Der Ring der Erde

Kapitel 38

Von irgendwoher wehte ein köstlicher Duft herein und erweckte Gweneth aus ihrem tiefen Schlaf. Müde blinzelte sie und reckte und streckte sich dann. Ihre Glieder knacksten leise und mit schnellen Handgriffen wusch sie sich, kaute auf der bitteren Zahnputzwurzel herum und zog sich ihre Kleider an. Mit den Fingern kämmte sie ihre Haare und flocht sie zu einem dicken Zopf. Erst dann schob sie den Vorhang beiseite und entdeckte Pippin, der gerade dabei war, ein Stück Brot mit Wurst zu essen.
„Guten Morgen!“, rief er mit vollem Mund und strahlte aus seinem ganzen Gesicht.
´Offenbar bin ich nicht die Einzige, die einen ruhigen Schlaf bekommen hat.´
„Morgen“, meinte sie mit einem Gähnen und als sie einen Blick hinaus warf, bemerkte sie, dass es noch immer dunkel draußen war.
Sie stutzte und rieb sich dann die Augen.
„Wie lange haben wir denn geschlafen? Es ist ja noch nicht mal hell!“
Sie setzte sich hin und griff ebenfalls nach einem Stück Brot und zu einer derben Wurst, die sie in Scheiben schnitt und dann in den Mund schob.
„Nicht lange, wie es mir scheint, aber selten war ich so erholt nach einer so kurzen Nacht.“
Er griff zur zweiten Scheibe, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und Gandalf mit ernstem Gesicht herein eilte.
„Kommt mit, eilt euch!“
In seiner Stimme lag so viel Befehlsgewalt, dass die beiden ohne zu zögern gehorchten. Beide sprangen auf, schnappten sich ihre Umhänge und folgten Gandalf, während sie diese anlegten. Als sie auf der Straße waren, war Gweneth froh um dessen Schutz, denn der Morgen war noch frisch und selbst in dem dicken Mantel fror sie leicht. Aber Gandalf lief so zügig, dass ihnen beiden schnell warm wurde. Der Weg, den er einschlug, führte hinab in den dritten Ring und selbst in dieser frühen Morgenstunde sahen sie schon die ersten Menschen. Die Wachen, die ihnen begegneten, achteten kaum auf das seltsame Trio und Gandalf schien gerade diese Tatsache zu erfreuen. Als Gweneth einen kurzen Blick in den Himmel wagte, fing es langsam an zu dämmern.
„Beeilt euch!“, rief er über seine Schulter und seine weißen Haare wehten im Wind.
Innerlich fragte sich Gweneth langsam, wohin sie liefen und vor allem so früh am Morgen. Doch wagte sie es nicht, zu fragen, denn Gandalfs Miene war angespannt und immer wieder warf er einen kurzen Blick hoch zum siebten Ring. Erst nachdem sie etwas weiter gelaufen waren, fing Gandalf erneut an zu sprechen.
„Peregrin Tuk, mein Junge, es gibt etwas zu tun.“
Plötzlich bogen sie in eine Gasse ab, die vollgestellt war mit Kräutern und anderen Hausgegenständen. Doch Gandalf bahnte sich seinen Weg, während er weitersprach.
„Wieder einmal kann ein Auenländer seinen hohen Wert unter Beweis stellen.“
Gandalf blieb plötzlich stehen, sah nach oben und alle beide folgten seinem Blick. Noch während sie versuchte zu erkennen, was dies sein sollte, schien Pippin es bereits verstanden zu haben. Gandalf ging in die Knie und senkte seine Stimme.
„Du darfst mich nicht enttäuschen.“
Fest sah er Pippin in die Augen, der ihm zunickte und entschlossen in den nächsten Gang abbog. Erneut warf sie einen Blick hinauf, konnte jedoch nur etwas Quadratisches auf einer Bergspitze ausmachen.
„Gandalf, was…?“
„Nicht hier! Folge mir.“
Er war wieder auf seinen Beinen und eilte wehenden Umhanges in den nächsten Gang. Gweneth drehte sich ebenfalls um und musste sich beeilen, damit sie ihn zwischen Hausrat und Getier nicht verlor. Sie hatte alle Mühe, ihm zu folgen und bald darauf war sie schon völlig außer Atem. Gerade als sie sich den ersten Schweiß von der Stirn wischte, blieb Gandalf abrupt stehen und fast wäre sie in ihn hinein gelaufen.
„Was war das… Gandalf“, keuchte sie und als sie sich aufrichtete, fand sie sich auf der Brüstung des Ringes wieder, auf der man einen fantastischen Blick auf das Gebirge hatte.
Zuerst antwortete er nicht, doch dann flüsterte er ganze leise:
„Das, was du gesehen hast, ist eines der sieben Leuchtfeuer von Gondor. Wenn dieses entzündet wird, ruft Gondor Rohan um Hilfe.“
´Éomer!´, schoss sein Name sofort in ihre Gedanken, doch schnell verdrängte sie ihn, als sie das alt bekannte Ziehen in ihrer Brust spürte.
„Ah, ich verstehe… da Denethor sich weigert, muss Pippin diese Aufgabe nun übernehmen. Wird er es schaffen?“, fragte sie genau so leise zurück und lehnte sich an die Brüstung.
„Habe Vertrauen“, raunte Gandalf und beide warfen einen Blick zum Gebirge.
Gweneth seufzte tief und sie spürte, wie angespannt Gandalf war. Langsam erhob sich die Sonne und tauchte die Stadt ins helle Licht.
Immer nervöser werdend, warf sie immer öfter einen Blick zum Berg und hoffte inständig, dass er es schaffen würde.
´Warum denn auch nicht. Er ist so klein, er fällt bestimmt nicht auf, deswegen hat er ihn geschickt und nicht mich. Oh bitte, Pippin, entzünde die Leuchtfeuer! Rufe nach Hilfe!´
Minuten schienen wie Stunden zu vergehen und immer höher stieg die Sonne, die es nicht vermochte, sie bis in ihr Innerstes zu wärmen. Plötzlich atmete Gandalf entspannt aus und Gweneths Blick schnellte nach oben. Dort auf dem kleinen Gipfel brannte lichterloh ein Feuer, das auch jegliche Nebel zu durchdringen vermochte. All die innerliche Anspannung fiel von ihr ab und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Schnell folgte sie Gandalf, der etwas weiter entlang der Brüstung gegangen war. Abwartend sah er in die Ferne und sie folgte seinem Blick.
„Amon Dîn.“
Und weit auf dem Gebirge brannte plötzlich ein weiteres Leuchtfeuer, hell wie ein Kerzenlicht. Den wachsamen Soldaten entging das Feuer natürlich nicht und schon bald hörte man die ersten Rufe, gefolgt von überraschtem Gemurmel und Geflüster. Gandalf hingegen schien zutiefst erfreut und strahlte über sein ganzes Gesicht.
„Ein Funken Hoffnung“, sprach er so leise, dass nur Gweneth es hören konnte.
„Wann wird es sie erreichen?“, flüsterte Gweneth und sie spürte, wie er eine Hand auf ihre Schulter legte und sie sachte drückte.
„Schneller als ein Adler zu fliegen vermag.“
„Dann werden sie es bestimmt bald wissen.“
Und unweigerlich dachte sie an die Gefährten und die Menschen, die sie in Edoras und auch in Helms Klamm gelassen hatte. Schwer wurde ihr Herz, als sie an Éomer dachte. Ohne es zu merken, griff sie nach dem goldenen Herzanhänger, den sie niemals ablegte. Unweigerlich wallten Sorgen in ihr hoch, denn eine Schlacht brachte auch immer Opfer. Innerlich fürchtete sie, dass einer ihrer geliebten Freunde unter ihnen sein könnte.
