Der Ring der Erde

Kapitel 39

Kalter Wind peitschte in ihr Gesicht und ließ sie von innen heraus gefrieren. Mit angstgeweiteten Augen sah sie hinunter, nicht fassend, was sie sah. Vor ihr erstreckten sich auf den ganzen Pelennorfeldern, bis hin zum Fluss, Heere der Orks. Sie riefen in ihren tiefen, grausamen Sprachen und brachten die Festung zum Erzittern. Hölzerne Belagerungstürme, so viele, dass sie diese nicht zu zählen vermochte, rumpelten dem ersten Ring immer näher. Katapulte schleuderten Steine in die Seiten der weißen Stadt, die in Dunkelheit gehüllt war und vereinzelt brannte. Trümmer der Stadt wurden zurück katapultiert und zermalmten unter ihnen Orks, jedoch schien es ihr, als würden sie dennoch immer mehr werden. Ihre Knöchel traten weiß hervor, als sie sich an die Brüstung klammerte, nicht fähig, sich zu rühren, während die so stolze Stadt unter ihren Füßen und deren Bewohner vor Schmerz und Furcht schrien.
Sie hob ihren Blick, während stumme Tränen ihrem Gesicht herunter rannen und mit einem Mal ertönte das grausame Schreien der fledermausartigen Ungeheuer. Ihre Schreie drangen in ihre Seele und ihr Kopf schmerzte. Sie presste ihre Hände auf die Ohren und musste zusehen, wie die Ungeheuer hinabstießen, Katapulte zerrissen und Menschen in den Abgrund stürzten. Innerlich nicht fassend, taumelte sie leicht zurück, die Hände langsam sinkend, während das grausame Bild allmählich aus ihrer Sicht trat. Dennoch roch sie noch deutlich den Rauch und hörte die Schreie der Menschen und der todbringenden Wesen. Plötzlich ertönten laute Rufe hinter ihr und sie drehte sich mit starren Augen um.
Es waren vier Männer aus dem Tunnel des sechsten Rings getreten. Sie trugen eine Bahre, gefolgt von zwei weiteren Männern. Der blonde Mann, den sie schon einmal gesehen hatte, kurz bevor sie Faramir kennenlernen durfte, lief voraus. Zwischen den vier Männern erhaschte sie einen Blick auf den Mann auf der Bahre, der ihr schrecklich vertraut war.
´Faramir!´
Sie vergrub all ihre Ängste und lief sofort los, als die Tore der Königshalle aufsprangen. Denethor lief mit wehenden grauen Haaren voraus und dahinter erkannte Gweneth Pippin und die Gefolgschaft des Truchsess.
„Faramir!“, rief der Truchsess voller Sorge und sein Umhang blähte sich beim Laufen gespenstisch auf. Die vier Männer stellten Faramirs Bahre vor den Baum Gondors, während Denethor sich an der Kopfseite niederließ und seine Haare sein entsetztes Gesicht verdeckten. Ihre Schritte wurden langsamer, da sie sich fürchtete vor dem, was nun kommen sollte. Angst schnürte ihr Herz zu, als sie auf die Versammlung zulief und den Worten lauschte, immer den Blick auf Faramir gerichtet.
„Sie hatten eine Übermacht gegen sich. Niemand hat überlebt“, sprach der Mann mit den blonden, langen Haaren und dem schwarzen Umhang.
„Meine Söhne sind gefallen“, wimmerte Denethor, der sich langsam erhob und torkelnd vor seinem Sohn zurückwich.
Schmerz grub sich tief in sein Gesicht und Gweneth blieb abrupt stehen. Schmerz wallte durch ihren Körper und lähmte sie.
´Er… er hat seinen Sohn in den Tod geschickt´, dachte sie mit aufgerissenen Augen, während sie Denethor zusah, wie er immer weiter torkelte und Pippin sich zu Faramir kniete.
„Er lebt! Er braucht Arznei, mein Herr!“, rief Pippin mit einem Mal laut und seine Worte waren Balsam für ihre Seele.
Der Schmerz verschwand schlagartig und Hoffnung kehrte in ihr Herz zurück.
„Meine Linie ist zu Ende!“, rief Denethor wie von Sinnen und überhörte Pippin, der verzweifelt nach seinem Herrn rief.
