Der Ring der Erde

Kapitel 34

Gweneth kuschelte sich an seine breite, nackte Brust und konnte einfach nicht aufhören zu lächeln. Es war, als würde seine Anwesenheit ihr Herz komplett ausfüllen und sie fühlte sich so sehr geliebt, wie noch nie zuvor.
´Ob es wohl damit zusammen hängt, dass ich elbisches Blut in den Adern habe? Kann ich deswegen so extreme Liebe empfinden? Und selbst wenn… ich genieße jeden Augenblick mit ihm.´
Sie seufzte leise und zog leichte Kringel mit ihrem Finger auf seiner Brust. Éomer brummte leise und als sie ihn vorsichtig ansah, hatte er genüsslich die Augen geschlossen und ein zufriedenes Lächeln lag auf seinen Lippen. Langsam legte sie sich wieder hin und nahm dann verträumt ihre Kette zwischen zwei Finger. Ihr Herz schlug mehrere Male heftig und sie drückte das goldene Herz fest an ihre Brust.
Wind strich durch die Blätter und ließ sie leicht frösteln, obwohl er sie mit seinem Wams zugedeckt hatte. Gänsehaut lief ihr den Rücken hoch und brachte sie leicht zum Zittern. Dennoch genoss sie die Zweisamkeit so sehr, dass sie versuchte, die Kühle zu ignorieren und rutschte noch enger an Éomer heran. Dieser zog sie näher zu sich und warf ihr dann einen warmen Blick aus seinen hellbraunen Augen zu.
„Wir sollten langsam umkehren. Der Wind wird kühler und vor Anbruch des Abends sollten wir in Edoras sein.“
Éomer küsste ihre nackte Schulter und sog ihren Duft tief ein.
„Du hast Recht“, meinte sie ergeben, mit einem Hauch von Traurigkeit.
Er umarmte sie ein letztes Mal und klaubte sich dann seine Sachen zusammen, während Gweneth ihre suchte. Schnell hatten sie sich angezogen und Gweneth versteckte die Kette unter ihrem Pullover. Mit klopfendem Herzen spürte sie das kühle Metall auf ihrer nackten Haut und konnte sich ein glückliches Lächeln nicht verkneifen.
Schnell half sie ihm, alles einzupacken und banden dann ihre Pferde los. Doch bevor sie ihr Pferd besteigen konnte, wandte sich Éomer noch einmal zu ihr um und küsste sie leidenschaftlich. Genüsslich erwiderte sie den Kuss und strich ihm dann sanft über seinen kurzen Bart.
Tief sahen sie sich in die Augen, als plötzlich Kolfreyja nervös den Kopf zurückwarf und auch Feuerfuß nervös tänzelte. Verwirrt sah Gweneth zu ihren Pferden und versuchte, Kolfreyja zu beruhigen, doch deren Augen waren weit aufgerissen und Gweneth sah, wie sie zitterte. Feuerfuß scharrte mit den Hufen und auch Éomer versuchte, ihn zu beruhigen, was ihm jedoch nicht gelang. Éomers Augen wanderten wachsam über das Gebüsch und sie spürte, wie er sich mit einem Mal anspannte.
„Éomer, was…?“, doch sie unterbrach sich, als sie sah, wie er einen Zeigerfinger auf seine Lippen legte und sie warnend ansah.
Das selbst Éomer nun unruhig wurde, ließ sie nervös werden. Unsicher sah sie ins Dickicht und versuchte nebenbei, Kolfreyja zu beruhigen, die kurz vor einem Reißaus stand. Langsam ging Éomer zu Gweneth und drückte ihr Feuerfuß‘ Zügel in die noch freie Hand. Dann stellte er sich vor sie hin und legte seine Hand langsam an den Griff seines Schwertes.
Gweneth versteifte sich und ihre Finger verkrampften sich um die Zügel. Ihr Herz dröhnte in der Brust und sie wusste, dass etwas nicht stimmte. Mit einem Mal drehte sich der Wind und ein widerlicher Gestank schlug ihnen entgegen.
„Orks…“, zischte Gweneth leise und ihr Herz schlug panisch schneller.
Innerlich verfluchte sie sich, dass sie ihr Schwert nicht dabei hatte. Ein schneidendes Geräusch ertönte und mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu Éomer, der sein Schwert langsam aus der Scheide zog.