„Sorge dich nicht. Noch ist nichts gewiss.“
Sie sah ihn an und seine blauen Augen schienen direkt auf ihre Seele zu sehen.
„Ich weiß, doch was für ein Mensch wäre ich, wenn ich mich nicht dennoch sorgen würde?“
Er lachte leise und nahm seine Hand von ihrer Schulter.
„Ihr seid wirklich eine einmalige Frau, Gweneth. Ich wünschte, ich wäre Euch zu einer anderen, ruhigeren Zeit begegnet. Viel hätten wir besprechen können.“
„Und noch mehr hätte ich dir erzählen können. Doch vielleicht im nächsten Leben“, murmelte sie und atmete tief ein.
„Komm, wir sollten Pippin in Empfang nehmen.“
Sie nickte und zusammen gingen sie, etwas langsamer als zuvor, auf die andere Seite des Rings. Auf ihrem Weg dahin begegneten sie überall tuschelnden Menschengruppen, die sich teils mit freudiger und teils mit besorgter Miene über die Leuchtfeuer unterhielten. Sie erhöhte kurz ihr Tempo, damit sie neben Gandalf laufen konnte.
„Warum freuen sich die Menschen nicht auf die Hilfe, die zu ihnen kommen wird?“, raunte sie und betrachtete die vor Sorge zerfurchten Gesichter der Menschen.
„Weil sie nicht mit Gewissheit sagen können, ob Hilfe auch kommen wird. Vor allem, ob diese noch rechtzeitig eintrifft. Selbst ich vermag nur zu hoffen.“
„Sie werden es aber schaffen! Ganz sicher, Gandalf! Rohan würde Gondor nicht so einfach im Stich lassen!“
„Die Fronten sind verhärtet und ich hoffe auf die Einsicht von König Théoden, denn von Denethor ist sie gewiss nicht zu erwarten.“
„Aragorn ist bei ihnen. Notfalls wird er Théoden zur Vernunft bringen… schon in Helms Klamm war Aragorn mehr König, als Théoden es je sein wird.“
Gandalf warf ihr einen kurzen Blick zu.
„Ja, du hast Recht.“
Dann musste sich Gweneth gezwungenermaßen zurückfallen lassen, da sie eine enge Gasse durchquerten und ehe sie sich versah, standen sie wieder an derselben Stelle wie zuvor, doch mit einem Mal fuhr Gandalf mit einem tief erschrockenem Gesichtsausdruck herum. Seine Augen sahen weit in die Ferne und verwirrt sah sie ihn an.
„Warte auf Pippin! Danach begebt euch zur nächsten großen Straße!“
Ohne seine Befehle zu begründen, fing er fast an fortzurennen und war schneller verschwunden, als sie seine Worte verarbeiten konnte. Verwirrt sah sie an die Stelle, an der er gerade noch gestanden hatte und vernahm plötzlich ein seltsames, durchdringendes Pfeifen, dem eines Vogels nicht unähnlich. Noch verwirrter sah sie sich um, konnte jedoch keinen Vogel erkennen, der solch einen schönen Singsang von sich geben konnte. Leicht gefrustet lehnte sie sich dann an den kalten Stein, als plötzlich eine Stimme über ihr ertönte.
„Achtung!“
Schnell stieß sie sich von der Wand ab und keinen Atemzug später landete der kleine Hobbit direkt zu ihren Füßen. Als er sich grinsend aufrichtete, nahm sie ihn schnell in die Arme und drückte ihn heftig.
„Ich bin so stolz auf dich, das hast du wirklich gut gemacht!“, jubilierte sie leise und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel.
Er errötete etwas, wurde jedoch schnell wieder ernst, als er sich suchend umsah.
„Wo ist Gandalf?“
„Ich weiß es nicht, doch meinte er, wir sollen zur nächsten großen Straße kommen. Weißt du, wo sie liegt?“
„Ja, ich habe sie beim Abstieg gesehen.“
Pippin eilte an Gweneth vorbei und schlug eine andere Richtung ein, als sie gekommen waren. Nachdem sie sich durch mehrere Kisten und Gewürzsträucher gedrängt hatten, standen sie auch schon auf einer großen gepflasterten Straße.
„Wo…“, wollte sie schon ansetzen, als plötzlich schnelles Hufgeklapper ertönte und Gandalf auf Schattenfell um die nächste Ecke geprescht kam.
Sofort sprangen beide zurück und Gandalf bremste Schattenfell direkt vor ihnen.
„Gweneth, eile hoch in den sechsten Ring und begib dich in die Häuser der Heilung. Sie sollen sich auf die Verletzten vorbereiten.“
„Verletzten?“, fragte Pippin schnell und leicht genervt sah Gandalf ihn an.
„Osgiliath fällt und mit ihnen Faramir.“
Die Augen des Hobbits weiteten sich und ein entschlossener Blick trat in seine Augen.
„Gandalf, ich will mit!“
„Dafür ist keine Zeit, Peregrin Tuk!“
„Ich stehe in Boromirs Schuld, wenn ich Faramir helfen kann, dann werde ich es auch tun!“
Kurz funkelten sich die beiden an.
„Närrischer Tuk!“, fluchte Gandalf, packte ihn am Arm und zog ihn vor sich auf Schattenfell.
„Lauf, Schattenfell!“
Und Gandalfs Pferd preschte mit einem lauten Wiehern nach vorne. Überrascht sah sie ihnen hinterher, als ihr Gandalfs Befehl wieder einfiel. Schnell drehte sie sich um und rannte den Weg hoch in den vierten Ring. Immer mehr Menschen schienen ihr entgegen zu kommen und mit einem Mal ertönte ein lautes Kreischen, das ihr durch Mark und Bein ging. Auf Anschlag blieb sie stehen und warf einen Blick zur Brüstung, auf die immer mehr Menschen eilten. Kurz war sie drauf und dran, weiter zu rennen, als die Neugierde doch siegte und sie mit den anderen Menschen auf die Brüstung ging. Sie schob sich hindurch und quetschte sich unsanft durch die Wachen hindurch, bis sie etwas sehen konnte. Über Osgiliath hing eine schwarze Wolke und die Dunkelheit schien die Stadt regelrecht zu überschatten, doch das war nicht das Grausamste an der Szenerie. Menschen rannten, teils auf Pferden, teils zu Fuß nach Minas Tirith, während sie voller Angst schrien und geflügelte Monster immer wieder auf sie hinabstießen. Sie sahen aus wie Drachen, nur waren sie fledermausartiger und strahlten eine grundtiefe Bösartigkeit aus. Auf ihnen saßen dunkle Kreaturen in langen, schwarzen Mänteln, die sie zu reiten schienen. Immer wieder stießen die Ungeheuer auf die Menschen hinunter, schleuderten sie umher und zerstießen sie. Furcht kroch in ihr Herz, als sie die Bestien schreien hörte. Doch dann erblickte sie Gandalf auf Schattenfell, der ihnen entgegen ritt. Hoffnung keimte wieder in ihr auf und gespannt verfolgte sie den weißen Punkt auf den weiten Feldern, der immer näher an die Ungeheuer heran ritt. Plötzlich hob Gandalf seinen Stab und ein blendend weißer Lichtstrahl schien auf die Kreaturen. Die Ungeheuer, die in ihn gerieten, taumelten, als könnten sie das reine, weiße Licht nicht ertragen und flogen kreischend davon. Erleichterung durchfloss ihr Herz, als sie sah, wie Gandalf langsam zu den Flüchtlingen stieß und er sie zurück zur Stadt begleitete.
