Der Ring der Erde

Kapitel 35

Allmählich fiel die Dunkelheit von ihr und sie spürte, wie sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete. Langsam öffnete sie ihre Augen, schloss sie jedoch wieder schnell, als das Sonnenlicht sie schmerzhaft blendete. Langsamer als zu Beginn öffnete sie diese wieder und beschattete sie mit ihrer Hand, die schwerer als sonst wirkte.
„Überanstreng dich nicht“, sprach jemand leise neben ihr und vorsichtig drehte sie ihren Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam.
Aragorn saß zur ihrer linken Seite auf einem Stuhl und betrachtete sie mit sorgenvollen Augen.
„Wie geht es dir?“, fragte er sanft.
Gweneth öffnete ihren Mund, brachte jedoch nur ein leises Krächzen heraus. Sie schluckte hart und spürte, wie trocken ihr Mund war. Aragorn schien zu verstehen und reichte ihr einen Becher voller Wasser. Langsam richtete sie sich auf und war erfreut, dass nichts mehr schmerzte, abgesehen von ihrem trockenen Hals. Schnell trank sie den Becher aus und hielt ihm dann den leeren Becher hin. Aragorn schenkte ihr nach und als sie auch diesen Becher geleert hatte, ließ sie sich zurück in ihr Kissen sinken.
„Wie geht es dir?“, fragte er erneut und dieses Mal eindringlicher.
Gweneth überlegte kurz und bewegte sich leicht in ihrem Bett.
„Es schmerzt nichts mehr… abgesehen von meinem Hals… ich fühle mich nur etwas… erschöpft“, gestand sie mit noch leicht rauer Stimme und lächelte Aragorn sanft an.
Er nickte, beugte sich leicht nach vorne und legte seine Hand auf ihre Stirn.
„Deine Stirn ist auch wieder kühl.“
Langsam zog er seine Hand wieder weg und sah sie ernst an.
„Was ist gestern geschehen?“
„Das Gleiche wollte ich dich fragen“, entgegnete Gweneth.
„Ich fragte zuerst“, meinte er bestimmend und kurz sahen sie sich tief in ihre Augen.
Doch dann nickte Gweneth, sah an die Decke und erinnerte sich an ihre fehlgeschlagene Reise zurück.
„Zu Beginn war alles wie normal. Ich konnte sehen, wie ich Mittelerde verließ und konnte die Barriere überwinden. Meine Welt zog vor meinen Augen vorbei, bis ich mein Haus sah und glitt hinab in den Keller … doch dann…“, sie hielt inne und atmete tief ein.
„Dann schrie mein Herz nach Éomer, das so voller Sorge um ihn war. Meine Konzentration wankte und ich konnte sie dann nicht mehr aufrechterhalten. Irgendwie schnellte dann… mein Geist oder wie man es nennen mag, zurück in meinen Körper und letzten Endes… kamen die Schmerzen.“
Sie verzog unweigerlich ihren Mund und ihr wurde es ganz anders, als sie an die ungeheuerlichen Folgen ihrer Unkonzentriertheit denken musste. Leicht schüttelte sie ihren Kopf, um die Erinnerungen los zu werden und drehte dann ihren Kopf zu Aragorn, der sie ernst beobachtete.
„Was ist danach geschehen, als ich wieder hier war?“
Aragorn schwieg kurz, während er zu überlegen schien. Doch dann atmete er tief ein und antwortete.
„Du sahst während deiner gesamten Reise schon sehr schwach und blass aus. Schweiß lief dir an den Schläfen herunter und mit einem Mal, war alles ganz anders. Blut lief dir aus der Nase und schien nicht stoppen zu wollen. Sogleich war ich bei dir und versuchte dich mit meiner Stimme zum Umkehren zu bewegen, doch du hörtest mich nicht. Ich wagte es nicht, dich anzufassen, aus Angst, mitgezogen zu werden. Dann stoppte dein Nasenbluten und ich hatte das Gefühl, als ob du es geschafft hättest, aber mit einem Mal fing es erneut an und aus deinem Mundwinkel lief ebenfalls Blut. Ich versuchte erneut, dich zurückzuholen, leider vergebens. Plötzlich rissest du deine Augen auf, sahst direkt in meine, obwohl du mich nicht zu sehen schienst. Ich sah darin einen tiefen Schmerz und ehe ich etwas tun konnte, beugtest du dich vorne über und hustetest, bis Blut den Boden bedeckte. Du hast so viel Blut gehustet, dass ich schon befürchtete, du würdest von innen heraus verbluten.“
Seine sorgenvollen Augen ruhten auf Gweneth, die hart schluckte.