„Geh!“, befahl er und seine Stimme war ihr noch nie so hart und so voller Befehlsgewalt vorgekommen. Ein Teil von ihr wollte ihm gehorchen, zurück reiten und Verstärkung holen. Doch der andere Teil fürchtete sich davor, ihn allein zu lassen und ihn womöglich nie wieder zu sehen.
„Nein!“, widersprach sie mit fester Stimme und ihre Augen waren voller Entschlossenheit, als er sich wütend zu ihr umdrehte.
Ihre Augen trafen sich und in seinen konnte sie Furcht und Angst erkennen, die jedoch nicht ihm galt. Aber sie war sich sicher, dass dieselbe Angst auch in ihren Augen lag. Doch bevor er etwas erwidern konnte, brach der erste Ork aus dem Gebüsch hervor. Seine gelbglühenden Augen leuchteten, während seine verstümmelten Gesichtszüge sich vor Freude verzogen, als sein Blick über die zwei wanderten und er sah, dass Gweneth unbewaffnet war.
Der Ork grunzte laut und plötzlich traten aus dem Gebüsch drei weitere Orks.
Gweneths Herzschlag setzte kurz aus, um danach schneller weiter zu schlagen. Éomer hingegen reagierte blitzschnell. Er schnellte nach vorne und mit einer schwungvollen Armbewegung, schlug er dem vordersten Ork den Kopf ab. Dunkles Blut spritzte hoch in den noch erhellten Himmel und befleckte Éomers Schneide. Die anderen drei sahen ihn verblüfft und dann wütend an. Sie schrien so laut, dass es in ihren Ohren schmerzte und rannten mit einem Mal auf eine groteske Art und Weise auf ihn zu. Sie zogen ihre langen Schlachtermesser und schlugen auf Éomer ein. Aber er hob immer rechtzeitig sein Schwert und blockte ihre Angriffe. Jeder klirrende Schwerthieb ließ Gweneths Herz vor Angst erzittern und ihren Körper lähmen. Sie nahm um sich herum nichts weiter wahr, als den Kampf, den sie mit großen, angstvollen Augen beobachtete. Éomer drehte sich geschickt, wich einem Schlag aus und hieb einem anderen Ork die Arme ab. Mit einem dumpfen Geräusch fielen sie zu Boden und während der Ork noch verwundert auf seine Armstümpfe sah, bohrte Éomer seine Klinge tief in den Körper des Orks. Mit einem kleinen Aufschrei fiel dieser um und er zog sein Schwert mit einem Schmatzen aus dessen Körper.
„Geh!“, schrie er dieses Mal, doch sie konnte sich nicht rühren.
Zu sehr hielt sie ihre Sorge um ihn hier, aber gleichzeitig hatte sie auch große Angst vor den Orks, denen sie unbewaffnet gegenüberstand. Sie wünschte sich erneut ihr Schwert herbei, damit sie Seite an Seite mit ihm kämpfen konnte.
Zwei Orks waren noch übrig, die sich mit ihren schwarzen Zungen über die spitzen Zähne leckten. Zusammen stürzten sie sich auf Éomer und nur mit größter Anstrengung konnte er beide in Schach halten. Plötzlich duckte sich einer der Orks unter seinem Hieb hinweg und verletzte Éomer mit der Spitze seiner gezackten Klinge am Bein. Blut lief an diesem hinunter und Gweneth erwachte aus ihrer Starre. Heiß brodelnde Wut kochte in ihr hoch und ein rotes Tuch legte sich vor ihre Augen. Wie in Zeitlupe ließ sie die Zügel der Pferde los, ging schnellen Schrittes zu dem toten Ork, nahm sein Schwert aus seinen Händen, wendete sich zu den Orks und mit einem gewaltigem Aufschrei rannte sie auf diese los. Ehe die Orks verstanden, was jetzt vor sich ging, hatte sie die lange Klinge in die Kehle des nächsten Orks gerammt. Blut spritzte ihr entgegen und besudelte ihr Gesicht und ihre Kleidung. Mit einem weiteren Schrei zog sie ruckartig das Schwert heraus und wendete sich dem zweiten zu.
Dieser kämpfte bereits mit Éomer und als dieser gerade einen Schlag parierte, mischte sich Gweneth mit ein. Sie bohrte hinterrücks ihr Schwert in den Rücken des Orks, der schmerzhaft quietschte und mit den Knien auf den Boden fiel. Éomer verzog wütend sein Gesicht, holte aus und schlug ihm mit einem einzigen, kraftvollen Schlag den Kopf ab. Gweneth stieß den kopflosen Körper zu Boden und betrachtete ihn schwer atmend. Das Adrenalin wich langsam aus ihrem Körper und die Wut verebbte in ihr.