Die Menschen um sie herum weinten teilweise vor Erleichterung und viele beschlossen, hinunter zu gehen, um die Überlebenden zu versorgen. Gweneth biss sich auf die Lippen, denn einerseits wollte sie Gandalfs Befehl ausführen, andererseits wollte sie die beiden in Empfang nehmen.
´Ich vermute mal, der Kampf wird nicht unbemerkt geblieben sein, selbst im sechsten Ring. Die Heiler werden also wissen, dass man sie brauchen wird… ach egal, ich geh runter.´
Somit stieß sie sich von der Brüstung ab, drängelte sich durch die Menschen hindurch und rannte so schnell wie sie konnte hinunter. Immer wieder musste sie Menschen ausweichen und wäre beinahe mehrere Male in jemand hinein gelaufen, dennoch rannte sie so schnell wie möglich weiter. Ihre Lunge brannte schon, als sie endlich den untersten Ring erreichte, rannte jedoch unerbittlich weiter, bis sie zu dem vordersten Platz an der mächtigen Eingangspforte angelangt war. Atemringend lehnte sie sich an eine Reiterstatue, die direkt vor den mächtigen Toren stand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Doch sie kam im rechten Augenblick, denn die Männer begannen, den Mechanismus an den Toren zu bedienen und kaum waren sie geöffnet, preschten die ersten Reiter hinein. Gweneth presste sich schnell an den Sockel und als sie den Überblick zu verlieren drohte, zog sie sich hinauf, setzte sich und sah sich suchend um. Niemand schien sie zu beachten und als sie endlich Gandalfs weiße Robe erblickte, hatte sie Glück, denn er hielt nur wenige Meter neben ihr. Doch bevor sie etwas rufen konnte, wurde sie von einem Reiter unterbrochen.
„Mithrandir!”, rief ein braunhaariger Mann mit leichtem Bart und ledernem Brustharnisch auf dem der Baum Gondors abgebildet war.
„Unsere Verteidigung ist durchbrochen! Sie haben die Brücke und das Westufer eingenommen.“
Der Mann ritt etwas näher zu Gandalf und Gweneth rutschte wieder zurück auf den Boden.
„Orkverbände setzen auf dem Fluss über.“
„Wie Herr Denethor es prophezeite. Lang schon sah er diesen Untergang kommen!“, mischte sich nun ein langhaariger, blonder Mann ein, der den schwarzen Umhang der Festungswächter trug.
„Er sah ihn kommen und blieb untätig!“, knurrte Gandalf schon fast und als er Schattenfell wendete, erkannte Gweneth, wie Faramirs Blick auf den Hobbit fiel. Langsam drängte sie sich zu ihnen durch und sah gerade noch, wie Pippin sich unwohl abwandte.
„Faramir? Dies ist nicht der erste Halbling, der Euren Weg kreuzt.“
„Nein“, keuchte er atemlos und sah Pippin weiterhin aus seinen grauen Augen an.
Freude erschien auf Pippins Gesicht und seine Augen strahlten wieder.
„Habt Ihr etwa Frodo und Sam gesehen?“
Faramir nickte und da Gweneth ihre Unterhaltung nicht unterbrechen wollte, besah sie sich den Erben von Herrn Denethor genauer. Er war groß, gut gebaut, wie sehr viele der Männer und sie mochte seine Rüstung. Sie war schlicht und gleichzeitig zeugte sie von seinem hohen Stellenwert. Im Schein der Morgensonne erkannte sie, dass seine Haare einen rötlichen Stich besaßen und obwohl sie vom Wind zerzaust waren, schienen sie recht gepflegt. Ihre Augen wanderten hinunter zu seinem ernsten Gesicht und sie besah es sich genauer. Es war nicht so ausdrucksstark wie Éomers und in ihm lag eine gewisse Sanftheit. Sie vermutete, dass hinter seinen grauen Augen ein wacher Geist war und sie hatte das Gefühl, einen Gelehrten vor sich zu haben. Innerlich grübelte sie noch über ihn nach, doch dann wandte sie sich wieder der Konversation zu.
„Wo und Wann?“, fragte gerade Gandalf und seine blauen Augen leuchteten.
„In Ithilien. Keine zwei Tage ist es her.“
Für einen kurzen Moment schienen Gandalf und Pippin so fröhlich und erleichtert über diese Worte von Faramir.
„Gandalf, sie nehmen die Straße ins Morgultal“, sprach er eindringlich weiter und das Lächeln verblasste auf Gandalfs Gesicht.
„Und dann den Pass von Cirith Ungol“, beendete Gandalf Faramirs Satz voller Entsetzen.
Erneut nickte Faramir noch leicht außer Atem und Pippin sah zwischen den beiden Männern hin und her.
„Und was bedeutet das? Was habt ihr denn?“
Doch beide achteten nicht auf Pippin.
„Faramir, erzählt mir alles! Erzählt mir alles, was Ihr wisst!“
Gweneth hatte den beiden still zugehört und ab und an Schattenfell gestreichelt, wenn er sie mit der Schnauze angestupst hatte. Doch bei dem panischen Gesichtsausdruck von Gandalf hatte sie innegehalten, Schattenfell zu streicheln und nun wieherte er leise und lenkte somit die Aufmerksamkeit von Gandalf auf seine Umgebung. Seine blauen Augen huschten zu ihr und Erstaunen lag in ihnen, als er sie erkannte. Seine Züge versteiften sich etwas und er atmete tief ein.
„Ich habe dich nicht hier unten erwartet“, sprach er in einem strengen Tonfall und entschuldigend lächelte sie ihn an.
„Die Ereignisse vor den Toren und deine rettende Erscheinung hat so viel Aufmerksamkeit erregt, dass es nicht von Nöten war, hinauf zu gehen und den Heilern Bescheid zu geben.“
Streng sah er sie weiterhin an, doch dann sah er schnell wieder zu Faramir.
„Kommt, gehen wir an einen Ort, an dem die Wände keine Ohren besitzen.“
Mit den Worten wendete er Schattenfell und etwas wehmütig sah sie ihm hinterher. Denn sie wusste, dass er keinen Platz mehr auf Schattenfell hatte und sie nun die sieben Ringe hinauf laufen musste. Innerlich seufzte sie, denn so früh am Morgen sieben Ringe hinauf zu laufen, war für jemanden, der nicht so sportlich war, kein leichtes Unterfangen.
„Wenn Ihr erlaubt, könnt Ihr mit mir reiten“, ertönte eine sanfte, männliche Stimme neben ihr und verwundert drehte sie sich um, nur um in Faramirs freundliches Gesicht zu blicken.
„Ich möchte Euch und Eurem Ross nicht zur Last fallen. Die sieben Ringe werde ich schon irgendwie bewältigen können.“
Sie lächelte ihn peinlich berührt an, denn er hatte offensichtlich bemerkt, dass sie nicht unbedingt laufen wollte.
„Erdin ist ein starkes Ross, er vermag es, zwei Menschen zu tragen und mich stört es nicht, eine Dame in Not zu helfen.“
Sie sah in seine meergrauen Augen und lächelte dann schließlich leicht belustigt, denn eine wirkliche Dame in Not war sie nicht. Aber das Angebot war doch so verlockend, dass sie es schließlich annahm.
„Es wäre mir eine Ehre, Herr Faramir, Sohn des Denethor.“
Er nickte und wollte schon absteigen, als sie schnell zu ihm trat und den Kopf schüttelte.