„Ich nahm dich in meine Arme und brachte dich in dein Gemach, während du dich krümmtest und schriest. Als ich dich ins Bett legte, halfen mir die anderen, dich zuzudecken, da du heftig zittertest. Gimli drückte dir einen Eimer in die Hand, worin du dich gleich erbrachst. Der Eimer war voller Blut und ich befürchtete das Schlimmste… immer mehr erbrachst du in den Eimer, doch das Blut wurde weniger. Schließlich sacktest du in dich zusammen und warst bewusstlos. Ich ließ Kräutertee aufsetzen und flößte ihn dir ein. Das schien zu helfen, denn du kamst zu sinnen, öffnetest sogar deine Augen, obwohl du niemanden wahr zu nehmen schienst.“
´Oh, da kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern. ´
Aragorn seufzte tief und noch nie kam er ihr so alt vor.
„Ich ließ nicht locker und versorgte dich mit Heilkräuter und dem Tee. Es ging dir immer besser, bis du in einen friedlichen, tiefen Schlaf glittest. Nicht einmal Éomers Stimme konnte dich aufwecken.“
Überrascht klappte ihr Kiefer runter und ihr Herz klopfte in ihrer Brust. Doch bevor sie fragen konnte, nickte er auf die andere Seite des Bettes. Langsam wendete sie ihren Kopf und erblickte Éomer, gekleidet in seiner vollen Rüstung, die noch mit dunklem Orkblut bespritzt war. Er saß zusammengesackt und mit verschränkten Armen auf dem Stuhl und sein Kinn ruhte auf seiner Brust. Er schien tief zu schlafen. Wärme durchfloss ihren Körper und ließ sie leicht lächeln. Dann wendete sie sich zu Aragorn.
„Seit wann ist er hier?“, flüsterte sie und hoffte, Éomer nicht zu stören.
„Der Horizont begann sich noch nicht zu erhellen, als er ankam. Anscheinend trafen sie auf zwei Gruppen von Spähern. Und sorge dich nicht, er ist unverletzt.“
Erleichterung breitete sich in ihr aus und sie warf einen kurzen Blick zurück zu Éomer.
„Hast du ihm… davon erzählt?“
Er nickte und Gweneth seufzte leicht.
„Ich hätte nicht meine Konzentration verlieren dürfen… dann wäre alles gut ausgegangen“, murmelte sie und seufzte kurz tief.
Sie mummelte sich tiefer in die Decke und bemerkte erst jetzt, dass ihr jemand ein Nachtgewand angezogen hatte.
„Das nächste Mal wirst du dein Herz beherrschen können.“
„Ich hoffe, dass du Recht behältst… ich kann von Glück sagen, dass meine Freunde und vor allem du hier warst, denn ich weiß nicht, wie schlimm es ansonsten ausgegangen wäre… ich weiß nicht, ob mein Körper erneut solchen Schmerzen, solcher Zerrissenheit standhält… ich könnte bei dem Versuch sterben, wenn ich mein Herz nicht beherrschen kann“, flüsterte sie mehr zu sich selbst, als zu Aragorn.
Plötzlich grunzte Éomer leicht im Schlaf und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Er wird gleich aufwachen“, murmelte Aragorn und beobachtete, wie Éomers Gesichtszüge kurz zusammenzuckten.
Gweneth streckte ihre Hand nach Éomer aus und berührte ihn sachte am Knie. Sofort hob er seinen Kopf und blinzelte verwirrt. Seine hellbraunen Augen waren sofort auf Gweneth gerichtet und als sie seinen sorgenvollen Blick leicht lächelnd erwiderte, sprang er von dem Stuhl auf und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Er legte die linke Hand auf ihre Stirn und strich ihr zärtlich über das Haar, während er mit der anderen ihre Hand nahm.
„Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich in der Halle finden“, sprach Aragorn und ließ die beiden alleine.
„Wie geht es dir?“
„Besser… es schmerzt nichts mehr.“
Besorgt strich er ihr noch einmal über die Haare und legte dann seine Stirn gegen ihre.
„Verzeih, dass ich dir Sorgen bereitete“, hauchte sie und genoss den Augenblick der Nähe.
„Hauptsache dir geht es gut“, murmelte er und gab ihr einen federleichten Kuss.
Seine hellbraunen Augen wanderten über ihr Gesicht und er runzelte besorgt die Stirn.