„Gweneth“, hörte sie Éomer flüstern und als sie ihren Kopf hob, sah sie gerade noch, wie er sie packte und in eine enge Umarmung zog. Erleichtert umarmte sie auch ihn und drückte ihn fest an sich. Sie hob sachte ihren Kopf und sah in seine besorgten, hellbraunen Augen. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie zärtlich. Nur zu gerne erwiderte sie diesen Kuss und schmiegte sich noch näher an ihn, doch dann fiel ihr wieder seine Verletzung ein.
„Du bist verletzt!“ Sie riss sich von ihm los und wollte sich hinknien, doch Éomer hielt sie an ihren Schultern fest.
„Sorge dich nicht, es ist nur ein Kratzer. Doch was ist mit dir?“
Schnell wanderten seine Augen über ihren Körper.
„Mir ist nichts geschehen.“
Sie wendete ihren Kopf zu den zerstückelten Orks und ein Schauer durchfuhr ihren Körper. Éomer folgte ihrem Blick, ließ sie los und besah sich die Orks genauer.
„Späher“, murmelte er und ihr Herz verkrampfte sich schlagartig.
„Sie sind wegen mir gekommen… wegen des Rings“, flüsterte sie und ein Schatten warf sich auf ihr Herz.
„Wegen mir wurdest du verletzt.“
Ihre Augen glitzerten und Kälte befiel ihre Glieder. Schneller, als sie realisieren konnte, war er zu ihr gegangen und packte sie beinahe grob an beiden Armen.
„Sieh mich an“, brummte er, doch sie schien wie versteinert.
„Sieh mich an!“, schrie er fast und schüttelte sie sanft.
Gweneth erwachte aus ihrer Trance und ihr Blick wanderte zu ihm hoch.
„Ich wurde verletzt, da ich einen Augenblick unaufmerksam war. Gib also nicht dir die Schuld!“, knurrte er und sie atmete zittrig ein.
Die erste Träne lief ihr über das Gesicht und ihr Herz schmerzte.
„Es werden mehr kommen… nicht wahr? Sauron weiß, dass ich hier bin… er wird nichts unversucht lassen, um an den Ring heran zu kommen.“
Ein Ruck fuhr durch ihren Körper, als er sie fest in seine Arme schloss. Sie schmiegte sich an ihn und Angst kroch in jedes ihrer Gliedmaßen und ihr war so unglaublich kalt, dass sie leicht anfing zu zittern.
„Er wird dich nicht bekommen! Komm, ich bringe dich erst einmal zurück und dann werde ich jedem die Hände abhacken, der es wagt, seine Finger nach dir zu recken!“, knurrte er und obwohl sie auch Angst um ihn hatte, war sie dennoch ein klein wenig erleichtert. Er würde sie beschützen, selbst wenn er dadurch sein Leben verlieren würde.
´Nichts anderes würde ich an seiner Stelle tun.´
Einen Moment lang verweilten sie noch in einer engen Umarmung und lösten sich dann von einander. Er küsste sie ein letztes Mal auf den Scheitel und sah sich dann nach den Pferden um. Jedoch waren sie nicht in Sichtweite. Die Orks mussten sie erschreckt haben.
Éomer legte zwei Finger an die Lippen und pfiff laut und durchdringend. Keinen Atemzug später, hörten sie Hufschläge und beide Pferde preschten die Senke hinunter. Schnaubend hielten sie vor ihnen und beide schwangen sich auf ihre Pferde.
Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, spornten sie beide zu einem Jagdgalopp an und zusammen preschten sie über das grüne Wellenland.
Die Sonne ging langsam unter und tauchte das Gras in ein sanftes, oranges Licht. Doch Gweneth achtete nicht auf die Schönheit, denn die Sorge und Angst trieb sie nur noch weiter an. Nach einiger Zeit konnte sie in der Ferne Edoras entdecken und lächelt erleichtert, als sie immer näher kamen. Kurz vor den Toren zügelten sie ihre Pferde und trabten durch die offenen Tore ins Innere. Sie ritten den Weg zügig nach oben zu den Stallungen.