Als Pippin sich verzweifelt umsah, erblickte er Gweneth, die in einiger Entfernung immer noch wie angewurzelt stand, jedoch mit Freudentränen in ihren Augen.
„Gweneth! Bitte, hilf ihm!“, flehte er und riss sie aus der lähmenden Starre.
Sie überbrückte die letzten Meter in wenigen Schritten und kniete sich neben Faramir. Sein Gesicht war blass und nur schwer konnte man annehmen, dass er noch lebte. Sie hob sachte eins seiner Augenlider an und als sich seine Pupille verkleinerte, lächelte sie erleichtert.
„Du hast Recht, noch lebt er.“
Ein gewaltiger Schrei ließ sie zusammenzucken und als sie sich umsah, erkannte sie, dass es Denethor war, der so geschrien hatte. Dieser wankte von der Brüstung zurück, mit Todesangst in seinen Augen. Er hatte die gigantische Streitmacht zu seinen Füßen erblickt.
„Verlasst eure Posten! Flieht! Flieht um eurer Leben!“
Ungläubiges Getuschel ertönte um sie herum und die ersten Untergebenen fingen an, zögernd die ersten Schritte zurückzugehen. Plötzlich flitzte etwas Weißes an ihr vorbei und ehe sie sich versah, hatte Gandalf seinen weißen Stab erhoben und auf Denethor zwei Mal kräftig eingeschlagen. Wimmernd sank dieser zu Boden, während Gandalf sich umdrehte und seine ganze Macht verströmte.
„Macht euch kampfbereit!“, rief er mit lauter Stimme, die seltsamerweise in sie einzudringen schien und sie erneut mit Mut und Hoffnung füllte.
Die Kampfgeräusche und die eigene Angst rückten in den Hintergrund. Gandalf ließ Denethor achtlos liegen und eilte mit wehendem Umhang zu ihnen. Seine stahlblauen Augen sahen auf Faramir hinab und schließlich zu den beiden.
„Kümmert euch um Faramir! Wenn es ihm besser geht, mach dass du nach Hause kommst!“
Seine Augen durchbohrten streng ihre und sie wusste, dass sie ihre Zeit in dieser Welt schon überspannt hatte. Sie schluckte hart und nickte. Ohne ein Widerwort rannte Gandalf die Schräge hinunter und entschwand ihren Augen. Kurz weilten ihre Augen noch auf der Schräge, doch dann wurde ihr wieder bewusst, dass sie Faramir helfen musste. Ruckartig stand sie auf und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf.
„Bringt Faramir zu den Häusern der Heilung! Sofort!“, rief sie laut und sah auffordernd die vier Wachen an.
Kurz zögerten diese, doch sie straffte nur noch mehr ihre Schultern und sah so entschlossen drein, wie sie es nur vermochte. Schließlich bückten sie sich und Gweneth ließ die Wachen vorsichtig Faramirs Bahre aufheben. Sie warf einen Seitenblick zu Denethor, den sie jedoch nicht sehen konnte, da sich um ihn einige Menschen geschart hatten. Sie schnaubte verächtlich und folgte den Soldaten die Schräge hinunter, in die Richtung des sechsten Ringes. Pippin war an ihrer Seite und ließ Faramirs Bahre nicht aus den Augen. Sein sonst so fröhliches Gesicht war mit Sorge gezeichnet.
„Was tut Ihr!“, ertönte eine männliche Stimme, die sie innehalten ließ.
´Bei Eru, bitte nicht!`
Doch als sie sich auf den Fersen umdrehte, sah sie in Denethors Gesicht, der ihnen hinterher schwankte.
„Bringt ihn in die Königlichen Hallen!“, rief Denethor laut und die Soldaten drehten augenblicklich um.
Wut kochte in ihr hoch und sie stampfte mit Zornesröte in ihrem Gesicht auf ihn zu.
„Herr Denethor, was tut Ihr da? Er gehört in die fähigen Hände eines Heilers!“, rief sie aufgebracht und hielt kurz vor ihm inne.
Er drehte sich zu ihr um und fast wäre sie einen Schritt zurückgewichen. In seinen Augen lag tiefster Schmerz und blanker Wahnsinn.