„Du bist blass… hast du schon etwas gegessen?“
Sie schüttelte leicht den Kopf und Éomer atmete tief ein.
„Warte hier… ich bin gleich wieder da.“
Er gab ihr einen weiteren, zärtlichen Kuss und ließ sie lächeln, als sich ihre Lippen voneinander lösten.
„Beeil dich“, hauchte sie und hielt für einen kurzen Moment seine Hand. Er nickte ihr zu, drückte ihre zarte Hand und verließ dann mit großen, schweren Schritten ihr Gemach.
Sie rollte sich auf die Seite und kugelte sich in ihre Decke ein. Genüsslich schloss sie ihre Augen und genoss die Wärme ihres Bettes. Von draußen her hörte sie Vogelgezwitscher und ließ sie leicht lächeln. Eine sanfte Brise drang durch die geöffneten Fenster und ließ sie tief einatmen. Ehe sie sich versah, fiel sie in einen leichten Schlaf und wachte erst auf, als die Tür geöffnete wurde und Éomer eintrat.
Sie setzte sich leicht auf und rieb sich ihre Augen. Noch immer fühlte sie sich sehr geschwächt und ihre Glieder zu bewegen, fiel ihr noch etwas schwer. Er stellte ein Tablett mit mehreren belegten Broten neben sie auf die Decke und ihr fiel mit einem Male auf, dass er seine Rüstung ausgezogen hatte und nun ein dunkelrotes Wams trug, das ihm sehr gut stand. Seine blonden Haare waren geöffnet und fielen ihm leicht ins Gesicht.
„Ist etwas?“, fragte er, als er ihre Blicke bemerkte.
Sofort errötete sie leicht und senkte ihren Kopf.
„Ich dachte nur… dass du in dem Wams besonders gut aussiehst“, sprach sie leicht verlegen.
Er jedoch lachte rau und legte sachte eine Handfläche auf ihre Wange. Bestimmend, aber dennoch sanft, hob er ihren Kopf an, so dass sie in seine Auge sehen musste. Sie erwiderte den Blick seiner hellbraunen Augen und ihr Herz klopfte erneut schneller. Langsam beugte er sich vor und gab ihr einen sanften Kuss, den sie nur zu gern erwiderte.
Der Kuss wurde immer intensiver und leidenschaftlicher und hätte ihr Magen mit einem Mal nicht laut geknurrt, so hätte sie ihm seine Kleider vom Leibe gerissen. Sie lösten sich voneinander und Gweneth lächelte ihn breit an.
„Entschuldige, aber ich glaube, da besteht jemand auf sein Essen“, kicherte sie leicht, nahm sich eine Brötchenhälfte und biss schnell hinein.
Éomer lehnte sich zurück und beobachtete amüsiert, wie Gweneth vier Brötchen verspeiste und sich erst dann zurück in ihr Bett sinken ließ. Er stellte das Tablett zu Boden und als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht ernster und voller Sorge. Kurz schluckte sie, doch sie ahnte, was nun kommen würde.
„Du willst vermutlich wissen, was gestern Abend geschehen ist?“, fragte sie zaghaft.
„Ja, das möchte ich. Aragorn erzählte mir bereits aus seiner Sicht was geschah, doch den Grund, was dich so nahe an den Rand des Todes brachte, weiß ich noch nicht.“
Seine Hände waren zu Fäusten geballt und seine Muskeln spannten sich unwillkürlich an. Die Augen von ihm waren hart und voller Schmerz. Sie musste kurz schlucken und wollte ihn schon sachte in ihre Arme ziehen, als sie begriff, dass er auch auf sich selber wütend war. Er war nicht an ihrer Seite gewesen, als sie ihn am nötigsten gebraucht hatte. Deswegen vergrub sie sogleich ihr Vorhaben und sah dann starr an die Decke.
Erneut erzählte sie ihr Erlebnis und Éomer hörte schweigend zu, presste ab und an seine Kiefer so fest aufeinander, dass seine Muskeln hervortraten. Offenbar zwang er sich, sie nicht zu unterbrechen. Als sie schließlich von ihren Schmerzen erzählte und dem Gefühl zu ertrinken, sprang Éomer mit einem Mal auf und lief unruhig im Zimmer auf und ab. Kurz stockte sie in ihren Erzählungen, fuhr jedoch dann fort, als er sie nicht unterbrach.
„… und dann… sank ich in Dunkelheit“, beendete sie ihr Erlebnis und beobachtete Éomer, der immer noch in ihrem Gemach auf und ab lief. Immer wieder schüttelte er seinen Kopf, warf ihr einen kurzen Blick zu und lief dann weiter auf und ab.
