Der Ring der Erde

Kapitel 36

Gweneth schlug ihre Augen auf und erblickte den schneeweißen Baum, dessen verdorrte Äste sich in den wolkenverhangenen Himmel reckten. Obwohl er tot war und er jegliche Blätter verloren hatte, bildete er dennoch eine bizarre Schönheit, die Gweneth faszinierte.
„Willkommen in Minas Tirith“, ertönte eine Stimme hinter ihr und als sie sich erschrocken umdrehte, stand ein breit lächelnder Gandalf hinter ihr.
Sein weißes Gewand strahlte im Licht der Sonne und seine beruhigende Präsenz berührte sie tief in ihrem Inneren. Sie begrub ihren Schmerz, die Trauer und die Sehnsucht tief in ihrem Herzen und ließ sie unbeschwerter werden.
„Gandalf!“, rief sie erfreut, stand schnell auf, schwankte kurz und konnte sich gerade noch auf den Beinen halten.
´Je öfter ich reise, desto besser geht es mir hinterher.´
Schließlich ging sie lächelnd auf ihn zu und wurde erneut in seine Aura eingehüllt, die sie mit neuem Mut erfüllte.
„Es ist schön, dich wohlbehalten wiederzusehen“, meinte er mit einem Lächeln und seine Augen funkelten wissend. Plötzlich hatte Gweneth das Gefühl, als wüsste er, was in Edoras vorgefallen war.
´Er ist wirklich ein Zauberer… kaum bin ich hier, fühle ich mich besser und es beruhigt mich irgendwie, dass er, woher auch immer, weiß, was geschehen ist.´
Mit einem Mal bemerkte sie eine zaghafte Bewegung hinter Gandalf und als sie zur Seite trat, entdeckte sie Pippin, der sie mit großen Augen ansah.
„Hallo, Pippin.“
Langsam ging sie in die Hocke und lächelte den Hobbit freundlich an. Erst jetzt schob er sich langsam hinter Gandalf hervor, wagte es jedoch nicht, ihr in die Augen zu sehen.
„Hallo“, hauchte er und warf ihr einen schnellen Blick zu.
´Hat er denn immer noch ein schlechtes Gewissen, weil er mich verraten hat? Ich mein, es war schon nicht nett von ihm, aber es ist nun mal geschehen, deswegen muss er sich aber nicht mehr grämen oder ein schlechtes Gewissen haben.`
„Gräme dich nicht, Pippin, an deiner Stelle hätte ich dasselbe getan.“
Langsam sah er ihr in die Augen.
„Verzeihst du mir?“
Ihr Lächeln wurde breiter.
„Ich habe dir doch schon längst verziehen.“
Seine Augen strahlten mit einem Mal und ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht.
„Ich danke dir!“, flüsterte er und seine Stimme war so voller Erleichterung, dass auch ihr Lächeln breiter wurde.
„Da wir das nun geklärt haben, sollten wir uns nun anderen Dingen zuwenden. Der Truchsess erwartet uns bereits und es wäre höchst unklug, seine Geduld auf die Probe zu stellen.“
Sie sah wieder zu Gandalf und nickte ihm zu, doch damit wurde ihr auch bewusst, wo sie inzwischen war.
Noch während sie sich langsam aufrichtete, warf sie einen kurzen Blick auf ihre Umgebung. Um den Baum herum war eine kreisförmige Grünfläche angelegt, die durch kleine Wege in vier Teile geteilt worden war. Schnell sah sie zu den vier Wachen, die ihr den Rücken zugewendet und von ihrem plötzlichen Erscheinen nichts mitbekommen hatten.
´Oder es hat sie einfach nicht interessiert.´
„Weshalb stehen die Wachen hier?“, fragte sie leise und ließ diese mit ihren großen kunstvollen Helmen und den schwarzen, edlen Umhängen nicht aus den Augen.
„Sie bewachen den Baum… den Baum des Königs“, meinte Gandalf nur knapp und lief langsam los. Sie folgte ihm und sah, wohin er ging.
Vor ihr erhob sich ein hohes Gebäude, das sie nur noch mehr an eine romanische Kirche erinnerte, als die Halle Meduseld. Ein paar Stufen führten zu einem schwarzen, kunstvoll gefertigten Tor, an dem zwei Wachen standen und sie neugierig beäugten.
Säulen waren seitlich in die Wände eingearbeitet und flankierten die Stufen. Sie waren in einem schönen Schwarz gehalten und wie alles in diesem Lande, waren auch diese kunstvoll verziert. Bewundernd starrte sie auf die Arbeiten und mit einem Mal verspürte sie den Drang, selbst so etwas Schönes zu kreieren, doch dann lenkte Gandalf sie erneut ab.
„Herr Denethor jedoch ist nicht der König. Er ist nur Truchsess, ein Hüter des Throns.“
Gandalf betrat als Erster die Treppen, hielt jedoch dann inne. Er wendete sich zu Pippin und stützte sich auf seinem Stab ab.
„Jetzt hör mir gut zu: Herr Denethor ist Boromirs Vater! Ihm die Nachricht vom Tod seines geliebten Sohnes zu überbringen, wäre höchst unklug.“
Schon wollte er weitergehen, als er sich erneut zu Pippin umdrehte.
„Und erwähne nicht Frodo oder den Ring.“
Erneut stockte er.
„Und über Aragorn sagst du auch nichts.“
Wieder setzte er an, weiter zu gehen, wandte sich jedoch ein letztes Mal um.