„Ein Toter braucht die Fähigkeiten eines Heilers nicht mehr.“
Mit den Worten drehte er sich um, während sie ihn erschrocken hinterher sah.
„Aber er ist nicht tot! Er lebt!“, rief Pippin aufgebracht und wollte zu Denethor laufen, doch Gweneth packte ihn rechtzeitig an der Schulter.
„Es ist sinnlos, Pippin, er wird dich nicht hören“, murmelte sie mit tonloser Stimme, während sich ihre Gedanken überschlugen.
Panisch sah er zu ihr hoch und sie drückte aufmunternd seine Schulter.
„Spiel mit“, hauchte sie und ging langsam zu Denethor.
Sie setzte ein unterwürfiges Gesicht auf und holte ihn mit schnellen Schritten vor den Treppen zur Königshalle ein.
„Mein Herr“, sprach sie einschmeichelnd und hätte sich in dem Moment am liebsten selbst geohrfeigt, „erlaubt Ihr uns, Euren Sohn für seine Bestattung einzubalsamieren und ihn seines Standes gemäß einzukleiden?“
Der Truchsess hielt inne und wandte seinen Kopf langsam zu ihr um. Seine grauen Haare standen wirr ab und seine grauen Augen schweiften über ihr Gesicht.
„Ja… einbalsamiert und eingekleidet, das soll er werden.“
Er wandte sich wieder ab und lief schwerfällig die Treppen hinter der Bahre seines Sohnes hinauf. Gweneth sah sich schnell zu Pippin um und deutete mit einem Kopfnicken an, dass er ihr folgen sollte.
Schnell folgten sie ihm beide in die große Halle und Gweneth ließ Faramir nicht ein einziges Mal aus den Augen. Faramir wurde vor den Thron des Truchsess nieder gelegt und Denethor ließ sich auf seinem schwarzen Thron nieder.
´So kann ich ihn unmöglich behandeln! Wenn er zusieht, merkt er doch sofort, dass er nicht einbalsamiert wird… na gut, dann muss ich es halt anders anpacken.´
„Mein Herr“, sprach sie erneut in schmeichelndem und ruhigem Ton, wobei sie langsam zu ihm ging.
Pippin hielt sich im Hintergrund und wartete ab, worüber Gweneth zutiefst dankbar war.
„Hier vor den Augen anderer kann ich ihn nicht einbalsamieren. Dazu benötige ich etwas Ruhe und schützende Wände… oder wollt ihr, dass ich seinen Körper vor den Augen Fremder wasche?“
Denethor hob seinen Kopf und murmelte irgendetwas Unverständliches, doch ein Nicken von ihm reichte ihr vollkommen aus. Sofort drehte sie sich um und deutete auf die vier Bahrenträger.
„Ihr! bringt ihn in einen Nebenraum und lasst uns dann alleine!“
Schnell packten die Wachen die Griffe an der Bahre und schafften ihn in einen kleinen Nebenraum, seitlich der großen Halle.
„Ihr werdet noch Kräuter brauchen, holt einen Leichenbestatter, er wird Euch sicherlich helfen“, sprach Denethor noch hinter ihr und veranlasste sie, sich auf den Fersen umzudrehen, während Pippin Faramir folgte.
Ein Soldat nahm den Befehl des Truchsess entgegen und wendete sich ab, als Gweneth ihn noch rechtzeitig vor den Toren abfing. Denethor schien es nicht zu bemerken, zu sehr war er in Selbstmitleid verfallen.
„Nun hört mir gut zu!“, zischte sie leise dem Soldaten zu.
„Bringt mir einen fähigen Heiler! Den besten, den ihr finden könnt! Solltet ihr dies nicht tun, werde ich Euch eigenhändig den Kopf abschlagen!“
Erschrocken sah der Soldat sie an und erkannte die Ernsthaftigkeit in ihren Augen.
„Wie Ihr wünscht, Herrin.“
Schnell verließ er die Halle und ohne den Truchsess eines Blickes zu würdigen, eilte sie in den Nebenraum. Die Bahre war auf den Boden gestellt worden und die Wachen waren gerade dabei, den Raum zu verlassen, als Gweneth sie aufhielt.