„Éomer…?“, fragte sie zaghaft, erhielt jedoch keine Antwort. Mit einem Mal hielt er inne, fixierte sie und sein Gesichtsausdruck war von Sorge verzerrt.
„Bleib hier.“
Verwirrt sah sie ihn an.
„Was?“
„Du könntest beim nächsten Versuch, in deine Welt zu gehen, sterben! Es ist besser, wenn du hier bleibst. Hier kann ich dich beschützen und wenn nicht, dann werde ich eine Möglichkeit finden, dich vor seinen Spähern zu verstecken!“, knurrte er und sah sie entschlossen an.
„Bitte… tu mir das nicht an… Ich kann nicht bleiben und du weißt auch warum.“
Sein Angebot war verlockend und ihr Herz sehnte sich danach, es anzunehmen, doch ihr Verstand wusste es besser. Dennoch spürte sie, wie ihr Herz gegen ihren Verstand rebellierte und ein Schmerz voller Hoffnung und Verlangen bohrte sich tief in ihre Brust.
„Er wird dich nicht finden! Ich werde dich gut verstecken!“
„Ich kann nicht!“, rief sie schon fast und erneut wallten Bilder von beiden zerstörten Welten herauf. Ihr Herz schlug schmerzhaft in ihrer Brust.
„Wenn er mich findet…“
„WENN er dich findet! Ich kenne Rohans Lande gut. Niemand wird dich finden, wenn ich es nicht will!“
Sie schüttelte leicht ihren Kopf, versuchte den Schmerz in ihrer Brust zu ignorieren und Tränen schwammen in ihren Augen, doch er merkte es nicht. Zu sehr redete er sich in Rage.
„Oder ich bringe dich zu der Herrin des Goldenen Waldes! Sie wird ihr Land gut verteidigen und dich mit offenen Armen empfangen!“
„Ich kann nicht, Éomer! Versteh es doch!“, schrie sie schon fast und die ersten Tränen liefen ihr über die Wangen.
Ihre Finger hatten sich in die Bettdecke gekrallt und ihr Körper zitterte.
„Wieso kannst du nicht hier bleiben! Warum?“
„Weil… Ach, Herr Gott, Scheiße, verdammt nochmal!“, schrie sie und Tränen strömten ihre Wangen hinunter.
„Ich kann nicht bleiben, weil ich sah, was geschehen würde, wenn der Ring in die falschen Hände gerät! Ich sah in Galadriels Spiegel… Ich sah, wie unsere beiden Welten brannten! Ich kann nicht so selbstsüchtig sein und hier bei dir bleiben, so gern ich es auch täte! Aber ich kann und gehöre nicht nach Mittelerde! Ich tue dies für dich, für alle, die mir lieb und teuer sind und für unsere Welten! Ich tue dies für meine Eltern in meiner Heimat, die nicht einmal wissen, dass ich noch lebe!“
Immer mehr Tränen liefen ihr über die Wange und Éomers Gesichtszüge verschwammen durch den Tränenschleier.
„Versteh mich doch! Ich kann nicht bleiben…. Ich darf nicht bleiben… es wäre falsch… bitte… mach es nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist“, flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht in der dicken Bettdecke. Schluchzer schüttelten ihren schlanken Körper und mit einem Mal fühlte sie seine Hand auf ihrem Rücken. Beruhigend strich er über ihr Haar und langsam richtete sie sich auf. Sein Gesichtsausdruck war weicher geworden, wenngleich noch voller Kummer.
„Verzeih, ich… ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle“, murmelte er und zog sie in seine Arme.
Nur zu gerne ließ sie es geschehen und erlangte an seiner Brust langsam ihre Kontrolle wieder zurück. Mit dem Bettzipfel wischte sie ihr Gesicht sauber und sah ihn dann mit großen Augen an. Immer noch waren seine voller Sorge und zärtlich küsste er ihre Stirn.
„Nicht nur für dich ist deine Bürde schwer“, meinte er und sah ihr tief in die Augen.
„Ich weiß“, murmelte sie und strich ihm über seinen stoppeligen Bart.
„Dennoch müssen wir beide irgendwie damit zurechtkommen.“
Er nickte und zog sie erneut in eine enge Umarmung. Sie kuschelte sich an seine breite Brust und seufzte erleichtert. Sie wollte nicht mit ihm im Schlechten auseinander gehen und kuschelte sich nur noch enger an ihn. Sie hob ihren Kopf und küsste ihn sachte auf seine Lippen. Er erwiderte den Kuss und erneut flammte zwischen ihnen eine Leidenschaft auf, die sie vorher in dieser Intensität noch nie erfahren hatte. Ehe sie sich versah, lag er über ihr und sein Wams glitt langsam zu Boden. Sie lächelte breit und versank in seiner Liebe zu ihr.