„Am besten ist es, wenn du gar nicht erst den Mund aufmachst, Peregrin Tuck.“
Dann wandte er sich zu Gweneth und durchbohrte sie fast mit seinen blauen Augen.
„Dasselbe gilt auch für dich.“
Sie nickte, wobei sie nicht verstand, was Aragorn damit zu tun haben sollte.
´Am besten, ich sag einfach gar nichts.´
Er ging nun die Stufen weiter hinauf und die Tore wurden von den Wachen geräuschvoll geöffnet. Neugierig gingen sie hinein und sie konnte ihre Augen nicht von der kalten Schönheit der Halle nehmen. Obwohl der Rundbogen das beherrschende Objekt war, war die Halle hoch gebaut worden und viel Licht fiel durch die vielen Fenster im Gewölbe. Der Boden war ausgelegt mit hellem Granit und simple Formen zogen sich darüber. An den Seiten erhoben sich schlanke, schwarze Säulen, welche die dunkle Decke trugen. Zwischen ihnen spannten sich Rundbögen, die aus schwarzem und weißem Granit gefertigt waren. Als sie staunend Gandalf weiter folgte, konnte sie die Königsstatuen bewundern, die im Seitengang standen und sie zu beobachten schienen. Langsam schweifte ihr Blick nach vorne und bewunderte den hohen weißen Thron, der über viele schwarze Stufen zu erreichen war. Dahinter hing eine weiße Fahne, auf der mit goldenem Garn ein kunstvoller Baum gestickt worden war und Sterne über den Ästen funkelten. Auf der untersten Stufe stand ein weiterer, doch dieses Mal schwarzer Thron, auf dem zusammengekauert ein Mann mit grauem, langem Haar saß. Er schien sie nicht zu beachten, obwohl er gehört haben musste, wie sie eingetreten waren. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Pippin, der genauso verwundert zu sein schien.
„Heil, Denethor, Ecthelions Sohn, Herr und Truchsess von Gondor.“
Gandalf setzte seinen Stab geräuschvoll ab und lenkte Pippins und ihre Aufmerksamkeit auf den Truchsess. Immer noch schwieg dieser, gehüllt in einen schwarzen, glänzenden Fellmantel und ein kunstvolles Horn lag in seinen Händen. Immer noch hob er seinen Kopf nicht und unbeirrt redete Gandalf weiter.
„Ich komme mit Botschaft in dieser dunklen Stunde und auch mit Rat.“
„Vielleicht kommt Ihr, um das hier zu erklären“, sprach der Truchsess und voller Bitterkeit war seine Stimme.
Er hob langsam seinen Kopf und als er es tat, hob er auch seine Hände und zeigte, dass das Horn entzwei war. Starr sah er zu Gandalf und Verzweiflung, Wut und Trauer konnte man in seinem Gesicht ablesen.
„Vielleicht kommt Ihr, um zu erklären, warum mein Sohn tot ist.“
Schnell warf Gweneth einen Blick zu Gandalf, dessen Gesichtsausdruck voller Überraschung war. Offenbar hatte er nicht gedacht, dass Herr Denenthor den Tod seines Sohnes anders in Erfahrung bringen konnte, als durch ihn. Stille war in der Halle und keiner schien diese als erstes brechen zu wollen. Erneut warf sie einen Seitenblick zu Gandalf, doch er schien immer wieder zum Sprechen anzusetzen, vermochte es jedoch nicht.
„Boromir fiel, um uns zu retten. Meinen Vetter und mich, als er uns gegen zahlreiche Feinde verteidigte“, ertönte plötzlich Pippins Stimme und drei Köpfe wandten sich zu ihm um.
Er drängte sich an Gandalf vorbei, der ärgerlich seinen Namen sagte. Jedoch sank er auf seine Knie und sah bittend den Truchsess an.
„Was ich an Diensten leisten kann, biete ich Euch an, um diese Schuld abzutragen.“
Sie hörte, wie Gandalf scharf die Luft einzog, doch Pippin hatte seine Worte schon gesprochen. Gweneths Augen wanderten zum Truchsess, der Pippin abwartend ansah. Auch er schien kurz überrascht über Pippins Kühnheit und sie meinte, ein wenig Wärme in seinen meergrauen Augen zu sehen.
„Dies ist mein erster Befehl an dich. Wie bist du entkommen, mein Sohn jedoch nicht, der doch so ein starker Mann war.“
„Der stärkste Mann mag sterben durch einen einzigen Pfeil und Boromir wurde von vielen durchbohrt.“
Voller Trauer war das Gesicht des Truchsess und verzweifelt versuchte er, seine Fassung zu wahren, scheiterte jedoch kläglich. Plötzlich trat Gandalf hervor und beförderte Pippin mit einem kräftigen Klaps von seinem Stab aus der knienden Position.
„Steh auf!“, raunte er dabei scharf.
„Mein Herr. Die Zeit, Boromir zu betrauern, wird es geben, aber sie ist nicht jetzt. Krieg zieht herauf. Der Feind steht vor Eurer Türschwelle.“
Ruckartig hob der Truchsess seinen Kopf und eine Wut lag in seinen Augen, die Gweneth leicht zurückweichen ließ.