„Wartet noch, bitte!“
Ihre Augen wanderten zu einer weißen Marmorbank und schließlich zu der großen Flagge von Minas Tirith an der Wand.
´Das wird wohl reichen.´
Schnell rannte sie zur Flagge, riss diese herunter und hörte dabei, wie Schwerter aus ihren Scheiden gezogen wurden. Als sie sich umdrehte, mit der mannsgroßen Flagge in der Hand, stand sie vier gezogenen Schwertern gegenüber, doch sie ließ sich nicht einschüchtern.
„Verhaften könnt ihr mich noch später! Doch jetzt benötigt Herr Faramir einen sauberen Untergrund und wenn ihr weiterhin eure Schwerter gegen mich richtet, wird er sterben!“, zischte sie wütend und zuerst zögerten die Soldaten, doch dann ließen sie ihre Schwerter sinken. Gweneth eilte zwischen ihnen hindurch, legte die Flagge auf die Bank und wies die Männer an, Faramir vorsichtig darauf zu legen. Pippin beobachtete still aber aufmerksam die Übersetzung auf die steinerne Bank und fing an, die Rüstung von Faramir abzuziehen. Ohne noch weiter auf die Männer zu achten, half Gweneth Pippin, die Rüstung von Faramir auszuziehen und stopfte ihre Handschuhe in ihren Schwertgürtel, um besser die Verschlüsse lösen zu können.
Pippin drehte sich kurz um und sah dann kurz Gweneth an.
„Ein Glück, dass du bei mir warst“, hauchte er.
„Wieso?“, fragte sie, während sie die Riemen des Brustharnischs zerschnitt und ihn zu Boden legte.
„Alleine hätte ich es nicht geschafft, Faramir helfen zu können.“
Dankend lächelnd sah er sie an und sie schenkte ihm ebenso ein kleines Lächeln. Dann schnitt sie mit einem reißenden Geräusch Faramirs Hemd auf und legte vorsichtig seine Wunden frei. Abgesehen von seinen zwei Pfeilwunden schien ihm jedoch nichts zu fehlen und erleichtert atmete Gweneth auf. Dann wanderten ihre Augen zu seinen zwei Wunden und studierte diese etwas genauer. Die Pfeile hatten ihn komplett durchbohrt und anscheinend keine inneren Organe verletzt, da er noch einen leichten Herzschlag besaß und nicht aus seinem Mund heraus blutete.
„Wird er wieder gesund?“, flüsterte Pippin, der sich mit runzelnder Stirn ebenso die Wunde angesehen hatte.
„Ich hoffe es. Die Pfeile in seiner Schulter sind komplett durchgedrungen und noch zeigen sie keine Art der Entzündung, was sich jedoch schnell ändern kann. Ich vermute, sein erbärmlicher Zustand kommt von seinem hohen Blutverlust. Zum Glück bluten seine Wunden nicht mehr, doch sollten wir sie schnellstens reinigen.“
Sie seufzte leicht und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
„Ich hoffe, es kommt rasch eine Heilerin“, murmelte sie voller Sorge und sie spürte, wie Pippin seine Hand beruhigend auf ihren Oberarm legte.
„Ich hole Wasser und ein frisches Tuch“, murmelte dieser und ehe sie etwas erwidern konnte, war er bereits losgespurtet.
Sie sah wieder zu Faramirs blassem Gesicht und legte ihre Hand auf seine Stirn. Sie war nicht heiß, sondern angenehm kühl.
„Kein Fieber“, seufzte sie erleichtert und strich ihm das Haar aus seinem wächsernen Gesicht.
Immer wieder prüfte sie seine Temperatur und seinen stetigen, wenn auch schwachen Puls. Schließlich ertönten leise Schritte neben ihr und als sie aufsah, war bereits Pippin bei ihr, mit einem Krug Wasser in der Hand und zwei Lappen. Sie lächelte ihm dankend zu, beträufelte einen Lappen mit Wasser und reinigte vorsichtig die Wunden. Sie mussten sehr schmerzen, denn bei jeder Bewegung zuckten Faramis Augenbrauen zusammen.
„Haltet durch!“, flüsterte sie zu Faramir, während sie sein Gesicht von leichtem Schweiß frei wusch.
