Der Ring der Erde

Kapitel 32

„Mae govannen, Menschenfrau“, ertönte neben ihr eine tiefe, melodische Stimme, die jedoch eindeutig einer Frau zugeordnet werden konnte.
Blitzschnell fuhr Gweneth herum und erblickte wenige Meter vor sich eine wunderschöne Elbin mit tiefgoldenem, gewelltem Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Ihr Gesicht war fein und makellos, wie Gweneth es schon von den Elben kannte, und doch war es gänzlich anders. Es schien jung, doch im nächsten Moment strahlte es eine tiefe Weisheit aus, die nur durch ein hohes Alter zu erreichen war. Insgeheim fragte sich Gweneth, wie alt diese Frau wirklich sein mochte, als ihr Blick weiter über ihre Erscheinung wanderte.
Auf ihrem Kopf trug sie einen goldenen, filigran gearbeiteten Reif, dessen Ende ihr in die Stirn hinab reichte. Aus blauen Augen, die so tief wie das Meer und so weit wie der Himmel waren, sah sie Gweneth freundlich und würdevoll an. Die Schönheit des Waldes verblasste um sie herum und ihre hell strahlende Präsenz schien die ganze Umgebung einzuhüllen und die lieblichen Gesänge des Waldes huldigten ihrer Schönheit. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch eine schöne Frau erblickt und das Wort `engelsgleich´ schien noch nie so passend, wie in diesem Augenblick.
„Elen feana or govas nîs, Gweneth“ (Der Stern leuchtet hell bei unserer Begegnung), sprach sie wieder mit dieser so sanften Stimme und lächelte leicht.
´Fürchte dich nicht´, ertönte mit einem Mal ihre Stimme in ihrem Kopf und ließ Gweneth vor Schreck erstarren. Doch zur selben Zeit konnte sie nicht anders, als ihr Glauben zu schenken und plötzlich war ihre anfängliche Angst verschwunden. Erst jetzt fand sie den Mut, langsam aufzustehen und sich das Laub von ihrem Kleid zu zupfen. Sie verbeugte sich ehrfürchtig, dennoch brachte sie keine Wörter über ihre Lippen, da sie zu sehr eingeschüchtert war von der engelsgleichen Präsenz der Elbin. Jetzt, wo sie stand, bemerkte sie auch, dass die Elbin eine große Frau war, die selbst Éomer überragte. Sie war gekleidet in ein weißes kostbares Gewand, das sich an ihre schlanke Figur schmiegte. Es schien zu strahlen und als die Elbenfrau einen Schritt auf sie zuging, schillerte es in Silber- und Goldtönen.
„Seid… seid Ihr die Herrin Galadriel?“, hauchte Gweneth schon fast und sah ihr Gegenüber mit weit aufgerissenen Augen an, die gefüllt waren voller Ehrfurcht.
Die Frau lächelte leicht und das Lächeln bohrte sich unweigerlich in ihr Herz. Der Ring an Gweneths Finger schien leicht zu pulsieren und sie hatte das Gefühl, als wäre sie der Herrin schon einmal begegnet.
„Mae, die bin ich… es erfreut mein Herz, einer Nachfahrin von Mallos zu begegnen.“
Sie ging weiter auf Gweneth zu und die Blätter unter ihren nackten Füßen gaben nach, ohne ihren vertrauten Laut von sich zu geben. Kurz vor Gweneth blieb sie stehen und sah sie weiterhin aus ihren blauen Augen freundlich und zugleich durchdringend an. Sie hob ihre Hand an und ihre langen, schmalen Finger strichen bedächtig über eine Strähne von Gweneths dunklem Haar. Die Berührung ließ sie sanft erschaudern und von Galadriels Fingern ging eine Wärme aus, die bis in ihr Inneres drang. Die Wärme schien sie komplett auszufüllen und eine Zuneigung, wie sie es noch nie bei einer fremden Person gespürt hatte, drang aus ihrem Herzen empor.
„Du siehst ihr wahrlich sehr ähnlich.“
Gweneth lächelte und musste unweigerlich an Mallos in ihrem Traum denken.
„Jedoch hat mein Äußeres nicht den Glanz und nicht diese Schönheit einer Elbin.“
Nun lächelte auch Galadriel und ließ ihre Strähne sachte los.