„Euch als Truchsess obliegt die Verteidigung dieser Stadt. Wo sind Gondors Streitkräfte? Ihr habt noch Freunde. Ihr seid nicht allein in diesem Kampf. Benachrichtigt Théoden von Rohan. Entzündet die Leuchtfeuer!“
„Du hältst dich für weise, Mithrandir. Doch besitzt du bei all deinem Scharfsinn keine Weisheit. Dachtest du, dass die Augen des weißen Turms blind seien? Ich habe mehr gesehen, als du weißt. Mit der linken Hand willst du mich als Schild gegen Mordor benutzen und mit der Rechten trachtest du danach, mich zu verdrängen! Ich weiß, wer mit Théoden von Rohan reitet. Oh ja… ich habe Gerüchte gehört von diesem Aragorn, Arathorns Sohn und ich sage dir, einem solchen Waldläufer aus dem Norden beuge ich mich nicht. Er ist der Letzte aus einem lausigen Haus, seit langem der Herrschaft und Würde beraubt!“
„Ihr habt keine Befugnis, dem König die Rückkehr zu verweigern, Truchsess!“
„Die Herrschaft über Gondor ist mein! Und keines anderen!“
Der Truchsess war aufgesprungen und vor Zorn bebend, starrten sich die beiden Männer an. Erschrocken war Gweneth etwas nach hinten gewichen und sah mit großen Augen Denethor an.
´Wie kann man denn so verbohrt sein? Aber Moment mal, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, dann ist Aragorn rechtmäßiger König von Gondor? Gandalf muss mir später mal ein paar Sachen erklären!´
„Kommt!“, sprach Gandalf in befehlendem Ton und ohne Widerworte drehten sich sowohl Pippin als auch Gweneth um und folgten dem davoneilenden Gandalf mit wehenden Umhängen.
„Alles ist zu eitlem Ehrgeiz verkommen! Selbst seinen Schmerz benutzt er als Deckmantel!“, grummelte Gandalf empört und drehte sich noch einmal kurz zu Denethor um, bevor sie aus der Halle stürmten.
„Tausend Jahre hat diese Stadt gestanden. Und nun wird sie aus der Laune eines Wahnsinnigen heraus fallen! Und der Weiße Baum, der Baum des Königs, wird nie wieder erblühen.“
„Und warum bewachen sie ihn noch?“, fragte Pippin neugierig und sprach somit auch Gweneths Frage aus.
„Sie bewachen ihn, weil sie Hoffnung haben.“
Langsam kamen sie dem verdorrten, weißen Baum näher und selbst ohne die Macht des Ringes zu benutzen, konnte sie förmlich die Traurigkeit des Baumes spüren.
„Eine schwache und schwindende Hoffnung, dass er eines Tages blühen wird. Dass ein König kommt und diese Stadt wieder so sein wird, wie sie einst war, ehe sie dem Verfall anheimfiel.“
Sie liefen um den Baum herum und folgten weiter Gandalf auf die immer spitzer zulaufende Plattform.
„Die aus dem Westen mitgebrachte Weisheit geriet in Vergessenheit. Die Könige ließen Grabmäler bauen, die prächtiger waren, als die Häuser der Lebenden und schätzten alte Namen ihres Stammbaumes höher ein, als die Namen der Söhne. Kinderlose Fürsten saßen in altersgrauen Hallen und grübelten über Ahnenkunde oder befragten in hohen, kalten Türmen die Sterne. Und so kam der Ruin über das Volk Gondors. Die Königslinie versagte. Der Weiße Baum verdorrte.“
Immer weiter liefen sie in den Spitz hinein und über die Brüstung hinweg bewunderte Gweneth die unglaubliche Aussicht, die sie hier hatten. Sie sah hinunter und hielt kurze Zeit den Atem an. Eine wunderschöne weiße Stadt lag ihnen zu Füßen, die sich in sieben Ringen unterteilte. Die Häuser waren hoch und kunstvoll gebaut. Überall erkannte sie die Rundbögen wieder und Statuen säumten die schmalen Wege. Ihr Herz pochte vor Freude bei diesem Anblick. Sie hatte schon immer alte Städte gemocht, doch Minas Tirith übertraf alles, was sie bisher gesehen hatte. Sie war wirklich eine Stadt der Könige. Ihr Blick glitt über die verwinkelten Wege, die Menschen in glänzenden Rüstungen und den gewaltigen Stadtringen, welche die Stadt schützten.
´So schnell wird niemand diese Stadt einnehmen.´
Sie hob ihren Blick und sah über die weiten Felder und erkannte rings herum um die Stadt einen hohen Wall, der vermutlich als erstes Bollwerk gegen Feinde dienen sollte. Gandalf trat in ihr Blickfeld, lehnte sich im Spitz an die Brüstung und sah weit hinaus in die Ferne.
„Nun liegt die Herrschaft über Gondor in der Hand geringerer Menschen.“
„Was sind geringere Menschen?“
Gandalf wendete sich Gweneth zu und ein kurzes Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Du kannst es natürlich nicht wissen, aber die Könige von Gondor stammen aus einer langen, ehrwürdigen Linie ab, der Linie der Númenorer. Nach dem Ende des Kriegs des Zorns, der Niederlage Morgoths und dem Ende des ersten Zeitalters wurde jenen Menschen, die den Elben in ihrem Kampf gegen Morgoth beigestanden hatten, von den Valar die Insel Númenor geschenkt. Diese lag zwischen Mittelerde und Aman. Die Lebensspanne der Menschen wurde um viele Jahre verlängert und ihnen wurde ein Leben frei von Krankheiten gegönnt. Nachdem das Reich der Númenorer untergegangen war, gründeten sie die Reiche Arnor und Gondor in Mittelerde. Sie waren somit die ersten Könige Gondors.“
„Wie kam es dazu, dass nun ein normaler Mensch Gondor regiert?“
Gandalf seufzte tief und warf einen Blick vorbei auf den Weißen Baum von Minas Tirith.