Gweneth schwirrte noch der Kopf, als Éomer sie erneut küsste und ihr tief in die Augen sah.
Sanft erwiderte sie seinen Blick und einen Moment lang schien die Zeit still zu stehen. Éomers sanfte Fingerspitzen zogen ihre Gesichtszüge nach und sie hatte das Gefühl, als ob er sich alles an ihr tief einprägen wollte. Sie erwiderte die Geste und beide sahen sich schweigend und dennoch mit liebenden Augen an. Die Sonne erhob sich immer weiter und Gweneth Herz wurde immer schwerer.
„Ich muss bald gehen“, hauchte sie und unterbrach den Blickkontakt zwischen ihnen.
„Ich weiß“, murmelte er und sah finster aus dem Fenster.
„Die Sonne wird bald im Zenit stehen.“
Wieder wendete er seinen Blick zu ihr und sie las darin seine Bitte, hier zu bleiben, jedoch sprach er es nicht aus.
„Ich sollte mich richten“, meinte sie, bewegte sich jedoch keinen Millimeter aus dem Bett. Éomer zog sie sogar nur noch fester in seine Arme und sie lauschte seinem stetigen Herzschlag. Tränen rollten über ihre Wangen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sanft küsste er die Tränen hinfort und hielt die schluchzende Gweneth nur noch fester in seinen starken Armen. Sachte streichelte er über den Rücken und küsste immer wieder ihren Scheitel. Sie klammerte sich an seinen nackten Körper und er drückte sie fest an sich. Eine Zeit lang lagen sie nur so da und genossen die letzten Augenblicke beisammen. Doch dann schälte sie sich widerstrebend aus seiner Umarmung und sah ihn traurig an.
„Es ist Zeit.“
Er nickte und beobachtete, wie sie sich aus dem Bett quälte, sich wusch und dann kurz inne hielt. Schon wollte sie zu einem Kleid greifen, doch dann entschied sie sich um. Langsam ging sie zu ihrer Kommode, öffnete diese und holte ihre lederne Hose und Wams heraus. Schnell hatte sie diese angezogen und griff nun zu ihrer Rüstung. Sie warf einen schnellen Blick zu Éomer, der sie aus ernsten Augen beobachtete und seine Mundwinkel zuckten, als sie zu ihrer Rüstung griff.
„Ist was?“, fragte sie mit einem Lächeln und er schüttelte nur seinen Kopf.
Da er nichts erwiderte, zog sie ihre Rüstung nach und nach an und fühlte sich darin rundum wohl. Das Leder schmiegte sich an ihre Figur und sanft strich sie darüber. Erneut sah sie in die Kiste, runzelte dann aber die Stirn. Unter ihrer Rüstung lag verborgen ein ledernes Etwas. Vorsichtig griff sie danach und zog es heraus.
„Was ist das?“, fragte sie Éomer, der jedoch nur lächelte.
Nachdem sie es einmal kräftig ausgeschüttelt hatte, konnte sie jetzt erkennen, was es war. Es war ein Rucksack.
„Éowyn brachte ihn dir gestern Abend. Sie meinte, dass du es vielleicht recht nützlich fändest.“
Gweneth lächelte breit und um ihr Herz wurde es ganz warm.
´So kann ich wirklich alles besser transportieren… ich sollte mich später bei ihr bedanken.“
Dann kniete sie sich auf den Boden, öffnete die Satteltasche und räumte ihr ganzes Hab und Gut in den Rucksack. Als sie ihre schwarze Handtasche einpacken wollte, hielt sie kurz inne.
´Wäre es arg fies, wenn ich wollte, dass Éomer sich immer an mich erinnert? Wäre es arg verkehrt, wenn ich es ihm geben würde?´
Kurz rang sie mit sich und immer wieder drehte sie die Handtasche in ihren Händen, bis sie sich entschied. Schnell öffnete sie diese, holte etwas Kleines heraus und packte sie dann wieder ein. Es war nicht viel, dass sie einzupacken hatte, denn ihre Kleider ließ sie hier.