„Bleibt sitzen.“
Und ehe sich Faramir versah, hatte sie sich an ihm fest gehalten, holte Schwung und stemmte sich grazil auf Faramirs Pferd. Schnell umfasste sie seine Hüfte, um nicht herunter zu fallen und rutschte etwas näher zu ihm heran. Verdutzt warf Faramir einen Blick über seine Schulter und sie meinte, ihn leicht schmunzeln zu sehen.
„Sitzt Ihr sicher, Herrin?“
„Ja. Danke, dass Ihr mich mitnehmt“, meinte sie noch schnell und spürte, wie er sein Pferd vorantrieb. Langsam schoben sie sich durch die Menge und als die Wege etwas freier waren, verfiel sein Pferd in einen schnellen Trab.
„Wie lautet Euer Name, werte Herrin?“, fragte er über seine Schulter hinweg.
„Nennt mich Gweneth.“
„Gweneth von Helms Klamm?“
´Oha, sogar er kennt mich… anscheinend kennen mich hier wirklich einige Leute… irgendwie ganz schön peinlich.´
„Ja, die bin ich.“
„Es ist mir eine Ehre, Euch kennen lernen zu dürfen, Herrin.“
Das Blut schoss ihr ins Gesicht und sie schüttelte leicht den Kopf.
„Die Ehre gebührt Euch, Sohn des Denethor, nicht mir.“
Er antwortete nichts darauf. Als sie sich jedoch etwas reckte, um über seine Schulter zu sehen, konnte sie erkennen, wie er schmunzelte.
„Dann ist es also wahr, was man von Euch spricht.“
Nun war ihre Neugierde geweckt und sie drückte sich etwas näher an ihn heran.
„Was wird denn erzählt?“
„Dass Ihr eine starrköpfige Frau seid, gekleidet in den Sachen der Männer. Für jeden habt Ihr ein freundliches Wort übrig und helft, wann immer Ihr die Möglichkeit habt. Dabei weist Ihr jegliche Ehre zurück und versucht, so bescheiden wie möglich zu sein.“
Peinlich berührt biss sie sich auf ihre Lippe und sah auf seinen breiten Rücken.
„Das wird also erzählt?“
Sie spürte, wie er nickte und atmete tief ein.
„Es hätte schlimmer sein können.“
Nun lachte er leise und tief und brachte sie zum Schmunzeln. Sie wandte den Blick von seinem Rücken ab und bemerkte, dass sie bereits im sechsten Ring waren. Vor den Stallungen zügelte Faramir sein Pferd und Gweneth rutschte von dessen Rücken. Neben ihr plumpste Pippin auf den Boden und musterte Faramir mit großen Augen, der sich gerade von seinem Pferd schwang und die Zügel einem Stallburschen gab. Er wendete sich Gweneth zu und sie war überrascht, dass er sie doch um einen halben Kopf überragte.
„Es war mir eine Ehre, Herrin Gweneth von Helms Klamm.“
Er verbeugte sich vor ihr und Gweneth tat es ihm schnell gleich. Doch bevor sie weiter miteinander sprechen konnten, war Gandalf schon bei ihnen.
„Kommt, Faramir, ziehen wir uns an einen sicheren Ort zurück.“
Faramir nickte schnell Gweneth zu, bevor er und Gandalf eiligst davon gingen. Sie sah ihnen noch hinterher, wie sie durch den nächsten Torbogen gingen und dann verschwanden. Innerlich spürte sie, dass er ein freundlicher Mann war mit gutem Herzen und das mochte sie sehr an ihm. Sie war sich sicher, dass, wenn sie länger hier bliebe, er ein guter Freund werden würde.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte mit einem Mal Pippin.
„Nun, noch haben wir ein klein wenig Zeit. Wie wäre es, wenn wir hinaufgingen in unser Haus, etwas essen, dich einkleiden und dann zu deiner Eidablegung gehen?“
Schon bei dem Wort essen, strahlten seine Augen und voller Freude hüpfte er voraus. Gweneth musste einfach lachen und folgte ihm breit grinsend. Obwohl Pippin kurze Beine besaß, war er flink und Gweneth kam ins Schwitzen, als sie ihm folgte.
Sie gelangten in ihr Zimmer und als Gweneth die Tür hinter sich schloss, saß Pippin bereits am Esstisch und machte dort weiter, wo er aufgehört hatte. Schmunzelnd setzte sie sich neben ihn, griff ebenfalls zu einem Stück Brot und beschmierte sich dieses dick mit Marmelade. Doch als sie reinbiss, stand sie langsam auf und setzte sich auf die Fensterbrüstung. In weiter Ferne erkannte sie Osgiliath und bei dem Gedanken daran, dass nun Orks die Stadt besetzten, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Die halb zerstörte Stadt schien nun eine Dunkelheit auszustrahlen, dass sie fast ihre Augen abwenden musste.
„Wann denkst du, werden sie angreifen?“
Pippin hatte sich zu ihr gesellt und sah mampfend mit bangem Blick hinaus. Ihre Augen glitten hoch zu der gigantischen, düsteren Wolke, welche immer näher rückte.
„Ich denke,… noch heute werden sie kommen“, antwortete Gweneth und ihr Herz wurde schwer.
Pippin warf ihr einen schnellen Blick zu und beide kauten still auf ihren Broten herum.
„Und wann wirst du gehen?“
Langsam wendete sie ihren Kopf und sah direkt in Pippins traurige Augen.
„Wenn es nach Gandalf ginge, dann vermutlich sofort. Aber ich versprach, dir bei deiner Eidablegung zur Seite zu stehen. Also vermutlich danach… nur…“
Sie hielt kurz inne und warf wieder einen Blick nach Osgiliath. Immer schwerer wurde ihr Herz bei dem Gedanken, alle zurückzulassen und auch Angst kroch ihr in die Glieder.
„Nur was?“
Tief atmete sie ein und wendete sich ihm wieder zu.
„Nur was ist, wenn es wieder nicht gelingt?“
„Du hast es schon einmal versucht?“
Sie nickte und erinnerte sich aber nur sehr ungern an all die Schmerzen zurück.
„Mein Geist war schon daheim, doch mein Herz hat für einen Bruchteil eines Herzschlags gezweifelt und…“
Sie stoppte, als sie wieder an die Schmerzen dachte.
„Ich wurde gewaltsam wieder in diese Welt gezogen… es war… sehr schmerzhaft. Es hätte jedoch sehr viel schlimmer ausgehen können…. Ich hätte sterben können“, hauchte sie und sah wieder weit hinaus, ihren Blick über den feurigen Himmel am Horizont schweifen lassend.
„Dann bleibe“, meinte Pippin halblaut.
„Es ist zu gefährlich und das weißt du… doch…“
Sie wendete ihren Blick wieder zu Pippin.
´Doch, was ist, wenn ich es nicht schaffe? Was ist, wenn ich daran scheitere? Ich mein, es gibt niemanden, der den Ring nutzen kann, es sei denn, er besitzt das Wissen und elbisches Geblüt… naja und halt Sauron… ich denke, es wäre unklug, ihn an meinem Finger zu lassen, falls es schief gehen sollte. Der Feind weiß zwar nicht, dass ich ihn hab, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.´
„Hör mir nun gut zu, Pippin.“
Sie setzte sich langsam neben ihn auf die Bank und voller Ernst war ihr Gesicht.
„Falls ich bei dem Versuch sterben sollte.“
Er öffnete seinen Mund, doch sie schüttelte ihren Kopf und Pippin schloss ihn wieder.
„Falls… es so sein sollte, dann gib den Ring Gandalf. Auch er ist ein Hüter eines Rings und weiß vermutlich, was mit ihm zu tun ist.“
