ihrer Wange und eine leichte Brise strich ihr liebevoll über ihr Gesicht. Verwundert öffnete sie ihre Augen und wusste sogleich wo sie war.
Dies war wieder der Traum, den sie ständig gehabt hatte und aus dem sie einfach nicht schlau wurde. Zu mindestens bis jetzt.
„Hallo, Gweneth.“
Flüsterte eine Stimme, die wie ihre eigene klang und mit einem Ruck hatte sie sich aufgesetzt und sah nun in ihr Ebenbild.
Sie saß vor ihr im Schneidersitz auf dem Gras und Gweneth tat es ihr gleich.
Kurz saßen sie sich schweigend gegenüber, während sie ihr Ebenbild musterte.
„Du bist Mallos, richtig?“
Flüsterte sie und dennoch verstand es ihr Ebenbild. Ihr gegenüber nickte und plötzlich veränderte sich ihre Erscheinung ein wenig.
Das ebenholzfarbene Haar wurde länger und fließender. Die Haut fing an sanft zu leuchten und ihre Wangenknochen hoben sich noch ein wenig.
Ihre Gesichtszüge wurden feiner, fast wie einer Puppe gleich und ihr Lächeln war so wunderschön, dass es ihr fast die Tränen in die Augen stiegen.
Vor ihr saß eine Elbin, die schöner nicht hätte sein können. Sie war perfekt, im jeglichem Sinne.
„Sei mir gegrüßt, Gweneth, Tochter aus der Welt der Menschen.“
Sprach sie in einem feinen Singsang und ihre anmutige Stimme klang wie das Plätschern des Wassers, hell und klar.
„Es freut mich dich zu sehen, Mallos.“
„Die Freude ist auch meinerseits.“
Doch dann zögerte Gweneth kurz und sah Mallos fragend an.
„Was sehe ich hier? Bist du ein Geist, der zu mir spricht?“
Leicht lachte die Elbin und schüttelte leicht den Kopf. Das Lachen drang ihr unter die Haut und löste eine angenehme Wärme in ihr aus.
„Ich bin eine Erinnerung, eingraviert in Amanya. Bevor ich die irdische, menschliche Welt verließ, speicherte ich ein Teil meiner selbst in diesem Stein um denjenigen zu helfen, der ihm einmal dienen sollte.“
„Gab es vor mir eine andere, die den Ring nutzte?“
Leicht schüttelte Mallos ihren Kopf und ihre Haare schimmerten sanft im Licht der Sonne, die hoch am Firmament stand.
„Du bist die erste, welche die Macht des Ringes nutzt.“
„Warum? Warum ich? Es gab doch bestimmt schon andere, die in tödlichen Situationen waren.“
„Nein… in all den Jahren gab es niemanden, der so nahe an der Schwelle des Todes war, wie du.“
„Gut zu wissen, dass ich abnormal bin.“
Grummelte sie und entlockte Mallos ein weiteres, helles Lachen.
„Du bist nicht abnormal… es war vielleicht einfach nur dein Schicksal.“
Still betrachtete sie den Ring an ihren Finger, der sich im Licht der Sonne brach und in verschiedenster weise leuchtete.
„Wie kann ich dir so ähnlich sehen? Ich mein, zwischen uns liegen Jahrtausende und dennoch bin ich fast dein Ebenbild.“
„Ja, fast… es liegt daran, dass elbisches Blut stark ist und das menschliche etwas verdrängt. Auch liegt es an diesem Ring, das das Elbische in einem nur umso mehr verstärkt.
Deshalb kannst du mir so ähnlich sehen.“
`Klingt logisch.´
Wieder drehte sie den Ring um ihren Finger und betrachtete dann Mallos.
„Ich habe schon herausgefunden, dass ich die Gefühle der Natur verstehen und sogar teilweise in die Vergangenheit sehen kann. Er verbindet meine Welt und deine Welt miteinander… und Orte. Wie funktioniert das?“
Mallos rutschte näher zu ihr her und nahm ihre Hände in ihre. Die Hände der Elbin waren unglaublich zart und fühlten sich an wie Seide.
„Ich zeige es dir… schließe deine Augen.“
Flüsterte sie und Gweneth gehorchte. Plötzlich konnte sie Mallos Stimme in ihrem Kopf hören.
´Du musst dich auf den Namen des Ortes konzentrieren und dabei dich ganz entspannen. Wohin möchtest du? ´
Kurz dachte Gweneth angestrengt nach, bis ihr ein Name einfiel, den sie aus Geschichten Erkenbrands gehört hatte.