Plötzlich hörte sie etwas hinter sich und ließ sie in einer fließenden Bewegung von der knienden Position aufstehen. Ihre Knie ziepten unangenehm, bei der schnellen Bewegung, doch sie ignorierte den miesen, kleinen Schmerz. Vor ihr stand eine alte Frau, gekleidet in einer dunklen Robe und weißer Schürze. Ihre Haare waren unter einem ebenso dunklen Tuch verborgen und in ihren faltigen Händen trug sie einen Beutel voller Kräuter.
„Mir wurde gesagt, ihr bräuchtet Hilfe.“
´Eine Heilerin!´
Gweneth nickte dankbar und gab ihr die Sicht frei auf Faramir.
„Bei den Valar, Herr Faramir!“
Geschockt ging sie auf ihn zu und besah sich die Wunden.
„Er lebt, ist aber sehr geschwächt. Außer den zwei Pfeilwunden ist er nicht verletzt. Die Wunden sehen sauber aus, nicht entzündet und er zeigt keine Anzeichen von hohem Fieber. Ich brauche etwas, um seinen Körper zur Heilung anzuregen, die Blutbildung zu beschleunigen und eventuelle Entzündungen zu verhindern“, sprach Gweneth sanft aber schnell und die Frau nickte, während sie auf dem Boden ihr Bündel ausbreitete. Darin lagen verschiedene Kräuter, aus denen sie welche gezielt und rasch zusammen suchte.
„Kaut diese Kräuter und legt sie auf seine Wunden. Sie schmecken bitter, aber es wird helfen, die Wunden zu schließen und Entzündungen zu verhindern.“
Gweneth nahm ihr die Kräuter ab, gab die Hälfte Pippin und stopfte sie in einem Zug in den Mund. Angewidert verzog sie das Gesicht, als sie den ersten Bissen tätigte, denn sie waren noch bitterer, als die Zahnputzwurzel und beinahe hätte sie gewürgt. Schnell warf sie einen Blick zu Pippin, der angewidert sein Gesicht verzog, aber tapfer kaute. Sie unterdrückte ihren Brechreiz gewaltsam und versuchte, es Pippin gleich zu tun, bis ihr Mund allmählich halb taub war. Sie kauten beide weiter, bis eine Art Brei entstanden war und die Heilerin sie anwies, den Brei auf die Wunden zu schmieren. Gemeinsam stemmten sie den Oberkörper von Faramir hoch, was schwerer war als gedacht und taten, wie es ihnen gesagt wurde. Pippin und Gweneth hielten dann Faramirs Oberkörper fest, während die Heilerin fest einen sauberen Verband anlegte. Dabei zogen sie ihm gleich ein sauberes, reichverziertes Wams an, das ihnen gebracht wurde und zum Glück vorne an der Brust mit Knöpfen verschlossen werden konnte. Als sie endlich, mit etwas Mühe, seine Arme durch die Ärmel geschoben hatten, ließen sie ihn sachte herunter und Gweneth wischte sich Schweißperlen von ihrer Stirn. Zusammen zogen sie ihm ebenso eine neue Hose, lederne Handschuhe und Stiefel an, die ihnen ebenfalls gebracht worden waren. Zwar fand sie es etwas peinlich, dass sie ihn in seiner Unterhose sah, aber er war nun mal ein Verletzter, um den sie sich kümmern musste. Letztendlich prüfte sie seine Temperatur an der Stirn, die nur leicht erhitzt war. Vorsichtshalber legte sie dennoch ein feuchtes Tuch auf seine Stirn und seufzte dann leise.
„Zum Glück hat er kein hohes Fieber bekommen“, murmelte sie und die Heilerin warf ihr einen eindringlichen Blick zu.
„Er muss viel trinken.“
Sie warf einige Kräuter in den Krug voller Wasser.
„Ansonsten können wir nur hoffen.“
Gweneth lächelte die Frau dankbar an.
„Habt Dank für Eure Kräuter und Eure Hilfe.“
Die Heilerin nickte ihr zu und packte dann ihre Sachen zusammen.
„Möge Eru bei ihm sein“, sprach die Frau zum Abschied und verschwand schließlich aus dem Raum.