„Dieser Zauber ist in deinem Blut schon lange erloschen“, meinte sie leise und ein Ausdruck von Trauer schlich sich in ihre wunderschönen Augen.
„Es ist schon lange her, dass sie diese Welt für immer verlassen hat und dennoch ist sie in meinen Erinnerungen noch so lebendig.“
Still betrachtete Gweneth das makellose Gesicht der Elbin, die in Erinnerungen versunken war, und wusste mit einem Mal, woher das Gefühl der Verbundenheit und des Vertrauens kam. Es mussten die Erinnerungen von Mallos sein, die in dem Ring eingraviert waren und auf Galadriel reagiert hatten. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, erwachte Galadriel aus ihrer Melancholie. Entschuldigend lächelte die Elbenfrau Gweneth an und ein ernsterer Gesichtsausdruck erschien auf ihrem Antlitz.
„Unsere Zeit ist knapp bemessen, denn bald wirst du wieder umkehren müssen. Dennoch möchte ich dir einen Blick in meinen Spiegel gewähren, wenn du es denn möchtest.“
Gweneth spürte instinktiv, dass es eine große Ehre sein musste, in diesen Spiegel zu blicken.
„Was wird er mir denn zeigen?“, fragte sie vorsichtig, schien jedoch die Antworten schon zu erahnen.
„Der Spiegel zeigt Dinge, die waren, Dinge, die sind und Dinge, die vielleicht noch geschehen mögen.“
Gweneth schluckte kurz hart, wusste aber, dass ihre Neugierde zu groß war und verdrängte die Angst, die langsam in ihr empor kroch.
„Ich wage es, einen Blick in Euren Spiegel zu werfen.“
Galadriel nickte ihr lächelnd zu und drehte sich dann um, während sie sprach:
„Dann folge mir.“
Mit diesen Worten folgte Gweneth ihr durch den Goldenen Wald und fragte sich insgeheim, wohin sie gingen. Als ob Galadriel ihre Gedanken erahnt hätte, sprach sie:
„Unser Weg führt uns nach Caras Galadhon, der Hauptstadt von Lothlórien.“
„Ist dort auch Euer Wohnsitz?“
Gweneth holte etwas auf und lief nun neben der anmutig schreitenden Elbin. Als sie zu Galadriel sah, erkannte sie, dass sie lächelte.
„Ja, dort leben und herrschen mein Gemahl und ich über die Weiten des Goldenen Waldes.“
Gweneth warf einen Blick in den Wald und ließ ihren Blick über die silbernen und goldenen Blätter wandern.
„Ihr herrscht über ein beeindruckendes Reich… noch nie sah ich solche Pracht. Ist es Eure Magie, die ihn erschaffen hat?“
„Nicht ganz… der Ursprung des Mallorn liegt in Tol Eressea, einer Insel vor der Küste Amans. Der sechste König von Númenor schenkte dem König Gil-galad von Lindon einige seiner Früchte. Jedoch gediehen sie nicht in Lindon und so schenkte er sie mir. Mit meiner Macht war es mir möglich, sie erblühen zu lassen und es entstand unser Reich der goldenen Bäume“, sprach sie in einem sanften Ton und begierig lauschte Gweneth der schönen Stimme.
Als Galadriel schwieg, betrachtete sie eine Weile beeindruckt die wunderschönen Stämme der Mellyrn, die im Schein der Sonne zu leuchten schienen. Nachdem sie einige Zeit in der Schönheit der Bäume gefangen war, bemerkte Gweneth, dass ihr Weg langsam immer steiler zu werden schien.
Innerlich fragte sie sich, ob sie noch weit laufen mussten, denn sie sorgte sich um die Gefährten, die sie zurückgelassen hatte.
„Ist es noch weit?“, fragte sie zaghaft und hoffte, es würde sich in Galadriels Ohren nicht allzu quengelig anhören.
Diese schien jedoch eher belustig, denn ihr Lächeln wurde ein klein wenig breiter.