Sie lächelte traurig, nur konnte Pippin ihr Lächeln nicht erwidern. Groß vor Trauer waren seine Augen, doch sie wich seinem Blick aus und sah lieber hinaus in das schwindende Sonnenlicht.
„Ich werde dich vermissen.“
„Ich dich auch.“
Mit den Worten drehte sie sich wieder zu ihm um, wuschelte ihm lächelnd durch die Haare und seufzte dann leise.
„Komm, wir haben schon zu lange in düsteren Gedanken geschwebt! Wir müssen dich immerhin auf deine Eidablegung vorbereiten… hol mal deine Kleidung, vermutlich wirst du das erste Mal etwas Hilfe brauchen.“
Pippin nickte, rutschte von der Bank und tapste schnell in seine Bettnische. Derweil räumte Gweneth das Geschirr und die Essensreste beiseite, damit sie Platz für seine Rüstung hatte. Kaum war sie fertig, ertönten die Schritte von Pippin und etwas unbeholfen legte er alles auf den blanken Holztisch.
Ihr Blick glitt über seine Ausrüstung.
„Zuerst zieh die Hose an, lass jedoch dein Hemd an. Darüber ziehst du dann das Kettenhemd, die lederne Weste und am Ende die Robe.“
Sie griff zu der schwarzen Stoffhose, die sich anfühlte wie dicker Samt und übergab sie ihm. Schnell verschwand er in seiner Bettnische und sie hörte, wie er schnell die Hose wechselte. Dann kam er wieder nach draußen und sie hielt ihm das Kettenhemd hin. Er nahm es in die Hand und prompt ließ er es los.
„Das ist schwerer als gedacht“, murmelte er mit großen Augen und Gweneth musste stark an sich halten, um nicht loszulachen.
Pippin hob es wieder auf und schlüpfte mit leichten Schwierigkeiten hinein. Es reichte ihm jetzt bis auf die Knie. Darüber zog er eine feste Weste aus dickem Leder und oben drüber die Robe der Turmwächter. Die Robe war schwarz, ging ihm ebenfalls bis zu den Knien und war aus demselben Stoff wie die Hose. Ein silberner Baum mit sieben Sternen war auf die Brust gestickt und auch die Säume waren kunstvoll verziert.
„Eine schöne Robe“, meinte sie, während ihre Augen über die schönen Stickereien wanderten.
Dann übergab sie ihm seinen Gürtel, den er sich sogleich umschnallte und so lang war, dass er ihn zwei Mal rumwickeln konnte. Er befestigte auf seiner rechten Seite eine Tasche, während Gweneth sein Schwert in Augenschein nahm.
Es hatte eine seltsame Länge, die jedoch für den Hobbit genau zu passen schien. Die lederne Hülle war schlicht gehalten. Nur ganz oben an der Scheide gab es einen Knubbel, den sie als Abbildung Minas Tiriths mit seinen sieben Ringen erkannte. Dann übergab sie ihm auch das Schwert und er band es auf seine linke Seite.
„Wie sehe ich aus?“, fragte er unsicher und sah an sich herunter.
„Wie ein Wächter der Veste. Sie steht dir“, meinte sie lächelnd und warf ihm dann noch schließlich den silbernen Helm zu, der so typisch war für die Wächter.
Pippin verzog sein Gesicht und besah sich den langgezogenen Helm.
„Der Helm gefällt mir nicht und er wird mir auch nie gefallen.“
„Ich finde ihn auch nicht so toll, aber einen anderen wirst du nicht bekommen. Du musst ihn bestimmt nur in Notzeiten tragen.“
Er seufzte ergeben und legte den Helm zurück auf seinen Tisch.
„Ich denke, es ist bald soweit… ich zieh mir noch schnell meine Rüstung an und dann können wir.“
Ohne auf seine Antwort zu warten, ging sie in ihre Nische, legte den Mantel ab und schlüpfte in ihre bequeme lederne Rüstung, die ihr schon so vertraut war. Zum Schluss legte sie wieder ihren dunkelgrünen Mantel an und ging hinaus. Pippin saß gedankenverloren auf der Steinbank und sah auf die Handschuhe hinab, die er in seinen Händen hielt.
„Über was grübelst du nach?“, fragte sie sanft und riss ihn aus seinem Tagtraum.
„Über nichts Wichtiges. Komm, lass uns gehen, ich möchte nicht so spät erscheinen, denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass es Herr Denethor nicht gutheißen würde.“
„Gewiss nicht… vielleicht würde er dich ja vom Turm schmeißen“, witzelte sie und Pippin amüsierte der Gedanke so sehr, dass er schallend lachte, während sie ihr Haus verließen.
Immer wieder witzelnd gingen die beiden ungleichen Freunde auf dem Weg zu dem Thronsaal und wurden dort dann auf eine Nebentür gewiesen. Der Herr Denethor war noch in einem Gespräch und sie mussten warten. Pippin setzte sich auf eine steinerne Bank und starrte nervös auf den Boden. Gweneth hingegen lief langsam auf und ab, während auch sie langsam nervöser wurde.
´Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Denethor heute mich nicht ignorieren wird… ich habe ehrlicherweise keine Lust, ihm zu begegnen, aber ich habe es Pippin nun mal versprochen. Vermutlich platzt er fast vor Nervosität… der Arme.´
Während sie auf und ab ging, schweifte ihr Blick über die weißen Rundbögen und lenkte sie von ihrer Nervosität ab.
´Zu gerne hätte ich meinen Zeichenblock zur Hand… vielleicht finde ich später noch etwas Zeit, um etwas zu zeichnen… selbst wenn es nur Skizzen sind. Minas Tirith ist so beeindruckend, dass es unbedingt festgehalten werden muss.´
Langsam legte sie eine Hand auf die kühle, schwarze Marmorsäule, schloss die Augen und tauchte tief in das Gestein hinab. Ein Gefühl der Wärme, der Zuneigung und der Stärke durchfloss sie, ließ sie ganz darin baden und ein seliges Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Langsam legte sie ihre Stirn an den Marmor, fühlte jedoch nicht die kalte Oberfläche, sondern das wärmende Innere des Steines. Er hatte viel gesehen und viel erlebt und dennoch stand er aufrecht voller Stolz, voller Erhabenheit, voller Stärke.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, Peregrin Tuk“, sprach plötzlich Pippin leise und ließ Gweneth sich aus dem Gestein zurückziehen.
Verwundert sah sie um die Säule herum und beobachtete Pippin, der weiterhin mit sich selber sprach, nicht denkend, dass sie ihn sehr gut hören konnte.
„Welche Dienste kann ein Hobbit einem so großen Herrn und Herrscher schon anbieten?“
´Das hat ihn also vorhin beschäftigt.´
Langsam trat sie um die Säule herum und setzte bereits zum Sprechen an, als sie unterbrochen wurde.
„Es war gut getan“, ertönte plötzlich Faramirs Stimme und er schritt aus einem Seitengang zu ihm, Gweneth nicht bemerkend.
„Großmütigen Taten sollte nicht durch kalten Rat Einhalt geboten werden.“
Schnell stand Pippin auf, während Faramir kurz vor ihm stoppte. Gweneth hatte sich wieder an die Säule gelehnt und hörte gespannt zu.