„Hethra!“, rief Éomer plötzlich, als sie die Stallungen erreicht hatten und eine Befehlsgewalt lag in seiner Stimme, die sie selbst vorhin nicht gehört hatte.
Sofort rannte ein Mann in voller Rüstung und rötlichem, langen Haar zu ihnen.
„Mein Herr?“
Éomer schwang sich von Feuerfuß, der gleich darauf von einem Stallburschen gehalten wurde.
„Stelle eine zwanzigköpfige Reitergruppe zusammen! Orks treiben nördlich ihr Unwesen! Rasch!“
Schnell verbeugte sich Hethra und eilte davon. Dann wies Éomer den Stallburschen an, Feuerfuß zu umsorgen, bis er wieder da war. Schließlich wendete er sich Gweneth zu, die ebenfalls abgestiegen war und ihn mit großen Augen ansah.
„Ich reite sogleich los.“
Ihre Augen wurden noch größer und Angst schnürte ihr Herz zusammen.
„Was hast du vor?“
„Die Späher waren nur ein Vorgeschmack auf dessen, was uns noch erwartet. Es werden mehr Orks in der Gegend herum streifen, auf der Suche nach dir und ich will ihnen nicht die Gelegenheit geben, näher an dich heran zu kommen.“
In ihrem Herzen spürte sie einen schmerzhaften Stich, der ihre Angst nur umso größer werden ließ.
„Bleib bei mir“, flehte sie und erste Tränen traten in ihre Augen.
Angst schien ihre Kehle zuzuschnüren und ihre Hände zitterten. Allein der Gedanke daran, ihn zu verlieren, löste in ihr eine Panik aus.
„Nichts lieber würde ich tun, doch kann ich es nicht.“
„Warum?“
Sie sah ihn mit glänzenden Augen an und nur zu deutlich war die Furcht in ihrem Gesicht zu lesen.
„Es ist meine Pflicht… und vor allen Dingen“, er legte eine Hand sachte auf ihre Wange und strich ihr mit dem Daumen eine Träne hinweg,
„kann ich nicht tatenlos herum sitzen und die Hände in den Schoß legen. Ich finde keine Ruhe, ehe ich dem letzten Ork in Rohan den Schädel eigenhändig gespalten hab.“
„Denkst du, es geht mir anders, wenn ich hier auf dich warten muss? Dass allein der Gedanke dabei mich zerreißt, dass dir etwas geschehen möge! Dass allein bei dem Gedanken, dich zu verlieren, mein Herz anfängt zu zerbrechen!“
„Nein… verzeih, doch ich kann nicht hier bleiben.“
„Dann nimm mich mit“, flehte sie ihn an.
Er nahm seine Hand von ihrer Wange und sah ihr tief in die Augen.
„Du hast bewiesen, dass du mit dem Schwert umgehen kannst und dafür bewundere ich dich. Doch bist du keine Kriegerin und nach dir wetzten sie ihre Messer. Wenn du mitreiten würdest, wäre ich stets um deine Sicherheit besorgt und könnte mich nicht vollkommen auf den Kampf konzentrieren… bleibe hier, denn hier bist du in Sicherheit.“
Sie senkte ihren Kopf und schluckte die Tränen hinunter. Er hatte Recht und das wusste sie. Ihre Bitte war aus ihrem Herzen gekommen und ihr Verstand hatte sie im selben Moment gewarnt, als sie die Worte ausgesprochen hatte.
„Ich bleibe… aber wann wirst du wieder hier sein?“, flüsterte sie mit erstickter Stimme und hob wieder ihren Kopf.
„Ehe die Sonne den neuen Tag ankündigt, werde ich wieder an deiner Seite sein.“
Ohne darauf zu achten, wer womöglich zusehen konnte, packte er sie an der Hüfte, zog sie zu sich und küsste sie hart, aber voller Liebe auf ihre Lippen.
Als er sie wieder los ließ, keuchte sie und er nickte ihr zu, bevor er sich abwendete. Eiligst schritt er die Stufen hinauf und verschwand aus ihrem Sichtfeld. Ihre Beine zitterten und sie konnte nicht anders, als ihm hinterher zu sehen, auch wenn er nicht mehr in ihrem Blickfeld war. Ihre Gedanken kreisten, konnten jedoch keinen klaren treffen.