„Nein, wir werden gleich zu den Toren gelangen. Vielleicht vermögt Ihr schon den Eingang zu Caras Galadhon und der Brücke zu sehen.“
Gweneth hob ihren Blick und erkannte in weiter Ferne eine hohe, grüne Mauer, die sich durch den Wald zog und ihren Blicken im dichten Wald entschwand. Zwar konnte sie noch keinen Eingang, geschweige denn eine Brücke ausmachen, dennoch wurde ihre Neugierde immer größer. Während sie auf den Eingang zugingen, bemerkte Gweneth, dass die Mallornbäume immer höher und breiter wurden. Sie konnte die Baumstämme nicht mal mehr mit ihren Armen ganz umschlingen. Sie glichen immer mehr mächtigen Säulen und ihr Blätterdach war groß und fächerte sich weit auf. Fasziniert betrachtete sie die hohen Kronen und als sie ihren Blick wieder nach vorne richtete, konnte sie nun eine breite Brücke ausmachen, die sanft in einem weißen Licht zu leuchten schien. Als sie diese erreichten, erhoben sich an ihrem Ende mächtige Tore, auf die Galadriel zuging. Zögernd folgte Gweneth ihr und hörte noch, wie sie leise melodische Wörter in einer fremden Sprache sagte. Ohne dass Gweneth jemand anderes sah oder hörte, öffneten sich die Tore und zusammen durchschritten sie diese. Sie standen nun in einer tiefen Gasse zwischen den Enden der Mauern, die sie jedoch rasch hinter sich ließen. Gweneth hatte mit vielem gerechnet, dennoch nicht mit dem, was sie sah. Mallornbäume, dick und hoch wie Hochhäuser ragten in den Himmel und als sie ihren Blick hob, erkannte sie um die Bäume herum hölzerne Plattformen, auf denen gewiss ein weiteres Haus gepasst hätte. Hier und da zogen sich Stege von einem Baum zum anderen. An manchen Bäumen wand sich eine Treppe nach unten, die jedoch immer weit über dem Boden auf einer kleineren Plattform endete. Gweneth merkte, dass Galadriel weiterging und folgte ihr abwesend, während sie die vielen Plattformen bestaunte. Zusammen schritten sie über viele Treppen und Pfade, die so verworren waren, dass Gweneth sich sicher war, den Weg gewiss nicht allein zurück zu finden.
Neugierig sah sie sich um, immer in der Hoffnung, Bewohner der Stadt zu sehen, jedoch konnte sie keine ausmachen. Dennoch erklangen ringsum und hoch oben in den Lüften viele Stimmen. Später meinte sie, Gesang zu hören, der herabfiel, wie sanfter Regen auf Blätter und sie mit einer unendlichen Ruhe erfüllte.
„Herrin Galadriel?“, fragte Gweneth zögernd und die blonde Elbin drehte sich zu ihr um.
„Sind all Eure Untertanen außerhalb der Stadt oder weshalb sehe ich keine weiteren Elben?“
Galadriel lächelte und ging dann weiter.
„Ihr seht keine, weil sie nicht gesehen werden möchten. In diesen dunklen Zeiten erhalten wir nicht oft Besuch. Für wahr mag es für sie seltsam erscheinen, dass mich ein Menschenmädchen mit solch seltsamer Haut und Augen begleitet“, meinte sie sanft mit ihrer tiefen Stimme und konnte sich ein leichtes, glockenhelles Lachen nicht verkneifen.
„Sie… sie haben wohl doch keine Angst vor mir?“, fragte Gweneth bestürzt und Galadriel lachte erneut melodisch.
„Wohl keine Angst, aber vielleicht eine gewisse Skepsis.“
Gweneth konnte es kaum glauben und sah wieder verwirrt zu den vielen Plattformen, die sich um die Bäume schlangen.
„Ich finde es beeindruckend, dass ihr die Bäume nicht zerstört, sondern mit in euer Leben einbezogen habt. Es scheint mir, als wäre Eure Stadt um die Bäume herum gewachsen.“
„Dies verdanken wir deiner Vorfahrin. Die Mallornbäume lagen ihr sehr am Herzen“, hauchte Galadriel und Gweneth bemerkte, dass sie nun abseits der großen Bäume waren und bald darauf durchschritten sie eine hohe grüne Hecke. Dahinter befand sich ein umzäunter Garten, in dem keine Bäume wuchsen und der unter offenem Himmel lag. Galadriel stieg eine lange weiße Treppe hinunter in eine grüne Mulde. Gweneth folgte ihr und sah, dass durch die Mulde ein silberner Bach floss. Auf dem Grund der Mulde stand ein niedriger Sockel, der wie ein Baum mit Ästen geformt war und trug eine breite, flache, silberne Schale. Daneben stand eine silberne Karaffe, die Galadriel mit dem Bachwasser füllte und dann die Schale bis zum Rand hin auffüllte. Sie hauchte darauf und als sich das Wasser beruhigt hatte, drehte sie sich zu Gweneth um.