„Du gehörst jetzt also zur Turmwache.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass man eine Hoftracht findet, die mir passt.“
„Sie hat einmal einem Jungen der Stadt gehört. Einem wahrlich törichten. Er vergeudete viele Stunden mit dem Töten von Drachen und vernachlässigte seine Studien.“
„Sie gehörte Euch?“
Gweneth schmunzelte leicht und die Sympathie stieg ihm gegenüber.
„Ja, es war meine. Mein Vater ließ sie für mich anfertigen.“
„Tja, ich bin größer als Ihr damals ward. Nur ist es nicht wahrscheinlich, dass ich noch wachse, außer in die Breite.“
Ihr Grinsen wurde breiter und sie beschloss langsam, ihr Versteck aufzugeben, während die beiden Männer leise lachten.
„Sie passte mir auch nie richtig. Boromir war immer der Soldat von uns beiden. Sie waren sich so ähnlich, er und mein Vater.“
Sie konnte förmlich die Traurigkeit aus seiner Stimme heraushören.
„Stolz und stur, aber stark.“
„Auch Ihr seid stark, auf eine andere Art. Und eines Tages wird Euer Vater das erkennen.“
Faramir atmete tief ein und langsam schritt Gweneth hinter der Säule hervor.
„Pippin hat Recht.“
Faramir drehte sich schnell rum, und als er sie erblickte, sah er sie verwundert an. Für ihn muss es das erste Mal gewesen sein, eine Frau in Rüstung zu sehen.
„Vielleicht mögt Ihr kein Soldat sein, doch um herrschen zu können, wird mehr benötigt, als bloße Muskelkraft.“
Langsam gesellte sie sich zu ihnen und der verblüffte Ausdruck aus seinem Gesicht verschwand noch nicht.
„Ich kenne Euch erst seit Kurzem, doch mein Gefühl sagt mir, dass Ihr mehr könnt, als Ihr zugeben mögt.“
Sie lächelte ihn an und er erwachte aus seiner Starre.
„Herrin Gweneth, ich danke für Eure freundlichen Worte.“
Er nickte ihr lächelnd zu und sie erwiderte es leicht.
„Wann kann die Eidablegung beginnen?“, lenkte sie ab.
„Sogleich.“
Er wandte sich an Pippin.
„Ich bin gekommen, um Euch abzuholen, Herr Peregrin“, meinte er mit einem Lächeln und Pippin versteifte sich.
„Kann ich mitkommen?“, fragte Gweneth sicherheitshalber noch einmal und er zögerte kurz, nickte aber schließlich.
Pippin schenkte ihr ein erleichtertes Lächeln und sie wusste, dass er erleichtert war, jemand bekanntes bei sich zu wissen, gleich ob sie den Truchsess sehen wollte oder nicht. Nervosität legte sich auf ihr Herz, als sie durch einen Torbogen und nachfolgendem kurzen Gang in die große Halle gelangten. Der Truchsess saß bereits auf seinem Thron und sah ihnen kühl entgegen. Faramir stoppte in ein paar Metern Entfernung zum Thron und gab Gweneth mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass sie ebenfalls stehen bleiben sollte. Sie gehorchte, stellte sich neben die schwarzen Säulen und beobachtete abseits, wie Denethor den Hobbit dazu anwies, sich niederzuknien.
Offenbar konnte Pippin den Eid schon auswendig, denn ohne Umschweife fing er an, den Eid aufzusagen.
„Hier gelobe ich Lehnstreue und Dienst für Gondor. Im Frieden oder Krieg, im Leben oder Sterben, von dieser Stunde fort an, bis mein Herr mich freigibt oder der Tod mich nimmt.“
Schwer schluckte Gweneth, doch der Truchsess schien von Pippins Eidablegung wahrhaft gerührt zu sein.
´Vielleicht ist er tief in seinem Herzen kein so schlechter Mensch, wie ich anfangs den Eindruck hatte.´
„Und ich werde es nicht vergessen, noch versäumen, das zu vergelten, was gegeben wird.“
Pippin küsste seinen Ring und Gweneth kroch eine Gänsehaut über ihre Arme. Solch ein Zeichen der Unterwerfung war ihr zuwider, doch sie verstand, dass es die alten Traditionen nun einmal so verlangten.
„Lehnstreue mit Liebe, Tapferkeit mit Ehre, Eidbruch mit Strafe.“
Er hatte sich erhoben und schritt würdevoll zu dem langen Esstisch, während er Faramir kalt ansah. Denethor setzte sich und häufte sich Essen auf seinen Teller, als Pippin schließlich aufstand und etwas verloren neben ihm stand.
„Ich denke nicht, dass wir die äußeren Verteidigungswerke so leichtfertig preisgeben sollten, die dein Bruder so lange unversehrt gehalten hat.“
Er strafte Faramir mit einem weiteren kalten Blick und Gweneth bekam ein ungutes Gefühl.
„Was willst du, das ich tue“, fragte Faramir mit fester Stimme.
„Ich werde den Fluss und den Pelennor nicht kampflos aufgeben. Osgiliath muss zurückerobert werden.“
Gweneth wurde es ganz schlecht.
„Mein Herr, Osgiliath wurde überrannt!“
„Viel muss im Krieg gewagt werden“, meinte er kalt und Gweneth konnte nicht glauben, was er von seinem Sohn verlangte. Sie erinnerte sich an die bedrückende Dunkelheit zurück, die Osgiliath nun innehatte.
„Ist hier ein Heerführer, der noch den Mut hat, den Wunsch seines Herrn zu erfüllen?“
Selbst Pippin sah verstört von einem zum anderen und man konnte in seinem Gesicht ablesen, dass er nicht verstand, wie herzlos Denethor sein konnte. In Gweneths Herz schlich sich langsam Wut gegenüber Denethor und sie verspürte Mitleid und Traurigkeit wegen Faramir, der weiterhin der Kälte von seinem Vater ausgesetzt war.
„Du wünschst, unsere Plätze wären vertauscht, dass ich tot und Boromir am Leben wäre.“
„Ja… das wünsche ich.“
Traurigkeit durchbohrte ihr Herz wie ein Dolch und als sie einen vorsichtigen Seitenblick auf Faramir warf, merkte sie, wie nahe er den Tränen war. Zu gerne hätte sie ihre Arme um ihn gelegt und ihm die Wärme gegeben, die ihm zugestanden hätte.
„Da du Boromirs beraubt bist, will ich tun, was ich an seiner Statt kann.“
Er verbeugte sich vor seinem Vater und ging gefasst Richtung Ausgang, drehte sich jedoch dann noch einmal um.
„Wenn ich zurückkehren sollte, denke besser von mir, Vater.“
Wieder wandte er sich ab und ging Richtung Ausgang. Erstarrt sahen Pippin und Gweneth Faramir hinterher, als Denethor erneut sprach.
„Das hängt von der Art deiner Rückkehr ab.“
Heiße Wut loderte in ihr auf, als sie den stolzen Rücken betrachtete, der langsam Richtung Ausgang ging. Am liebsten hätte sie ihr Schwert gezogen und Denethor sauber den Kopf abgetrennt. Die Tore wurden geschlossen und Gweneth starrte noch immer auf die schwarzen Türen, durch die eben noch Faramir gegangen war. Sie konnte sich nicht regen, denn sie fürchtete, ansonsten Denethor einen deftigen Tritt verpassen zu müssen. Selbst Pippin stand ratlos da und wusste nicht, was er tun sollte.
„Nun, Weib von Helms Klamm“, in seiner Stimme lag so viel Verachtung, dass es ihr ganz kalt wurde und gleichzeitig auch heiß vor Wut.