„Herrin?“, ertönte plötzlich eine Stimme neben ihr und etwas bewegte sich in ihrem Augenwinkel. Sie löste sich aus ihrer Starre und wendete ihren Kopf nach rechts. Dort stand ein junger, blonder Mann, der noch nicht einmal Flaum am Kinn hatte. Mit großen, blauen Augen sah er sie an und sie erkannte an seinem schlichten Äußeren, dass er ein Stallbursche war.
„Was wünscht Ihr?“, fragte sie noch mit leicht brüchiger Stimme, versuchte sich jedoch zu fangen. Vor den Augen eines Jungen wollte sie nicht allzu jämmerlich aussehen.
„Wenn Ihr gestattet, würde ich mich jetzt um Euer Ross kümmern, Herrin.“
Perplex sah sie ihn an und seine Worte sickerten nur langsam in ihr Gehirn.
„Habt Dank, aber ich werde mich selbst um Kolfreyja kümmern.“
Er nickte ihr zu und ging wieder in den Stall hinein. Gweneth atmete tief durch, versuchte einigermaßen den Schmerz und die Furcht zu unterdrücken und führte Kolfreyja in den Stall hinein. Sobald sie die Tore geöffnet hatte, merkte sie sofort, was für ein Durcheinander darin herrschte. Viele Männer sattelten ihre Pferde und riefen sich in ihrer Sprache Wörter hin und her. Gweneth schleuste ihr Pferd durch die wild umher eilenden Männer zu seiner Box und versorgte es dann. Immer wieder warf sie einen Blick zu den Männern und als sie fertig war, führten die letzten Männer ihre Pferde nach draußen. Unweigerlich lief sie ihnen hinterher und stand dann, etwas hilflos aussehend, mitten unter ihnen.
Ein Großteil war schon auf ihren Pferden und als der Rest aufgesessen war, konnte sie mit einem Mal seinen Helm mit dem weißen Pferdeschweif unter den anderen erkennen. Jedoch ging sie nicht zu ihm, denn sie konnte ihre Füße nicht vom Boden heben. Angst lähmte sie und ihr Herz dröhnte in ihrer Brust, umgriffen von eisigen Fingern der Furcht.
Sie wandte ihre topasfarbenen Augen nicht von dem Helm ab, bis einige Männer beiseite ritten und sie ihn erblicken konnte. Stolz saß er auf Feuerfuß und sah sich um. Als sein Blick auf sie fiel, schien einen Moment die Zeit still zu stehen und alle Geräusche verblassten um sie herum. Nur ihren Herzschlag konnte sie deutlich in ihren Ohren hören.
Tief sahen sie sich gegenseitig in die Augen und ein wohliges und zugleich kaltes Zittern rollte durch ihren Körper. Plötzlich nickte er ihr zu und schenkte ihr ein kaum merkliches Lächeln.
„Rohirrim!“, rief er aus voller Kehle, warf ihr dann noch einen flüchtigen Blick zu und ritt mit den anderen los. So schnell wie sie es vermochte, rannte sie die steinernen Stufen nach Meduseld hoch und hielt erst auf dem steinernen Plateau inne.
Sie wandte sich nach Norden und beobachtete, wie die Schar Reiter durch die Tore ritt und gen Horizont zog. Eisige Finger drückten ihr Herz zusammen und sie konnte sich gerade so beherrschen, nicht hier und jetzt anzufangen zu weinen. Ihre Hände krallten sich in den Stoff ihres Pullovers.
„Hab keine Angst, er ist ein guter Krieger und er wird wiederkehren“, sprach eine sanfte, ihr allzu gut bekannte Stimme.
Gweneth sah zur Seite und erblickte Éowyn, die neben ihr stand und ebenfalls gen Horizont sah. Ihre langen blonden Haare wehten im Wind und ihr schneeweißes Kleid ließ sie königlich erscheinen.
„Ich weiß… nichtsdestotrotz bange ich um ihn“, flüsterte sie und hielt sich nur mühsam die Tränen zurück.
Éowyn musterte sie kurz und drehte sich dann zu Gweneth vollends um.
„Hat er es dir geschenkt?“
Fragend sah sie zu Éowyn und wusste nicht, was sie meinte.
„Die Kette“, half ihr Éowyn und entlockte Gweneth ein kleines, aber trauriges Lächeln.
Unweigerlich legte sie ihre Hand auf ihren Pullover, an die Stelle, an welcher der Anhänger auf ihre Haut drückte.
„Ja… ich wollte sie zuerst nicht annehmen, doch du weißt, wie stur dein Bruder sein kann.“