„Dies ist mein Spiegel. Möchtest du immer noch hinein sehen?“
Gweneth ging langsam darauf zu und zögerte jedoch kurz. Doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und nickte.
„Ich werde es wagen.“
„Dann soll es so sein. Berühre jedoch nicht das Wasser!“
Wieder nickte Gweneth, trat näher an die Schale heran und beugte sich über sie. Das Wasser sah streng und dunkel aus, obwohl sich der helle Himmel darin spiegelte. Geduldig wartete Gweneth, bis sich etwas tat. Plötzlich verschwand der Himmel und der Spiegel wurde erst grau und dann klar.
Zu Beginn war das Bild verschwommen, so dass sich Gweneth unweigerlich etwas hinunterbeugte. Doch dann meinte sie, eine grüne, sanft gewellte Landschaft zu erkennen und etwas Goldenes schimmerte in der Ferne. Dann verschwand das Bild und zeigte Éomer, jedoch waren seine Haare grau und eine Krone zierte sein Haupt. Er stand auf dem Vorsprung vor der Goldenen Halle und schien etwas mit leuchtenden Augen zu beobachten. Dann sprang plötzlich ein kleines Mädchen mit blonden Haaren in die Arme von Éomer, der sie auffing und voller Glück lachte. Er hob sie hoch auf seine Arme und wendete sich zum Gehen. Das kleine Mädchen wendete ihr Gesicht, sah Gweneth direkt an und ihre Augen hatten die Farbe von Topas.
Etwas schien sich wieder zu verändern, denn Éomer ließ das Kind los und es verschwand mitten in der Luft. Er blieb stehen, als er plötzlich eine Frau aus der Halle Meduseld schreiten sah, die Gweneth noch nie gesehen hatte. Sie war schön und anmutig, gleich einer Elbin.
Doch Éomer drehte sich weg und Gweneth konnte wieder in sein Gesicht blicken. Dieses Mal sah sie keine Lachfältchen, sondern ein zerfurchtes Gesicht voller Gram und Sorge. Seine Augen waren kühl und es schmerzte Gweneth, ihn so zu sehen. Aber dann schien er etwas aus seinem Beutel zu kramen und seine Augen wurden weicher. Begierig konzentrierte sie sich auf diesen Gegenstand in seiner Hand, der in der Sonne golden zu schillern schien. Er drehte ihn gedankenverloren in der Hand und endlich sah Gweneth, was er in der Hand hielt. Es war eine Patronenhülse.
Das Bild verschwand plötzlich und zeigte einen Friedhof, wie er in ihrer Welt war. Verwundert runzelte sie die Stirn, als plötzlich eine Trauergesellschaft im Bild erschien. Es regnete und nur schwer konnte sie die Gesichter der schwarz gekleideten Menschen ausmachen. Doch dann erkannte sie ihre beste Freundin, deren Gesicht tränenüberströmt war. Sie klammerte sich an eine Frau, die sie schließlich als ihre Mutter erkannte. Sie weinte nicht, dennoch war ihr Gesicht steinern und zeigte einen Schmerz, der ihr das Herz zerbrach. Auch ihr Vater, der neben ihr stand, vergoss keine Tränen, dennoch waren seine Augen leer. Zuerst wunderte sie sich, auf wessen Beerdigung sie waren, doch dann begriff sie es. Bevor sie es in Gedanken fassen konnte, veränderte sich das Bild erneut.
Zuerst sah sie wieder Edoras, aber dieses Mal stand es in Flammen. Wieder veränderte es sich und eine gigantische weiße Stadt erschien, die jedoch zerstört war und in jedem ihrer sieben Ringe brannte ein großes Feuer. Sie sah, wie Orks über das Land zogen, mit Waffen, die es eigentlich in Mittelerde nicht geben sollte. Wieder verschwamm es vor ihren Augen und nun sah sie das Haus ihrer Eltern. Es stand in Flammen.