„Im Jahre 2050 im dritten Zeitalter nahm der König Earnur die Herausforderung des Herrn der Nazgûl zum Zweitkampf an und ward seitdem nicht mehr gesehen. Er hinterließ keinen Erben und da auch die Linie von seinem Bruder erloschen war, übernahmen die Truchsessen aus dem Hause Húrins die Regierung Gondors, bis eines Tages der wahre Erbe hervortritt.“
„Und… ist das wirklich Aragorn?“
„Ja, er ist der rechtmäßige König von Gondor… auch wenn er bisher seinen Anspruch auf den Thron verweigert hat.“
„Warum sollte er ihn denn verweigern?“, fragte Gweneth weiter und mit einem Mal lächelte Gandalf breit, als er ihren Blick erwiderte.
„Sind alle Menschen in deiner Welt so neugierig wie du?“
Kurz errötete Gweneth und musste schließlich grinsen.
„Die Meisten sind es. Ansonsten hätten wir nie so viel über die Natur und das Verhalten von Mensch und Tier erfahren.“
Gandalf lachte leise.
„In eurer Welt muss sich viel getan haben.“
„Und es wird sich auch noch viel tun. Unser Leben wird immer schneller. Doch lenk nicht von meiner Frage ab, Gandalf.“
Erneut lachte Gandalf und amüsiert zwinkerte er ihr zu.
„Ich sehe schon, dich kann ich nicht so leicht ablenken. Doch diese Frage werde ich dir nicht beantworten, denn du bist klug und kennst ihn lang genug, um die Antwort zu erahnen.“
Gweneth schwieg daraufhin und sah wieder auf die Stadt, die im Sonnenlicht hell leuchtete.
´Warum will er nicht die Regentschaft antreten… mal überlegen. Als König würde er diese Stadt vielleicht vor ihrem Untergang bewahren… doch als König besitzt er viele Aufgaben und er kann nicht mehr so frei sein wie zuvor. Vielleicht fürchtet er sich auch vor der Bürde und hat Angst, ein schlechter König zu sein. Doch ich bin mir sicher, dass er ein guter König wäre, der die Menschen zurück ins Licht führt. ´
„Ja, ich denke, ich weiß die Antwort. Doch eine Frage hätte ich noch. Wieso hat mich der Truchsess ignoriert? Ich meine, eine Frau in Rüstung sieht man nicht jeden Tag.“
Gandalf lachte leise und als sie ihm einen Blick zuwarf, war sein Blick auf die Ebenen gerichtet.
„Er hat dich vorerst ignoriert. Freu dich nicht zu früh, er wird auf jeden Fall mit dir sprechen wollen. Es ward nicht das letzte Mal, dass du ihn gesehen hast.“
´Hm… also muss ich darauf vorbereitet sein, dass er mich mit Fragen löchern wird… na toll. Ich hoff nur, dass ich inzwischen gut genug lügen kann.‘
Eine Bewegung aus ihrem Augenwinkel riss sie aus ihren Gedanken. Pippin war an Gandalf vorbeigegangen und ging nun weiter in den Spitz hinein. Gandalf löste sich nun auch langsam von der Brüstung und Gweneth folgte Pippins starrem Blick zu den Bergen. Zwar war es ihr schon vorher aufgefallen, hatte jedoch den Blick nicht darauf richten können. Zu sehr spürte sie eine brodelnde Dunkelheit, die von diesem Ort aus ging.
Weit hinter den Bergen erhob sich ein rotes Licht und aschedunkle Wolken bedeckten das Gebirge. Drohend türmten sich die Wolken auf und als Gweneth ein klein wenig ihre Macht danach ausstreckte, spürte sie eine Wand voller Kälte und tiefster Bosheit, die ihr ins Mark drang.
„Mordor“, sprach Pippin mit angstvoller Stimme und jagte Gweneth einen Schauer über den Rücken.
„Ja, da liegt es. Diese Stadt hat seit jeher in seinem Schatten gelebt.“
„Ein Sturm zieht herauf“, murmelte Pippin mit großen Augen, als er die dunklen Wolken am Himmel betrachtete, doch Gandalf schüttelte kaum wahrnehmend seinen Kopf.
„Dies ist kein irdisches Wetter. Eine Ausgeburt von Saurons Bosheit. Ein Brodem, dem er seinem Heer vorausschickt. Den Orks von Mordor ist das Tageslicht zuwider. Also bedeckt er das Antlitz der Sonne und erleichtert ihnen so den Weg in die Schlacht. Wenn der Schatten Mordors die Stadt erreicht hat, wird es beginnen.“
Er drehte sich zu Gweneth um, die inzwischen neben ihn getreten war.
„Zu dem Zeitpunkt darfst du nicht mehr hier sein.“
Gweneth schluckte hart und unwillkürlich schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper.
„Tja… Minas Tirith.”
Pippin drehte sich zu Gandalf um und eine Fröhlichkeit vorspielend, sprach er weiter:
„Wirklich eindrucksvoll! Wo gehen wir als Nächstes hin?“
„Dafür ist es zu spät, Peregrin!“
Gandalf sah wieder Richtung Mordor.