Éowyn lachte kurz und sah dann Gweneth wieder ernst und mit einer gewissen Melancholie an.
„Hat er dir auch erzählt, wem sie zuvor gehörte?“
„Ja… er erzählte mir, dass eure Mutter sie immer getragen hatte.“
Éowyn nickte und lächelte traurig.
„Die Erinnerungen an meine Mutter sind verblasst… aber dieses Schmuckstück habe ich noch gut in Erinnerung… es war ein Geschenk meines Vaters zu ihrer Hochzeit.“
„Wieso ist Éomer im Besitz der Kette, wenn sie dir genauso zusteht?“
„Er wollte es unserem Vater gleich tun. Er schwor sich am Grab unserer Eltern, dass er diese Kette jener schenken werde, die er einmal als seine Frau erwählte.“
Ein Stein legte sich in Gweneth Magen und ihre Kehle schnürte sich eng zusammen.
„Dann kann ich sein Geschenk nicht annehmen! Ich kann niemals seine Frau werden!“
Éowyn sah ihr streng in die Augen und schüttelte ihren Kopf.
„Er hat dich auserwählt und ihm würde es im Herzen schmerzen, wenn du sein Geschenk zurückweist. Behalte sie, als Erinnerung an Liebe, die ihr füreinander empfindet.“
Gweneth atmete schwer ein und strich sich eine Strähne aus ihrem Gesicht. Noch einmal sah sie zum Horizont, konnte die Reiter jedoch nicht mehr erkennen. Zu weit waren sie schon geritten.
„Komm, wir nehmen ein Bad und danach essen wir zu Abend. Mein Bruder wollte, dass ich auf dich achtgebe und das werde ich nun auch tun.“
„Darum hat er dich gebeten?“
Gweneth lächelte sanft, schüttelte leicht mit dem Kopf und eine Wärme umhüllte ihr Herz nun wieder.
´Er ist so süß… dass er extra seine Schwester um Hilfe bittet, aus Sorge um mich. Er ist wirklich… der Beste, den ich mir wünschen konnte.´
„Um genau zu sein, soll ich dich von deinen trüben Gedanken fern halten. Also komm, ein Bad hat noch niemandem geschadet, vor allem wenn so viel Orkblut an dir hängt!“
Éowyn berührte sie sanft am Arm, aber ihr Blick duldete keine Widerworte. Seufzend ergab sich Gweneth und ließ sich von Éowyn hinein führen.
Während sie badeten und sich danach ankleideten, hielt Gweneth ihr Versprechen gegenüber Éowyn und erzählte ihr alles über die Frauen in ihrer Welt. Geduldig beantwortete sie jede Frage und musste immer wieder lachen, wenn sie den ungläubigen Gesichtsausdruck von Éowyn sah. Auch über die vielen kleinen Dinge des Alltagslebens musste sie erzählen und für Gweneth war es besonders schwer, Elektrizität zu erklären und es so darzustellen, dass es sich nicht anhörte wie Zauberei. Sie erzählte ihr jegliche schöne Seiten ihrer Welt und jegliche schlechte Seiten, bis das Abendessen gerichtet war. Jeder, den sie kannte und schätzte, nahm am Essen teil und hob ihre Stimmung ein weiteres Mal. Sie war so beschäftigt, dass die Leere in ihrem Herzen keine Chance hatte, den Rest ihres Körpers einzuhüllen.
Lachend und schwatzend saßen sie an der langen Tafel und begannen ein Gespräch mit Merry über seine Kampffortschritte. Der fröhliche Hobbit brachte sie und die Gefährten immer wieder zum Lachen und auch der König amüsierte sich köstlich über die lebhaften Geschichten von Merry, die hauptsächlich von den Streichen mit Pippin erzählten.
Es wurde viel gelacht und viel gegessen. Immer wieder verwunderte sie es, dass Merry genauso viel essen konnte wie Gimli und zwischen ihnen entfachte bald darauf ein eifriges Wettessen, dass Merry mit kugelrunden Bauch gewann, während Gimli ganz grünlich im Gesicht auf der Bank lag und sich erholte.
Das Abendessen war bald darauf vorüber, jedoch wurden immer noch Geschichten erzählt und eifrig weiter gelacht, aber Gweneth hörte nicht mehr zu.