´Was soll ich daheim mit den Kleider anfangen, außer schöne Erinnerungen aufzuwecken? Nein, lieber bleib ich in der kurzen Zeit in der Rüstung.´
Zum Schluss nahm sie ihr Schwert und schnallte es sich um. Es tat gut, es erneut zu tragen und sogleich fühlte sie sich sicherer und selbstbewusster. Schnell schnürte sie den Rucksack zu, stellte ihn daneben und stand auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass Éomer nicht mehr im Bett lag, sondern sich gerade die letzten Knöpfe seines Wamses verschloss.
Mit wenigen Schritten war sie an seiner Seite und strich ihm eine blonde Strähne hinter sein Ohr. Er hob seinen Blick und sah direkt in ihre topasfarbenen Augen.
„Ich habe etwas für dich… es ist nicht viel und nicht halb so wertvoll wie die Kette, aber etwas, dass dich an mich erinnert.“
Sie nahm seine Hand in ihre und ließ etwas Goldenes hineingleiten. Als sie ihre Hand zurückzog, offenbarte sie den Blick auf eine ihrer Patronenhülsen. Éomer sah schnell auf, nahm es zwischen seine Finger und drehte es vorsichtig.
Unweigerlich musste sie an das Bild im Spiegel zurückdenken und biss sich schuldbewusst auf ihre Unterlippe.
´Er wird sich nun für immer an mich erinnern…. Es ist schon etwas gemein, aber er schenkte mir immerhin auch etwas, das mich ewig an ihn erinnern wird… so bleibe ich wenigstens nicht alleine in meinem Elend.´
„Ich danke dir“, raunte er und ehe sie sich versah, presste er seine Lippen auf ihre und entlockte ihr einen wohligen Seufzer. Er löste sich von ihr und strich mit seinem Daumen über ihre Wange, während beide sich tiefe, liebende Blicke zuwarfen.
Doch dann senkte er seinen Blick und sie wusste, dass sie gehen musste. Kurz hob sie seinen Kopf mit ihrer Hand an und schenkte ihm einen Kuss, in den sie ihre ganze Liebe hineinlegte. Er schien es zu merken, denn sie spürte unter ihrer anderen Hand, wie sein Herz schneller gegen seinen Brustkorb schlug. Als sie ihm wieder in die Augen sah, war darin so viel Schmerz, dass sie fast selber Tränen vergoss.
„Lebe wohl, mein Geliebter“, hauchte sie und eine tiefe Traurigkeit breitete sich in ihr aus. Ein Stein, schwer wie Granit legte sich auf ihre Brust und schien ihr die Luft abzuschnüren. Weinen musste sie nicht, denn keine Träne der Welt würde ihren tiefen Schmerz über den Verlust ihrer zweiten Hälfte ausdrücken können.
„Lebe wohl“, raunte er und sie hörte, wie zittrig seine Stimme war. Zwar vergoss auch er keine Tränen, dennoch sprach sein Gesichtsausdruck Bände. Tief sahen sie sich in die Augen, bis sie spürte, dass, wenn sie jetzt nicht gehen, sie nachgeben und bei ihm bleiben würde. Ein letztes Mal küsste sie ihn flüchtig, wandte sich von ihm ab, packte ihren Rucksack und ging aus ihrem Gemach mit erhobenem Haupt, aber mit entzwei gerissenem Herzen.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, fing sie an zu zittern und ein Schmerz explodierte in ihrem Herzen, der sie beinahe aufschreien ließ. Kurz lehnte sie sich mit geschlossenen Augen gegen die Tür, atmete kontrolliert ein und aus, bis sie das Gefühl hatte, den anderen unter die Augen treten zu können. Ruckartig stemmte sie sich von der Tür ab und betrat den Gang. Ohne Unterbrechung lief sie immer weiter, bis sie in die große Halle kam. Als sie eintrat, blieb sie verblüfft stehen. Der König saß auf seinem Thron und Aragorn schien etwas mit ihm zu besprechen, doch als sie hereinkam, richteten sich beide auf und lächelten ihr zu. Legolas und Gimli, die etwas abseits neben Aragorn standen, nickten ihr zu. Merry rutschte von seinen Stuhl und wollte zu ihr rennen, doch als er sah, dass alle sich zurück hielten, stand er einfach davor und lächelte sie schüchtern an.
Gerade als sie ihren Kopf drehen wollte, wurde sie in eine heftige Umarmung gezogen und sie sah nur noch goldenes Haar vor ihren Augen.
„Lebe wohl, Gweneth!“, rief Éowyn, die sich an Gweneth klammerte und fest zudrückte. Gweneth bekam zwar fast keine Luft mehr, jedoch erwiderte sie die Umarmung fest.