„Hilfe muss jetzt zu uns kommen!“
„Auf welche Hilfe lässt sich denn noch hoffen?“, fragte Gweneth leise und konnte die Augen nicht von dem glutroten Licht hinter den Bergen abwenden.
„Hoffnung gibt es immer, auch wenn man sie nicht sehen mag.“
Einen Moment lang sahen alle drei in Richtung Mordor, bis hinter ihnen eine Stimme ertönte.
„Mithrandir.“
Alle drei drehten sich um und erblickten einen Turmwächter, ähnlich gekleidet wie die Wächter des Baumes, der sich eiligst vor ihnen verneigte. Sie bemerkte, wie er ihr einen schnellen Blick aus seinen grauen Augen zuwarf und sich dann aufrichtete.
„Herr Denethor schickt mich, um Euch Eure Schlafstätte zu zeigen. Mögt Ihr mir nun bitte folgen?“
Erneut warf er einen schnellen, unsicheren Blick zu Gweneth und in dem Moment wurde ihr klar, dass er noch nie eine Frau in Rüstung gesehen hatte.
Gandalf nickte ihm zu und sie folgten ihm über den Hof des Baumes zu einer Gasse zwischen hohen Steinhäusern, die ihr vorher noch gar nicht aufgefallen war. Zu sehr war Gweneth von den Eindrücken überwältigt gewesen, als dass sie diese wahrnehmen konnte. Nach mehreren Kehren kamen sie zu einem Haus, das dicht an der Mauer der Feste stand und zwei Stockwerke besaß. Als sie ihren Blick wendete, fiel ihr auf, dass sie nicht weit von dem Sattel waren, der die Stadt mit dem Gebirge verband. Doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit wieder abgelenkt, als sie das schöne, schneeweiße Haus mit vielen Säulenverzierungen betraten. Gleich darauf gingen sie eine breite, geschnitzte Treppe hinauf, dessen weiß gestrichenes Holz unter ihrem Gewicht leise knarzte. Im ersten Stock geleitete sie die Wache in einen schönen, hellen Raum, der zwar nicht besonders groß und nur spärlich ausgestattet war, doch ließen drei große Fenster das Licht hinein und erlaubten den Wandteppichen, in einem dunklen Goldton zu leuchten.
„Ich wünsche Euch einen angenehmen Aufenthalt, werte Herren und Herrin.“
Die Wache verbeugte sich und lief eilends aus dem Raum, bevor sich Gweneth bei ihm bedanken konnte. Ihr Blick glitt über den schlichten Tisch mit mehreren Stühlen und der Bank an einem der Fenster. Dann entdeckte sie hinter einem Vorhang an der Wand eine Bettniesche, in der nicht nur ein weiches Bett, sondern auch Krüge und Becken zum Waschen bereit standen. Sie ließ den leichten, weißen Vorhang wieder fallen und bemerkte, dass es vier von diesen Vorhängen in dem Raum gab. Folglich konnten in diesem Raum vier Personen untergebracht werden.
„Es ist hier recht gemütlich, oder? Immerhin haben wir unsere eigenen Betten“, meinte Pippin und sie hörte, wie er sich jauchzend in eins der Betten schmiss. Gweneth lachte leise und ging dann zu Gandalf, der an einem der Fenster stand.
„Ja, es ist wirklich recht gemütlich… aber kein Vergleich zu Edoras.“
Gandalf sah zu ihr und in seinen Augen lag ein Glitzern, das sie vermuten ließ, dass er erahnte, was in Edoras vorgefallen war. Schnell wand sie sich von seinen hellen, blauen Augen ab und sah hinaus. Die Aussicht war atemberaubend und in der Ferne erkannte sie einen glitzernden Fluss und einen weißen Punkt. Als sie genauer hinsah, meinte sie, eine kleine Stadt zu erkennen.
„Was ist das Weiße, Gandalf?“, fragte sie, während Pippin sich auf die Bank stellte, um überhaupt hinaussehen zu können.
„Was du dort siehst, ist Osgiliath, einstige Hauptstadt von Gondor.“
Er wühlte in seinem Mantel und zog dann eine kunstvoll geschnitzte Pfeife heraus.
„Jedoch wurde sie durch einen Sippenstreit weiträumig verwüstet. Eine Pest tat ihr übriges und die Überlebenden flohen aus der Stadt. Als dann auch noch der Königssitz nach Minas Anor, dem heutigen Minas Tirith, verlegt worden war, wurde die Stadt verlassen und begann zu zerfallen. Noch immer sind dort Truppen von Gondor stationiert, um die Übersetzung von Orks zu erschweren.“
Gweneth nickte und besah sich den Anduin, der gleich einer glitzernden Schlange sich über das Land wand. Pippin lehnte sich auf das breite Geländer und sah traurig hinaus.
„Bist du böse auf mich, Gandalf?“, fragte er mit einem Male.
Sowohl Gandalf als auch Gweneth wussten, dass er sein Tabu gebrochen hatte, vor Denethor zu sprechen.
„Nein… ich weiß nicht, warum du es dir in den Kopf gesetzt hast oder dein Herz befahl, das zu tun, aber es war gut getan. Es rührte sein Herz, auch wenn er es nicht zu zeigen vermochte. Zumindest kannst du dich nun in Minas Tirith frei bewegen, wie es dir gefällt, wenn du nicht gerade Dienst hast. Du unterstehst seinem Befehl und er wird es nicht vergessen. Sei also immer noch vorsichtig.“
Pippin seufzte und warf einen kurzen Blick nach Osgiliath. Gandalf musterte ihn und schien zu wissen, was sowohl Pippin als auch Gweneth dachten.