Nervosität stieg immer mehr in ihr auf, da sie bald den Versuch wagen würde, nach Hause zurückzukehren. Sie hatte Angst, dass sie vielleicht nicht mehr hier nach Mittelerde zurück konnte, aus welchen Gründen auch immer.
´Vielleicht bin ich einfach zu schwach, um hier her zu kommen… oder ich treffe jemanden oder… ach, Mensch, Gweneth! Du hast die Bilder gesehen, du weißt was passiert, wenn du versagst! Hab keine Angst, denn du wirst es versuchen müssen, egal was passiert. Also hör auf, rum zu weinen und fang an!“
Gweneth seufzte schwer und erlangte dadurch die Aufmerksamkeit von Éowyn, die neben ihr saß. Éowyn bemerkte ihren ernsten Gesichtsausdruck und sah sie fragend an.
„Ich werde es jetzt versuchen“, murmelte Gweneth und sah schnell zu Éowyn, die kurz nickte.
Doch auch Legolas hatte ihre Worte gehört und wendete sich ihr zu. Seine wunderschönen hellen Augen sahen in die ihren und mit einem leichten Lächeln nickte er ihr zu.
„Ich wünsche dir viel Glück“, sprach er in seinem sanften Singsang und entlockte ihr ein Lächeln.
Doch obwohl seine Worte leise gesprochen waren, hörte es der Rest vom Tisch. Kurz irritiert sahen alle Legolas an, dessen Augen jedoch immer noch auf Gweneth gerichtet waren. Schließlich schienen alle zu verstehen, außer Merry, der verwirrt zwischen Legolas und Gweneth hin und her sah.
„Wozu brauchst du denn Glück?“
Sie lächelte zaghaft und wandte sich ihm zu.
„Ich werde gleich versuchen, nach Hause zurückzukehren.“
Seine Augen wurden groß und sein Kiefer klappte etwas hinunter.
„Darf ich dabei sein? Also ich meine, zugucken und so“, sprach er schnell und Gweneths Lächeln wurde breiter.
„Eigentlich wollte ich es in meinem Gemach probieren, aber wenn du gerne dabei wärst, werde ich es hier tun“, meinte sie und stand schließlich auf.
Kurz zögerte sie, da sie sich nicht einfach vor ihre Füße setzen wollte. Schließlich entschied sie sich, es wieder bei der Feuerstelle zu tun.
Langsamen Schrittes ging sie darauf zu, während Théoden alle Diener aus der Halle schickte. Die anderen standen alle auf und setzten sich auf Stühle in ihrer Nähe. Sogar Gimli raffte sich unter schwerem Ächzen auf und lehnte sich gegen eine Säule.
Wieder setzte sie sich im Schneidersitz auf den kühlen Boden und spürte die wunderbare Wärme des Feuers auf ihrer Haut. Starr sah sie in die rotglühende Glut und schloss dann ihre Augen.
Kurz atmete sie tief ein und begann schließlich, kontrolliert tief einzuatmen.
´Wo möchte ich denn eigentlich hin…. Am besten wäre es eigentlich, wenn ich es mit meiner Werkstatt probiere… daran hängt der größte Teil meines Herzens und meine Erinnerungen an sie sind stark.´
Sie versuchte sich an die Werkstatt zu erinnern, was ihr auch gelang und als die Erinnerung daran so greifbar war, wiederholte sie immer wieder die Worte „Zu Hause“ in ihrem Kopf, gleich einem ewigen Mantra.
All ihre Gedanken waren darauf gerichtet und von ihrer Umgebung bekam sie so gut wie nichts mit. Die Wärme des Feuers verblasste und sie spürte, wie ihr Geist ihren Körper verließ. Sie spürte, wie sie Mittelerde verließ und mit einem Mal stieß sie gegen eine Wand.
Schmerz zuckte durch ihren Kopf und verwirrt runzelte sie die Stirn. Doch dann verstand sie, dies war die Barriere zwischen ihrer Welt und Mittelerde.
Nun strengte sie sich nur noch mehr an und es fühlte sich an, als ob sie sich mit dem Kopf gegen eine Wand stemmte, die nicht nachgeben wollte. Verbissen kämpfte sie gegen die Wand an und spürte, dass sie langsam nachgab. Sie vergrößerte ihre Anstrengung noch und langsam gab die Wand nach. Zäh wie Kaugummi bog sie sich durch, bis sie mit einem Mal durchbrach. Schon fast lächelte sie, als ihr Geist das Loch durchschlüpfte.