Das Wort ´Weib´ hatte sie noch nie gemocht. Innerlich spannte sie sich an und versuchte zu verdrängen, dass Denethor seinen einzigen Sohn in den Tod geschickt hatte und anscheinend von Frauen nicht sehr viel hielt, wobei sie es nicht sonderlich überraschte. Langsam wendete sie sich ihm zu, versuchte ihrem Gesicht einen entspannten Ausdruck zu geben und ging dann gefasst und mit aufrechter Körperhaltung zu ihm. Wenige Meter vor ihm blieb sie stehen und hob ihren Blick. Er sah sie aus kalten, abfälligen Augen an und nur mit großer Kontrolle zwang sie sich, ihn anzusehen und höflich zu bleiben.
„Ja, Herr Truchsess?“, antwortete sie mit gepresster Stimme, da sie gerade innerlich mit ihrer Wut rang.
„Was führt Euch nach Minas Tirith, dazu noch in Rüstung, wie ein Mann.“
„Ich begleitete Pippin und Gandalf und die Rüstung war ein Geschenk, die mir in der Schlacht um Helms Klamm große Dienste erwies.“
Denethor biss in ein paar Trauben und betrachtete sie abfällig.
„Und wie gelangtet Ihr her? Nur ein Pferd mit zwei Reitern ist hier eingetroffen, von Euch fehlte bei ihrer Ankunft jegliche Spur.“
Gweneth wurde es kurz heiß und kalt, schwieg jedoch.
„Man könnte meinen, dass ihr einfach in Minas Tirith aufgetaucht seid… mitten aus der Luft heraus.“
´Er weiß es… der Drecksack weiß es! Wie verdammt nochmal kann er das wissen?´
„Ich vermag solch großartige Magie nicht zu leisten, da ich ein einfacher Mensch bin. Bei der Ankunft von Gandalf und Pippin war ich nicht dabei, da mich noch einige Dinge in Rohan beschäftigten und ich erst etwas später losreiten konnte.“
Er warf ihr einen kalten Blick zu und in seinen grauen Augen konnte sie lesen, dass er wusste, dass sie log.
´Ich muss hier so schnell wie möglich raus, ansonsten stellt er Fragen, die ich nicht beantworten kann.´
„Wenn ihr mich nun bitte entschuldigen mögt, Gandalf erwartet mich bereits“, meinte sie mit einer knappen Verbeugung, drehte sich auf den Fersen um und ging einfach zum Ausgang.
Denethor hielt sie nicht auf, doch mit ihrer Flucht aus dem Thronsaal bestätigte sie nur umso mehr seinen Verdacht, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Im Moment war dies ihr jedoch völlig egal, denn dies würde ihr letzter Tag in Mittelerde sein und sie musste schon viel Pech haben, damit er dahinter kam. Als sie schließlich im Freien war und hinter ihr die Tore geschlossen wurden, fühlte sie sich etwas besser, da sie seine grauen Augen nicht mehr im Rücken spürte. Sie sah in den Himmel, der allmählich immer dunkler zu werden schien und sie wunderte sich etwas, immerhin war es noch Mittag. Schließlich sah sie zur großen Wolke, die sich unaufhaltsam der Stadt näherte. Ihre Gedanken wanderten zu Faramir und ihr Herz wurde wieder schwer. Sie hatte ihn durch seine freundliche Art bereits ins Herz geschlossen und es schmerzte sie, jemanden leiden zu sehen, den sie mochte.
´Wenn ich ihn doch aufmuntern könnte…´
Wind blies ihr ins Gesicht und sie schloss die Augen. Doch der Wind war kühl und wirkte rau auf ihrer Haut. Betrübt öffnete sie ihre Augen wieder und nutzte die Macht des Ringes, in den Stein zu ihren Füßen einzudringen. Wärme durchflutete sie und ließ die Bedrohung, ausgehend von der Wolke, verschwinden. Neuer Mut durchfloss sie und mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte. Schnell zog sie sich zurück und rannte los. Sie rannte den Weg durch den Tunnel, hinunter in den sechsten Ring und danach zu den Stallungen. Es waren viele Soldaten unterwegs, die ihre Rösser rüsteten und mit grimmigen Mienen vor sich hin starrten. Sie drosselte ihren Schritt und ihr Herz wurde schwer, denn sie würden mit Faramir reiten. Ihn hingegen entdeckte sie nicht, gleich wie oft sie hoch hüpfte, um ihn zu erblicken. Da jeder Soldat dieselbe, silbrige Rüstung trug, konnte sie ihn auch von Weitem nicht erkennen. Schnell sah sie sich um und packte schließlich den nächstbesten Soldaten am Oberarm.
„Wo finde ich Herrn Faramir?“
Verblüfft sah der Mann sie an, doch zu sehr war er von ihrer Erscheinung irritiert, als dass er fragen konnte, warum sie ihn suchte.
„Er befindet sich im zweiten Stall, Herrin.“
„Habt Dank, Eru sei mit Euch.“
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das ihn leicht erröten ließ und eilte dann so schnell es ihr möglich war durch die Soldaten hindurch zum zweiten Stall. Als sie den Eingang erreichte, sah sie gerade, wie Faramir mit dem Helm unter seinem Arm sein braunes Pferd herausführte.
„Faramir!“, rief Gweneth und verwundert hob er seinen Blick.
Als er sie erblickte, wie sie auf ihn zueilte, lächelte er ihr zu, doch war es ein schwaches Lächeln. Er trug nicht seine lederne Rüstung wie bei ihrer ersten Begegnung, sondern die gondorianische, silbrige Rüstung, die ihm nicht so recht zu stehen schien.
„Ein Glück, dass Ihr noch hier seid“, meinte sie breit lächelnd und schritt näher zu ihm heran.
„Verzeiht, aber mir bleibt nicht mehr viel Zeit zum Reden“, sprach er entschuldigend, doch sie schüttelte nur den Kopf.
„Ich wollte Euch nur Glück wünschen, auf dass Ihr heil wiederkehren mögt.“
Erneut lächelte er traurig und strich über die Schnauze seines Pferdes.
„Wollt Ihr mir kein Glück für die Eroberung wünschen?“, fragte er mit einem schiefen Lächeln, das sie jedoch kaum erwiderte.
„Ihr meintet selbst, dass Osgiliath überrannt worden ist und ich vertraue mehr Eurem Urteil, als dem Eures Vaters.“
Faramirs Kiefermuskeln waren angespannt und traurig sah sie ihn an.
„Ich bin jedoch nicht gekommen, über Euren Vater zu sprechen, sondern um Euch etwas Mut zu geben.“
Fest sah sie ihm in die Augen, in denen Verwunderung lag, dann packte sie ihn plötzlich am Handgelenk und zog ihn bestimmend an der Felswand entlang.
„Herrin?“, fragte Faramir verwundert, ließ sich jedoch mitschleifen und sie hielt erst inne, als die meisten Soldaten nicht mehr zu sehen waren.
„Ich will etwas ausprobieren“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln und zog ohne Umschweife seine beiden Handschuhe aus. Sie ließ diese achtlos zu Boden fallen und ihre eigenen folgten gleich danach.
„Was…?“
Doch sie unterbrach ihn.
„Vertraut Ihr mir?“
Tief sah sie in seine grauen Augen und einen kleinen Moment zögerte er, bis er schließlich nickte.