„Nun, es ist nicht nötig, darüber zu grübeln, was der morgige Tag bringen mag. Denn gewiss wird das Morgen Schlechteres bringen, als das Heute und so wird es viele Tage gehen. Und ich kann nichts mehr tun, um es zu ändern.“
Sorgenvoll sah Gweneth Gandalf an, dessen Gesicht von Kummer durchzogen war. Mit einem Mal wirkte er so viel älter und sie musste den Drang unterdrücken, ihn in ihre Arme zu schließen.
„Das Schachbrett ist aufgestellt und die Figuren sind in Bewegung. Eine Figur, die zu finden ich sehr wünsche, ist Faramir, der nun Denethors Erbe ist. Ich glaube, er ist nicht in der Stadt. Aber ich hatte noch keine Zeit, mich umzuhören. Ich muss zu dem Kriegsrat des Herrn gehen und versuchen, etwas zu erfahren. Doch der Feind ist am Zuge und im Begriff, sein Spiel im Ernst zu eröffnen… und die Bauern werden wahrscheinlich ebenso viel davon zu sehen bekommen, wie alle anderen Figuren, Peregrin, Paladins Sohn, Gefolgsmann von Gondor. Schärfe deine Klinge! Und auch du, Gweneth aus der Anderswelt,  achte wohin dein Weg dich führen mag!“
Gandalf riss sich von der Brüstung los und ging eilig zur Tür. Doch bevor er sie durchschritt, wandte er sich ein letztes Mal um.
„Ich bin in Eile, doch tut mir einen Gefallen, wenn ihr hinausgeht. Geht und sucht Schattenfell. Seht nach, wie er untergebracht ist. Die Leute sind gütig zu Tieren, denn sie sind ein gutes und kluges Volk, aber sie haben wenig Erfahrung mit Pferden.“
Beide nickten und Gandalf wendete erneut zum Gehen, als Gweneth ihn zurückhielt.
„Gandalf! Was ist mit mir? Was soll ich tun?“
Er sah sie an und lächelte leicht.
„Ruhe dich noch heute aus. Du hast viel Schlimmes erlebt und musst neuen Mut und Energie schöpfen, bevor du es erneut versuchen kannst.“
Mit den Worten riss er die Tür auf und verschwand aus dem Raum. Kurz sahen sie noch auf die Tür, durch die er gegangen war, als sich Gweneth mit einem Seufzen umdrehte und weit hinaus sah.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte sie leise.
Irgendwo schlug eine Turmuhr neun Mal und der silberne, helle Klang schallte über die Stadt.
„Wir sehen nach Schattenfell. Ist doch klar!“, meinte Pippin mit einem kleinen Lachen und sprang von der Steinbank. Mit einem Grinsen im Gesicht folgte sie Pippin hinunter, der schon auf der Straße vor dem Haus auf sie wartete.
„Drei Uhr würden wir es im Auenland  nennen. Gerade die Zeit für das zweite Mittagessen.“
Er grinste breit und Gweneth konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen.
„Dass du immer an Essen denken musst“, witzelte sie und grinste den kleinen Mann breit an.
„Es ist nun halt mal wichtig für uns Hobbits. Ob es bei diesen Leuten so etwas wie ein zweites Mittagessen gibt, oder ist es schon vorbei? Und wann nehmen sie ihre Hauptmahlzeit ein und vor allem wo?“
Seine Augen glitzerten so freudig, dass Gweneth nicht mehr aus dem Lachen heraus kam. Pippin schien es nicht zu stören, sondern stieg in ihr Lachen mit ein. Plötzlich bemerkten beide die Festungswache, gekleidet in Schwarz und Silber, die geradewegs auf sie zukam. Beide hörten auf zu lachen und bemühten sich, ihre Fassung zu erlangen, was bei ihr schneller ging, als bei dem Hobbit.
„Seid Ihr Peregrin der Halbling?“, fragte er und seine grauen Augen lagen auf dem Hobbit.
„Mir wurde gesagt, Ihr seid für den Herrn und die Stadt in Eid und Pflicht genommen worden. Willkommen!“
Er streckte ihm die Hand hin und Pippin ergriff sie erfreut.
„Und auch Ihr seid hier herzlich willkommen, Gweneth aus Helms Klamm!“
Er verbeugte sich vor ihr und sie erwiderte schnell die Geste, denn zu sehr war sie überrascht, dass er ihren Namen kannte.
„Woher kennt Ihr mich?“
„Eure Taten in Helms Klamm sind bis nach Gondor durchgedrungen und finden hier viele Bewunderer. Selbst ich bewundere Euch zutiefst und es ist mir eine Ehre, Euch zu begegnen.“
Erneut verbeugte er sich tief und Gweneth errötete leicht.
„Ihr schmeichelt mir“, meinte sie, da ihr nichts Besseres daraufhin einfiel und brachte ihn somit zum Lächeln.