Die Stadt dahinter brannte ebenso lichterloh und überall lagen Tote auf dem Boden. Plötzlich explodierte etwas Gigantisches im Hintergrund und als sie genauer hinsah, erkannte sie die große, pilzartige Wolke, die gen den blutroten Himmel zu streben schien. Im nächsten Moment sah sie schon die Duckwelle auf sich zurollen. Alles wurde unter ihr zermalmt und sie konnte die sengende Hitze spüren, als wäre sie dort. Sie kam immer näher und es wurde immer heißer, bis sie schließlich bei ihr war und das Wasser im Spiegel verdampfte schlagartig.
Gweneth sah auf den Boden der silbernen Schale und erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Herz in ihrer Brust laut pochte und ihr Atem schnell ging. Kalter Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet, den sie nun mit kalten, zittrigen Fingern wegwischte.
Leicht verstört sah sie Galadriel an, deren Miene versteinert war und Gweneth kühl musterte.
„Ich weiß, was du gesehen hast“, flüsterte sie und Gweneth fing plötzlich an zu zittern.
„Was habe ich gesehen?“, fragte Gweneth mit bebender Stimme und Galadriel schwieg jedoch kurz.
„Ich denke, dass du die Antwort bereits kennst.“
Starr sah sie Galadriel an und nickte dann schließlich.
„Ich… ich ahne, was ich sah.“
Kurz warf sie einen Blick zur blonden Elbin, die ihr jedoch leicht zunickte.
„Zuerst sah ich, was passieren würde, wenn ich bei Éomer blieb. Wir wären glücklich und bekämen zusammen eine wunderschöne Tochter.“
Die Vorstellung daran ließ sie leicht lächeln. Dennoch veschwand dieses schnell wieder.
„Und ich sah, was passiert, wenn ich ihn zurückließe. Er würde jemand anderes heiraten, wäre jedoch unglücklich und ich wäre immer noch in seinem Herzen. Dann sah ich, wie meine Eltern und meine beste Freundin an meinem Grab trauerten, da sie mich für tot hielten. Doch weiß ich nicht, ob dies die Zukunft, die Gegenwart oder die Vergangenheit ist.“
Unsicher sah sie wieder zu Galadriel, die jedoch ihre Frage nicht beantwortete.
„Dann sah ich, was passieren würde, wenn Sauron den Ring besitzen würde. Mittelerde und meine Erde würden im Atomkrieg untergehen. Er würde alle töten oder versklaven.“
Ihre Stimme brach weg und ein Zittern rollte durch ihren Körper. Ihr war kalt und schlecht. Dennoch hob sie ihren Blick und sah Galadriel fest in die Augen.
„Mein Begräbnis… wann wird dies sein oder ist es schon geschehen?“
Galadriel schwieg und schien kurz zu überlegen, bevor sie antwortete.
„Dies ist schon geschehen“, flüsterte sie und Gweneth knickten die Beine weg.
Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen ungehindert über ihre Wangen.
„Wirst du denn nun auch gehen mit dem Wissen, dass Éomer ohne dich nicht glücklich sein kann?“
Mit tränennassen Augen sah sie zu Galadriel, die lautlos zu ihr gegangen war und sich neben sie gesetzt hatte.
„Wie könnte ich nicht gehen? Ich meine… ich liebe ihn wirklich, aus meinem tiefsten Herzen und zu wissen, dass er ohne mich unglücklich wird, bricht mir das Herz…. aber wenn ich hier bleibe, ist das Risiko zu groß, dass Sauron den Ring bekommt. Wenn ich hier bleibe… sind mehr Menschen unglücklich und leiden… Selbst ihm wird es schlimmer ergehen… Es ist das geringere Übel, wenn ich diese Welt für immer verlasse.“
Galadriel wischte ihr die Tränen von den Wangen und in ihrem Blick lag so viel Traurigkeit. Dann sprach sie in einem sanften, eindringlichen Ton:
„No veren! Lasto bethan: Telitha lû ammaer.“
(Sei tapfer! Höre auf mein Wort: Es wird eine besser Zeit kommen.)
Ihre Worte sickerten wie Wasser in Gweneths Inneres und beruhigten sie sogleich, obwohl sie keine Silbe davon verstanden hatte. Ihre Tränen stockten und neuer Mut wuchs in ihr.