Sie war ihr immer eine gute Freundin gewesen und es schmerzte Gweneth, Éowyn alleine in dieser männerdominierten Welt zurück zu lassen. Langsam stiegen Tränen des Abschiedsschmerzes hoch und sie versuchte, diese energisch hinweg zu blinzeln, als sie Éowyn nur noch fester an sich zog. Der Stein auf ihrer Brust schien nur noch umso schwerer zu werden.
„Lebe wohl… mögest du noch lange unter den Sternen Ardas weilen“, hauchte Gweneth und allmählich ließen sie voneinander ab. Auch Éowyns Augen schwammen in Tränen, als sie sich gegenseitig in die Augen sahen und man in beiden Kummer und Sorge lesen konnte. Noch ein letztes Mal drückte Gweneth Éowyn kurz an sich und ließ sie dann mit schwerem Herzen los. Ihr Blick fiel auf Aragorn, der etwas näher zu ihr getreten war und sie lächelte ihm zu. Sie wusste, dass es sich nicht gebührte, sich von Männern innig zu verabschieden, doch als sie auch in seine sorgenvollen, grauen Augen blickte, warf sie all ihre hier angelernten Sitten über Bord. In wenigen Schritten war sie bei ihm und umarmte ihn heftig. Etwas überrascht schien er von der plötzlichen Nähe, erwiderte die Umarmung jedoch lächelnd. Sie spürte, wie er sie auf den Scheitel küsste.
„Passe auf dich auf… und keine Sorge, ich werde mein Versprechen halten.“
„Ich werde auf mich Acht geben… und danke“, erwiderte sie genauso leise und ließ ihn los.
Aragorn trat einen Schritt zurück und ihr Blick fiel auf Legolas, der sie anlächelte. Zwar war sie mit Legolas nicht so eng befreundet wie mit Aragorn, doch auch von ihm wollte sie sich verabschieden. Langsam ging sie zu ihm und blieb vor ihm stehen. Warm sah er sie aus seinen schönen Augen an und schließlich verbeugte er sich vor ihr, mit der rechten Hand auf seinem Herzen.
„Garolend vaer… habe eine gute Reise und möge die Sonne auf deinem Weg scheinen.“
„Namárie, Legolas“, antwortete sie mit dem einzigen elbischen Wort, dass sie sich gemerkt hatte.
Sie sahen sich wieder kurz in die Augen, doch dann schien ihr der Abschied immer noch nicht richtig zu sein. Erneut die Etikette über Bord werfend, warf sie sich an seine Brust und umarmte ihn schnell. Dann wandte sie sich an Gimli, der nicht so recht zu wissen schien, was er sagen sollte. Auch ihn zog sie in eine Umarmung.
„Leb wohl, Gimli“, flüsterte sie und sie spürte, wie er ihr sacht auf den Rücken klopfte.
„Machs gut, Mädchen“, raunte er und als sie ihn los ließ, war er leicht errötet.
Schließlich war sie bei Merry angelangt, der unruhig hin und her wankte. Sie kniete sich zu ihm runter und schon fand sie sich in einer engen Umarmung wieder. Sie lächelte leicht und erwiderte seine Umarmung.
„Komme gut daheim an.“
„Danke… pass auf dich auf, kleiner Hobbit“, neckte sie ihn etwas, doch als sie sich wieder ansahen, war er ihr nicht böse, sondern hatte Tränen in den Augenwinkeln. Gweneth wischte diese hinfort, lächelte ihn traurig an und stand dann auf. Sie hatte sich nun von ihren Freunden verabschiedet und wendete sich nun zum König, der von seinem Thron aufgestanden war. Respektvoll verbeugte sie sich vor ihm.
„Ich danke Euch für Eure Fürsorge und die Unterkunft, die Ihr mir gewährt habt. Möget Ihr Euch noch lange am Antlitz der Sonne erfreuen.“
Der König neigte ebenfalls den Kopf und schien ernsthaft traurig zu sein.
„Es ward mir eine Freude, Euch kennengelernt zu haben. Nehmt dies als Zeichen der tiefen Wertschätzung für Eure Hilfe um die Schlacht in Helms Klamm.“
Er nahm etwas Grünes von einem Stuhl, legte es sich auf den Arm und mit wenigen Schritten war er bei Gweneth. Vor ihr entfaltete er den dicken, grünen Stoff und es entpuppte sich als ein Mantel von Rohan, den die königlichen Krieger trugen. Ihr klappte unweigerlich der Kiefer runter, denn sie wusste, dass dies eine große Ehre war. Der Mantel war an den Rändern bestickt mit goldenen Runen und besaß eine breite Kapuze, die genauso bestickt war. Er legte ihr den Mantel um und befestigte ihn traditionell mit runden, silbernen und ebenso reich verzierten Spangen an ihrer Rüstung. Ihr Herz wurde warm und gerührt strich sie über den Umhang.