„Und mit wem haben wir die Ehre?“
„Man nennt mich Beregond, Baranors Sohn. Heute Morgen habe ich keinen Dienst und bin ausgesandt worden, um Euch, Herr Peregrin, über die Losungsworte zu unterrichten und Euch einige der vielen Dinge zu erzählen, die Ihr zweifellos wissen wollt. Und ich für meinen Teil möchte auch gerne einiges von Euch erfahren. Denn niemals zuvor haben wir einen Halbling in diesem Land gesehen und obwohl wir Gerüchte über sie gehört haben, wird wenig über sie gesagt in irgendeiner Erzählung, die wir kennen. Überdies seid ihr ein Freund von der Herrin Gweneth und Mithrandir. Aber ich vergesse meinen Auftrag, wonach ich zuerst beantworten soll, was Ihr fragen wollt. Was möchtet Ihr wissen, Herrin Gweneth und Herr Peregrin?“
Doch da ihr erst einmal keine Fragen einfielen, ließ sie Pippin den Vortritt.
„Hm… nun, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, es ist eine ziemlich brennende Frage, die mich zurzeit beschäftigt. Nämlich, wie es mit dem zweiten Mittagessen und all dem steht. Ich meine, wann sind die Mahlzeiten, versteht Ihr, und wo ist der Speisesaal, wenn es einen gibt? Ich habe mich umgeschaut, aber ich sah keinen, als wir heraufritten, obwohl mich die Hoffnung auf ein Schluck Bier, sobald wir zu den Behausungen kluger und gesitteter Menschen kämen, aufrechterhalten hat.“
Innerlich lachte Gweneth und hatte Mühe, ihre Miene ernst zu lassen.
„Ein alter Haudegen, das sehe ich“, meinte Beregond ernst, doch sie meinte, einen Schalk in seinen Augen zu sehen.
„Es heißt, dass Männer, die in den Krieg ziehen, als Nächstes immer auf Essen und Trinken hoffen, obwohl ich selbst kein weitgereister Mann bin. Doch nun möchte ich Eure Frage beantworten. Wir stehen vor der Sonne auf, essen einen Happen in der Dämmerung und gehen zu unserem Dienst, wenn er beginnt. Diejenigen, die einen schweren Dienst hatten, nehmen im Laufe des Vormittages etwas zu sich, damit sie wieder zu Kräften kommen. Dann gibt es einen Imbiss um die Mittagsstunde oder danach, wie es der Dienst zulässt. Und bei Sonnenuntergang versammeln sich die Männer zur Hauptmahlzeit und fröhlichen Unterhaltung, soweit das möglich ist. Doch nun kommt. Wir wollen etwas spazieren gehen und uns danach nach irgendeiner Erfrischung umsehen, auf der Festungsmauer essen und trinken und den schönen Mittag betrachten.“
„Einen Augenblick! Gier oder Hunger, wie Ihr es höflicherweise nennen würdet, ließ es mich vergessen. Gandalf, oder Mithrandir, wie Ihr ihn nennt, hat uns nämlich gebeten, nach seinem Pferd Schattenfell zu sehen.“
„Ich werde nach ihm sehen, Pippin. Geh du nur mit Beregond etwas essen.“
„Hast du denn keinen Hunger?“, fragte er überrascht und mit großen Augen.
„Nein, ich habe erst etwas gegessen und brauche zu dem noch etwas Ruhe, um mich von der Reise zu erholen.“
„Nun gut, wenn es dir nun wirklich nichts ausmacht.“
„Nein und nun geh! Gegen Abend werden wir uns sicherlich wieder sehen.“
Sie lächelte ihm zu und sah den Wachmann an.
„Wo befinden sich denn die Stallungen?“
„Es gibt mehrere Stallungen, doch welche Ihr sucht, befindet sich im sechsten Ring. Geht den Weg bei der Plattform des Brunnens hinunter und dann immer weiter. Bald darauf stoßt Ihr linker Hand auf die Stallungen der Boten. Dort wurde sein Ross untergebracht.“
„Ich danke Euch, Beregond, Baranors Sohn. Bis bald Pippin.“
Sie verbeugte sich vor der Wache, schenkte Pippin ein Lächeln und schritt dann an ihnen vorbei. Nach wenigen Ecken befand sie sich wieder auf der Plattform des Baumes und ging geradewegs auf die zwei Statuen zu, die den Ein- und Ausgang der letzten Plattfom bildeten und übergroße Wachen der Feste darstellten. Sie ging die Schräge hinunter, in einen mit Fackeln beleuchteten Tunnel und immer weiter, bis er sich wieder öffnete und sie im sechsten Ring angekommen war. Viele verwunderte Blicke begegneten ihr auf ihrem Weg den Ring entlang, doch gekonnt ignorierte sie diese. Sie schritt vorbei an hohen, weißen Häusern und war immer wieder fasziniert von dem Detailreichtum der Stadt. Doch auch merkte sie, dass die Stadt schon bessere Tage gesehen hatte. Viele Häuser schienen verlassen und kalt standen sie da, mit leeren Fenstern. Schnell wandte sie sich ab, als ihr plötzlich der Geruch von Pferd und Heu entgegenschlug. Der so vertraute Geruch ließ sie lächeln und ihre Schritte lenkte sie auf ein breites, hohes Haus, aus dessen geöffneten Toren der Geruch drang. Langsam ging sie durch das hölzerne Tor und erblickte viele, schlichte Stallungen, die aber alle leer waren. Jedoch ertönte plötzlich aus einer Kabine weiter rechts von ihr ein lautes, dröhnendes Wiehern. Verwundert ging sie dem Wiehern hinterher und stand dann vor dem schönsten und erhabensten Pferd, das sie je gesehen hatte. Es war silbergrau mit langer Mähne und stolzem Blick. Ohne es wirklich zu wissen, sondern eher ahnend, stellte sie fest, dass dies Schattenfell sein musste. Einem Impuls heraus folgend, verbeugte sie sich und sprach: „Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen, Schattenfell, Träger von Gandalf dem Weißen.“
Schattenfell wieherte und stampfte mit den Füßen auf den Boden. Dann erhob sie sich und ging breit lächelnd auf ihn zu. Ohne zurückzuweichen ließ Schattenfell sich streicheln und Gweneth genoss es, ihre Finger in seine weiche Mähne zu schieben. Ihm schien es ebenso zu gefallen, denn er schnaubte leise und blieb ruhig stehen.