´Lothlórien…´
´Ah, welch weise Entscheidung. Ich war dort auch immer sehr gerne… Galadriel war mir eine wunderbare Freundin gewesen. Nun gut, dann konzentriere dich nun ganz auf diesen Namen und denke an nichts anderes.´
Tief atmete Gweneth ein und konzentrierte sich darauf. Es war schwieriger als gedacht, dennoch schaffte es Gweneth ihre anderen Gedanken auszublenden und sich nur auf diesen Namen zu konzentrieren.
Eine kurze Weile geschah nichts, bis sie plötzlich das Rascheln von Blätter hören konnte und ein Geruch von einer frischen Süßlichkeit ihr in die Nase stieg. Elbische Stimmen und Lieder konnte sie wahrnehmen, bis sie vor ihrem geistigen Auge Bäume erkennen konnte, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Ihre Rinde war silbrig grau und reckten sich glatt wie Säulen in den Himmel. Sie hob ihren Kopf und die silbrigen Blätter wiegten sich sachte in der leichten Brise. Goldene, Büschel artige Blumen wiegten sich mit im sanften Takt und der Boden war übersät mit goldenem Laub.
„Du hast es geschafft.“
Flüsterte Mallos, denn auf einmal konnte sie die trockenen Blätter unter ihren Beinen spüren, die ein leichtes Knistern von sich gaben, als sie ihre Augen öffnete und sanft über die Blätter strich.
Ein glückliches Lächeln machte sich auf ihren Lippen breit, als sie ihren Kopf in den Nacken legte und sie sich nach hinten, in das weiche Laub fallen ließ.
„Das sind wirklich schöne Bäume… wie heißen sie?“
„Man nennt sie Mallornbäume. Ursprünglich stammt der Mallorn von der Insel Tol Eressea, die nun aus unserer Welt entrückt ist.“
Gweneth richtete sich wieder auf.
„Kann ich auch dahin gehen?“
Traurig lächelte Mallos und ihr Blick schien auf einmal in weiter Ferne zu wandern.
„Das geht leider nicht, diese Welt ist für uns beide Unerreichbar.“
„Wieso bist du eigentlich damals in die Menschenwelt gegangen, anstatt gen Westen zu segeln? Wäre es nicht genauso sicher gewesen?“
„Nein… dieser Ring ist die einzige Verbindung zu deiner Welt. In Valinor wäre ich nicht sicherer gewesen, als in Aman.“
„Also musstest du vollkommen verschwinden…. Hast du es eigentlich je bereut deine Heimat zu verlassen?“
„Nein, denn Jahre später fand ich meine große Liebe und war lange, sehr glücklich.“
„Wie lange ist das her?“
„Eine lange Zeit, aber wenn ich es in Menschen Jahre ausdrücken müsste, würde ich sagen vor etwa viereinhalb tausend Jahren.“
„Wow… wie war die Zeit damals?“
„Sie erinnerte mich sehr, an das Leben in Aman und es half mir über die raue Zeit hinweg zu kommen. Es war schwer für mich, nicht in die Geschicke der Menschen einzugreifen, dennoch half ich ihnen so gut es ging, insbesondere der Sternenkunde.“
Mallos lächelte breit und strich sich ein goldenes Blatt aus ihren dunklen Haaren.
„Ich bin froh darüber, nicht in deine heutige Zeit gelangt zu sein, denn dann hätte ich meine Anwesenheit schwerer verbergen können.“
Gweneth nickte und besah sich noch einmal den wunderschönen Ort. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, als ob sie nun seltsam entrückt wurde. Sie sah wieder zu Mallos, die nun langsam zu verblassen schien, ebenso wie der wunderschöne Wald.
„Du wirst gleich aufwachen.“
Sagte sie mit einem ihrer schönsten Lächeln und strich Gweneth zärtlich über ihre Wange.
„Werde ich dich wieder sehen?“
Ihr Lächeln wurde nur noch breiter und ihre Stimme hallte schon nun von weit her.
„Ich werde weiterhin im Ring existieren… wenn deine Not am größten ist, werde ich bei dir sein.“
Fügte sie leise hinzu und Gweneth nickte lächelnd.
„Bis dann Mallos… und ich werde üben, versprochen.“
Mit diesen Worten wurde es kurz dunkel um sie herum und mit einem Mal schlug sie ihre Augen auf. Blutgeruch verdrängte den süßen der Mallornbäume und sie wusste, dass sie nun wirklich wach war.