Immer noch wiederholte sie die Worte in ihren Gedanken und mit einem Mal sah sie Wälder und Straßen unter sich vorbei ziehen. Gleich einem Vogel hielt sie plötzlich inne und besah sich ein Haus von oben. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass es ihr Haus war. Im schnellen Sinkflug sank sie hinunter und durchdrang das Dach, bis hinunter in den Keller.
Schon konnte sie die Kälte des Betonbodens unter sich spüren, als für einen kurzen Moment ihr Herz Éomers Namen schrie und Sorge um ihn durch ihren Körper rauschte.
Schmerzen explodierten in ihrem Kopf, heißes Feuer rann durch ihre Adern und ihr Herz schlug so schnell in ihrer Brust, dass es schmerzte. Sie konnte ihre Konzentration nicht mehr aufrechterhalten und plötzlich schnellte ihr Geist mit einer ungeheuren Geschwindigkeit zurück in ihren Körper. Sie spürte einen harten Schlag, der durch ihren ganzen Körper drang und ließ ihre Augen ruckartig öffnen. Ihr Körper brannte vor Schmerzen und mit einem leisen Aufschrei beugte sie sich nach vorne.
Mit einem Mal hatte sie das Gefühl zu ertrinken und hustete heftig. Ihr Körper bebte unter ihren verzweifelten Bemühungen, Luft zu schnappen. Ihre Hände zitterten und Schweiß triefte ihr von der Nase. Die Sicht war vernebelt und nur schwach drang der Schein des Feuers zu ihr hindurch. Röchelnd schnappte sie nach Luft und bei jedem Atemzug schienen Dolche in ihre Lunge einzudringen und sie zu zerfetzen. Mit einem Mal spürte sie, wie ihr Körper vom Boden geholt wurde und nur leise drangen Stimmen zu ihr hindurch, die sie jedoch nicht verstand und auch nicht verstehen wollte. Ihr Kopf war gefüllt mit einem roten Nebel voller Schmerzen. Wieder krümmte sie sich, als sie keine Luft bekam und sie das Gefühl hatte, sich die Lunge aus dem Leib zu husten.
Ihr Finger krallten sich in fremden Stoff und Schmerztränen liefen ihr in Strömen über die Wangen. Ihr Magen rebellierte und sie versuchte mühevoll, das Abendessen in sich zu behalten. Sie spürte, dass sie auf etwas Weiches gelegt wurde und jemand sie zudeckte. Erst jetzt merkte sie, wie kalt ihr war und ein heftiges Zittern wallte so durch ihren Körper, dass ihre Zähne klappernd aufeinander schlugen. Weitere Decken wurden über sie gelegt, doch wärmer wurde es ihr nicht. Abwechselnd rann heißes Blut durch ihre Adern, das sie zu verbrennen schien und dann wieder Eiseskälte, so dass sie sich vor Kälte zusammenkrümmte.
Wieder krümmte sie sich nach Luft schnappend und heftig hustend. Sie spürte mehr, als dass sie es durch ihren Tränenschleier sah, dass ihr jemand einen Eimer in die Hand drückte. Ohne darüber nachzudenken, wer bei ihr war, beugte sie sich darüber und erbrach sich. Immer wieder krampfte sich ihr Magen zusammen und immer wieder musste sie sich übergeben, selbst als nichts mehr in ihrem Magen war. Galle und ein metallener Geschmack lagen ihr auf der Zunge, der sie erneut würgen ließ. Doch die Krämpfe hörten irgendwann auf und erschöpft, frierend und voller Schmerzen legte sie sich auf den Rücken und versank in eine erdrückende Schwärze.

Kapitel 1-10

1

2

3

4

5

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Kapitel 11-20

11

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Kapitel 21-30

21

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29

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Kapitel 31-40

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Kapitel 41-50

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44

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Kapitel 51-60

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