„Ich danke Euch für das Geschenk und ich fühle mich sehr geehrt, ihn tragen zu dürfen. Nie werde ich Eure Gastfreundschaft und Großzügigkeit vergessen, König Théoden.“
Dieses Mal verbeugte sie sich tiefer und länger. Als sie sich erhob, lächelte sie ihn warm an und warf dann einen Blick in die Runde ihrer Freunde. Schwer wurde ihr Herz und sie spürte, wie sich Tränen in ihr empor kämpften. Energisch blinzelte sie diese weg, ging dann zur Feuerstelle, zog ihren Rucksack aus und setzte sich im Schneidersitz vor die Feuerstelle. Ihren Rucksack legte sie in ihren Schoß.
Nervosität stieg in ihr empor und ein paar Mal atmete sie tief ein. Ein letztes Mal sah sie auf und erblickte plötzlich Éomer, der mit angespannten Gesichtszügen neben Théoden stand und mit verschränkten Armen sie beobachtete.
Ihre Blicke begegneten sich und sie saugte ein letztes Mal seinen Anblick auf, damit sie diesen stets in ihrem Herzen tragen konnte. Doch sie spürte, dass sie ihn nicht ewig anstarren konnte und schloss dann ihre Augen, mit dem Bild Éomers im Kopf.
Sie begann dann langsam mit den Atemübungen und versuchte sich stets auf den weißen Baum in Minas Tirith zu konzentrieren. Es war dieses Mal besonders schwer für sie, mit all den tobenden Gefühlen in ihrer Brust. Doch damit es schmerzfrei funktionieren würde, durfte sie nicht zweifeln. Also vergrub sie ihre schmerzenden Gefühle und die Sehnsucht nach Éomer tief in ihrem Herzen. Nach einigen Atemzügen hatte sie ihre Gefühle tief in sich verschlossen und wenige Herzschläge später spürte sie, wie die Wärme des Feuers allmählich verblasste. So verließ ihr Geist Rohan und sah eine gigantische weiße Stadt, die in der Sonne hell strahlte. Doch ehe sie begriff was sie sah, wurde sie in die Stadt hinein gezogen und befand sich wenig später auf dem höchsten Ring. Vor ihr erhob sich ein knochiger Baum, mit tiefen Rillen in der Rinde und verdorrten Wurzeln, die in einen gläsernen Teich hinein ragten. Wind strich sanft über ihre Haut und mit einem Mal wandelte sie von einem zum anderen Ort, ohne es selbst bewusst wahrzunehmen, da für sie der Übergang wie fließendes Wasser war.

Als ihre Gestalt in dem Moment in den Boden der goldenen Halle verschwand, als sie geistig vor dem weißen Baum saß, standen die Männer noch eine Weile da. Ihr Blick war noch auf die Stelle gerichtet, auf der einige Atemzüge zuvor sie gesessen hatte.
„Sie wird doch Minas Tirith verlassen haben, wenn der Krieg um die Stadt ausbricht, nicht wahr?“, fragte Merry leicht ängstlich und Aragorn legte beruhigend seine Hand auf Merrys Schulter.
„Es wird ihr nichts geschehen. Gandalf wird sich um sie kümmern… und Pippin darfst du auch nicht vergessen.“
Da erhellte sich Merrys Miene etwas und er lief dann leicht traurig lächelnd zu seiner nächsten Übungsstunde. Éomer wendete sich ab und nun löste sich die kleine Versammlung langsam auf. Aber niemand von ihnen, nicht einmal Legolas bemerkte die schwarze Krähe im Gebälk der Halle, deren feurige Augen die ganze Zeit auf das Geschehen gerichtet waren.
Mit einem zufriedenen Krächzen entfaltete die tiefschwarze Krähe ihre öligen Flügel und flog durch ein offenes Fenster hinaus in die Freiheit und zurück zu ihrem Meister. Denn sie hatte alles gesehen und gehört, was sie wissen wollte.

Kapitel 1-10

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Kapitel 11-20

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Kapitel 21-30

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Kapitel 31-40

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Kapitel 41-50

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Kapitel 51-60

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