„Ihr vermögt es, ihn anzufassen?“
Ertönte plötzlich eine junge Stimme und als sie sich umsah, erkannte sie einen Stallburschen, der mit überraschter Miene zu ihr sah. Er konnte nicht älter als sie sein und trug eine schlichte Hose und Wams, die ganz in Erdtönen gehalten waren.
„Offensichtlich“, meinte sie nur und lächelte leicht über seinen überraschten Gesichtsausruck.
Da erwachte der Stallbursche aus seiner Starre und besann sich, wer dort vor ihm stand.
„Verzeiht, Herrin, ich wollte Euch nicht stören.“
„Das habt Ihr nicht… doch, vermögt Ihr ihn nicht anzufassen? Wird er dann auch gut umsorgt?“
„Er lässt sich nicht streicheln, geschweige denn striegeln. Doch geben wir ihm ansonsten alles, was er benötigt.“
„Dann lasst mich ihn striegeln. Gandalfs Pferd soll es an nichts mangeln.“
Der Stallbursche zögerte, überreichte ihr jedoch dann eine Bürste. Gweneth öffnete die Kabine und Schattenfell ließ sie eintreten.
„So ein wählerischer Junge“, meinte sie schmunzelnd zu Schattenfell und fing an, ihn zu striegeln.
Er schien es zu genießen, denn erneut schnaubte er mit halb geschlossenen Augen und blieb weiterhin ruhig stehen. Der Stallbursche sah ihr mit großen Augen zu, wagte jedoch nicht, sie anzusprechen. So verbrachte Gweneth ihren späten Nachmittag damit, sich um Schattenfell zu kümmern und schloss dann die Kabine, während sie ihm einen Kuss auf die Blesse drückte.
„Und sei nun artig zu dem Stallburschen, er will nur dein Bestes.“
Laut wieherte Schattenfell und warf den Kopf hin und her. Dann wandte sie sich an den dunkelhaarigen Stallburschen, der begonnen hatte, den Boden zu fegen.
„Sagt, wo finde ich einen ruhigen Ort zum Entspannen?“
Der junge Mann hielt kurz inne und strich sich kleine Schweißperlen von der Stirn.
„Ich denke, Ihr werdet in den Gärten der Heilenden Häuser Ruhe finden, Herrin.“
„Und wo finde ich diese?“
„Wenn Ihr die Stallungen verlasst, wendet Ihr Euch nach links. Lauft den Ring bis ganz am Ende durch, dann werdet Ihr direkt darauf stoßen.“
„Habt Dank.“
Sie verbeugte sich vor ihm, warf einen Blick zurück zum schnaubenden Schattenfell und ging dann mit wehendem Umhang nach draußen.
Wie er es ihr gesagt hatte, wendete sie sich nach links und betrachtete erneut die Häuser. Sie lief an einem weiteren Stall vorbei und blieb erst stehen, als sie an einem großen schwarzen Tor inne hielt. Eine Wache der Festung in ihrer schönen Rüstung bewachte das Tor.
´Wohin es wohl führen mag?´
Der Wächter beobachtete sie jedoch argwöhnisch und schnell lief sie weiter. Sie kam erneut an hohen Häusern vorbei und erblickte dann die ersten Sträucher und Bäume. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie allmählich näher schritt und durch einen Torbogen eine kleine Parkanlage betrat. Rechts und links befanden sich Häuser, die vermutlich so etwas waren wie Krankensäle. Langsam wanderte sie auf den Wegen zwischen Bäumen, Sträuchern und wohlriechenden Blumen umher, bis sie die perfekte Stelle für sich entdeckt hatte. Sie setzte sich auf eine von der Sonne gewärmte niedrige Mauer und lehnte sich an einen großen Baum. Mit einem Male wünschte sie sich in den Goldenen Wald zurück, wusste jedoch, dass sie nicht durfte. Sie musste sich schonen und durfte nicht erneut über Arda wandeln. Seufzend drückte sie sich stärker an den wärmenden Stamm des Baumes und lauschte den Vogelgesängen und ließ sich von dem betörenden Duft der Blumen einlullen. Sie schloss langsam ihre Augen, hüllte sich in ihren grünen Mantel ein und ließ ihr Gesicht von der Sonne wärmen. Ein kleiner Windhauch strich ihr über das Gesicht und eine tiefe Ruhe kehrte in sie ein. Erst jetzt spürte sie, wie ihr Körper nach Erholung geschrien hatte und schneller, als dass sie es merkte, fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Kapitel 1-10

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Kapitel 11-20

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Kapitel 21-30

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Kapitel 31-40

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Kapitel 41-50

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47

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Kapitel 51-60

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