„Dann fürchtet Euch nicht“, flüsterte sie, als sie seine Hände in ihre nahm und sich gegen das Gestein lehnte. Langsam schloss sie ihre Augen und ließ sich von den starken Gefühlen Minas Tiriths erfüllen. Erst als die Wärme ihren ganzen Brustkorb auszufüllen schien, lenkte sie die Wärme in ihre Arme und schließlich griff sie unbewusst Faramirs Hände fester. Ihr ganzer Wille war darauf gerichtet, dass die Wärme auch in Faramir überging. Mit einem Mal spürte sie, wie auch Faramirs Hände warm wurden und der Strom der Gefühle nun auch in ihn überging. Er keuchte leise, doch sie ließ ihre Augen geschlossen. Sie verstärkte nur noch den Strom und konnte fühlen, wie Faramir ihn förmlich aufsaugte. Nicht nur die Wärme ließ sie hindurch, sondern auch den Stolz, die Aufrichtigkeit und die Liebe zu seinem Volk ließ sie ihn spüren. Eine kleine Ewigkeit standen sie so da und badeten in den Gefühlen, bis Gweneth spürte, dass es Zeit war abzubrechen. Ganz langsam zog sie sich zurück und unterbrach die Verbindung zum Gestein. Ebenso ließ sie langsam seine Hände los und spürte jedoch noch die Wärme in ihrem Inneren. Erst jetzt öffnete sie ihre Augen und sah zu Faramir, der völlig verwirrt blinzelte.
„Was war das?“
„Das, Herr Faramir, waren die Gefühle Eurer Stadt, die ihr nun bei eigenem Leibe erfahren habt.“
„Wie… wie kann das sein?“
Sie hatte sich dazu entschlossen und jetzt gab es kein Zurück mehr. Gweneth wusste, dass er eine gute Seele besaß und er würde sie nicht verraten.
„Reicht Euch das als Antwort?“
Sie hob ihre linke Hand und ihr Ring funkelte im spärlichen Licht golden.
Zuerst schien Faramir nicht zu verstehen, doch dann wich er einen Schritt zurück.
„Bei Eru! Ihr seid die Hüterin des vierten Elbenrings!“
Sie nickte und ließ wieder ihre Hand sinken.
„Ich wollte Euch zeigen, dass ihr auf die Liebe Eures Vaters nicht angewiesen seid, weil das Land, die Stadt und die Menschen Euch lieben. Ihr werdet geliebt und die Stadt und Euer Volk brauchen Euch! Kommt also wieder lebendig zurück“, meinte sie ernst.
Kurz sahen sie sich noch einen Moment lang in die Augen, bis Faramir sich bückte und die Handschuhe vom Boden aufhob.
„Ich danke Euch, Herrin Gweneth, für das, was ihr mir gezeigt habt.“
Er verneigte sich vor ihr und bevor sie sich versah, hatte er ihr einen Handkuss gegeben. Perplex sah sie ihn an, während er ihre Handschuhe zurückgab.
„Ihr habt mir wahrlich neuen Mut geschenkt. Soll er nicht umsonst gewesen sein.“
Er lächelte sie breit an, wandte sich dann ab und ging zurück zu seinem Pferd. Immer noch verblüfft sah sie ihm hinterher und lächelte dann breit.
´Der Versuch hat sich also bezahlt gemacht… ein Glück… ich hoffe, ich konnte seinen Gemütszustand etwas heben.´
Noch eine Weile stand sie so da und beobachtete die Soldaten, bis sich alle auf ihre Rösser geschwungen hatten und sie aus dem Ring ritten. Erst dann lief sie hinauf in den siebten Ring, auf die Spitze des dornartigen Vorsprunges und sah hinunter. Eine Zeit lang musste sie warten, doch irgendwann wurden die mächtigen Tore geöffnet und eine Reiterschar ritt heraus. Aus dem Knäul der Reiter bildeten sich zwei Angriffslinien und ritten mit schnellem Tempo auf Osgiliath zu. Plötzlich drang ein leiser und sehr trauriger Gesang an ihr Ohr und obwohl sie die gesungenen Worte nicht verstehen konnte, füllte sie die Melodie mit Traurigkeit. Ohne dass sie es realisierte, tropften die ersten Tränen auf die steinerne Brüstung. Kälte griff um ihr Herz und sie konnte ihren tränenverschleierten Blick nicht von den Reitern abwenden. Sie durfte von der Grausamkeit den Blick nicht abwenden, denn damit würde es nicht ungeschehen bleiben. Immer mehr Tränen tropften hinunter, als die Reiter die Felder, die im Licht lagen, verließen und auf die Dunkelheit zuritten. Noch immer drang die traurige Melodie in ihr Inneres und mit einem Mal war die Schlacht um Helms Klamm ihr wieder deutlich vor Augen. Sie konnte das Blut riechen, die schmatzenden Geräusche und die Schreie der Sterbenden wieder hören, als wäre sie erneut mitten in der Schlacht. Angst um ihre Freunde wallte in ihr hoch und als die Gedanken zu Éomer wanderten, konnte sie keine Träne und den Schmerz in ihrem Herzen nicht mehr zurückhalten.
Ihre Hände krallten sich in die Brüstung, als sie mit einem Mal eine Woge der Kälte erfasste und sie zwang, zwischen den Schluchzern und durch den Tränenschleier hinunter auf die Felder zu blicken.
Pferde und Reiter, getroffen wie von Geisterhand, fielen zu Boden. Ihre Schreie drangen bis zu ihr hoch. Die Wenigen, die nicht getroffen waren, ritten unerschrocken weiter, doch ein zweiter Pfeilhagel halbierte die Anzahl erneut. Die Ersten kamen Osgiliath näher, fielen doch erneut in einem Hagel aus Pfeilen. Jene, die auch dies überlebten, wurden konfrontiert mit den Orks, die laut schreiend über ihre Opfer herfielen. Keiner stand auf, kein Pferd regte sich mehr. Eine Welle aus Kälte und Schmerz überrollte sie erneut. Weinend ließ sich Gweneth auf den Boden sinken und umklammerte ihren Körper schützend vor der Kälte, die immer stärker wurde. Zitternd saß sie auf dem Boden und vergoss die letzten Tränen, die sie aufbringen konnte. Sie weinte um ihre Freunde, die dem Grauen nicht entfliehen konnten; um Éomer, den sie vermutlich verlieren würde, um Faramir und um jene, die es nun nicht mehr konnten. Lange weinte sie und niemand schien auf sie zu achten. Ganz langsam bekam sie den Schmerz in ihrem Herzen wieder unter Kontrolle und vergrub ihn wieder tief in ihrer Brust. Noch eine Weile saß sie auf dem kühlen Boden und versuchte, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen, als sie plötzlich seltsamen Lärm vernahm. Verwirrt schüttelte sie ihren Kopf und strich sich eine wirre Haarsträhne hinter ihr Ohr. Der Lärm war schon ziemlich laut, nur schien sie ihn erst jetzt realisiert zu haben. Langsam drehte sie sich auf alle Viere und stemmte sich wieder hoch, doch beinahe hätte sie bei dem Anblick den Halt verloren. Angst kroch in jedes ihrer Glieder und ihr wurde schlagartig bewusst, dass ohne Rohan Gondor verloren war.

Kapitel 1-10

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Kapitel 11-20

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Kapitel 21-30

21

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24

25

26

27

28

29

30

Kapitel 31-40

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

Kapitel 41-50

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

Kapitel 51-60

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55

56

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