„Ihr seid wahrlich eine Ringträgerin… denn auf all unser Schicksal liegt eine schwere Last.“
Galadriel hob ihre Hand und Gweneth erblickte Nenya, den Ring des Wassers, geschaffen aus Mithril und einem Adamanten. Die Form erinnerte Gweneth an eine Blüte, deren Wurzeln sich filigran um ihren mittleren Finger schlangen, und wie der Mond in einer dunklen Nacht leuchtete. Dann ließ Galadriel wieder ihre Hand sinken und der helle, fein gearbeitete Stoff fiel wieder über ihre Hand.
„Doch Eure Last scheint doch um so vieles schwerer. Um das Wohl beider Welten nicht zu gefährden, lasst Ihr den einzigen Menschen allein, der Euch mehr geben kann, als einen Ort, den Ihr Zuhause nennen könnt. Ich bewundere eure Stärke, Gweneth, die selbst Mallos‘ um vieles überragt und nun, steht auf!“
Galadriel hatte sich aufgerichtet und reichte Gweneth lächelnd eine ihrer schmalen Hände. Gweneth griff ohne zu zögern danach und mit einem Schwung stand sie wieder auf den Beinen. Mut und Zuversicht strömten durch sie hindurch. Noch nie war sie sich so sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie würde nicht mehr wanken, sondern mit erhobenem Haupt ihrem Schicksal entgegen blicken.
„Ich danke Euch, Herrin Galadriel, dass Ihr mir einen Blick in Euren Spiegel gewährt und mir mit Euren Worten neuen Mut geschenkt habt.“
Sie verbeugte sich respektvoll vor Galadriel, die ebenfalls den Kopf neigte.
„Mein Herz erfreut sich, Euch kennengelernt zu haben und solange die Sterne über meinem Haupt funkeln, werde ich an Euch denken. Es war mir eine Ehre, Euch begegnet zu sein, Tochter von Mallos, aus dem Volk der Menschen der Anderswelt.“
Erneut verbeugten sie sich voreinander und gerade wollte sie sich hinsetzen, um über Arda zu wandeln, als Galadriel sie innehalten ließ.
„Ich möchte Euch noch etwas geben.“
Sie schritt zu einer der weißen Bänke und nahm ein Bündel in die Hand. Dieses überreichte sie Gweneth, die es neugierig musterte. Es war etwas Weiches, eingeschlagen in einem silbrigen Stoff, der sich wie Wasser anfühlte.
„Mit diesen Geschenken erwacht der Glanz eures Blutes erneut. Öffnet dies jedoch erst, wenn ihr in Eurer Welt seid.“
Gweneth schluckte ihre Neugierde runter und verbeugte sich dann erneut vor Galadriel.
„Ich danke Euch für alles.“
Galadriel erwiderte den Gruß und gab ihr dann einen sanften Kuss auf die Stirn.
„Doch nun geht, nicht länger dürft ihr hier verweilen…Namarie.“
„Lebt wohl.“
Mit diesen Worten setzte sie sich auf den Waldboden, warf einen kurzen Blick auf Galadriel, die gleich einer wunderschönen Statue neben ihrem Spiegel stand und sie lächelnd beobachtete. Doch dann erinnerte sie sich noch an ein Versprechen, das sie ihrem Freund gegeben hatte.
„Herrin, ich habe noch eine Botschaft von Herrn Gimli.“
Galadriel schien kurz überrascht, lächelte dann jedoch.
„Er richtet Euch seine tiefe Bewunderung und Loyalität aus.“
Ihr Lächeln wurde breiter und war voller Wärme.
„Ich danke dir für seine Worte. Es war mir eine Freude, einen Zwerg wie ihm begegnet zu sein.“
Gweneth nickte und sah ein letztes Mal zu Galadriel. Sie versuchte sich die Herrin des Goldenen Waldes in allen Einzelheiten einzuprägen und schloss dann ihre Augen. Tief prägte sie sich die engelsgleiche Erscheinung in ihrem Herzen ein und lächelte kurz. Dann legte sie das Geschenk in ihren Schoß und konzentrierte sich auf das wärmende Feuer in Edoras.
Wenige Herzschläge später spürte sie den kühlen Stein unter ihrem Gesäß und die Wärme des Feuers in ihrem Gesicht.

Kapitel 1-10

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Kapitel 41-50

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Kapitel 51-60

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