Gweneth hatte ihr dankbar hinterher gesehen und setzte sich nun auf den Boden neben die Bank, auf der Faramir lag. Pippin setzte sich gegenüber von ihr hin, lehnte sich an eine Säule und sein Blick ruhte auf Faramir. Eine Weile sprachen sie nicht miteinander, sondern wechselten sich nur ab, um das Kräuterwasser Faramir einzuflößen. Schließlich war es an Pippin, die Stille zu durchbrechen.
„Hier ist es so ruhig… während draußen…“, seine Stimme verlor sich und sie wusste genau, was er meinte.
Außerhalb der Königshallen tobte ein großer, vermutlich der größte Krieg in dieser Zeit und in diesen Hallen war es so ruhig, obwohl sie hier drin ihren eigenen, kleinen Krieg gegen Gevatter Tod und einem irr gewordenen Truchsess fochten.
„Ich wünschte, ich könnte helfen“, murmelte Pippin weiter und veranlasste sie, leicht zu lächeln.
„Du hilfst doch bereits.“
Pippin warf ihr einen kurzen Blick zu und sah dann weiter betrübt drein.
„Wenn es heißt, eine große Hilfe zu sein, nichts zu tun, dann helfe ich wirklich.“
Mit einem Ruck stand er auf und atmete tief ein. Offenbar hielt er es nicht aus, untätig herum zu sitzen. Doch auch für Gweneth war es schwer, denn immer wieder wanderten ihre Gedanken zu ihren Freunden und ihrem Geliebten. Jedes Mal wallte Sorge und Angst hoch und ließ sie beinahe den Verstand verlieren, aber sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen und daran klammerte sie sich fest.
„Mir ergeht es nicht anders. Auch ich bin frustriert, nicht mehr tun zu können, als sich um Faramir zu kümmern“, gab Gweneth zu und seufzte schwer, während Pippin leicht auf und ab lief.
„Ich gehe etwas hinaus“, sprach er plötzlich schnell und verschwand, ohne dass sie etwas dazu sagen konnte.
Sie starrte auf den Torbogen, durch den er gegangen war und schüttelte dann leicht den Kopf. Langsam vergrub sie ihr Gesicht in ihre Hände.
´Ich weiß nicht, ob das eine solch gute Idee war… dort draußen herrscht mehr Kummer und Leid, als hier drin… ich wüsste nicht mal, ob ich mir die Zerstörung der Stadt ansehen wollte… es würde mich doch nur zu sehr treffen.´
Erneut seufzte sie, raffte sich dann auf und setzte sich seitlich auf die Kante der Bank, den Blick auf Faramir gerichtet.
„Werdet wieder gesund“, flüsterte sie, schenkte etwas Kräuterwasser in einen Becher und hob vorsichtig seinen Kopf an.
Ganz langsam und tröpfchenweise zwang sie ihn, das Wasser hinunter zu würgen und nach einer langen Zeit hatte er endlich den Becher gelehrt. Seufzend strich sie durch ihre Haare und betrachtete kurz den grünlichen Wams, den sie in einer anderen Gemütslage gewiss bewundert hätte. Plötzlich verzog Faramir sein Gesicht vor Schmerzen und wie von selbst sang sie ihr elbisches Lied, bis er sich wieder entspannte. Lange sang sie, jedoch nicht für ihn, sondern eher für sich selber, denn so konnte sie sich von ihren schmerzhaften Gedanken ablenken. Ein kurzes Schnarchen ertönte mit einem Mal von Faramir und ließ sie innehalten. Schnell sah sie auf ihn herab und seine Augenlider zuckten. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, denn sie war sich mit einem Mal so sicher, dass er gleich seine Augen öffnen würde.
„Es wird Zeit… tretet beiseite“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr und als sie erschrocken aufsprang und sich umdrehte, stand Denethor mit sechs Wachen vor ihr. Ohne auf Gweneth zu achten, gingen die sechs zu Faramir und legten ihn auf ein kunstvoll verziertes Brett.
„Wohin wird er gebracht?“, fragte sie Denethor überrascht, der stumm seinen Sohn anstarrte.
„In die Gruft der Könige… in Feuer und Flammen soll er aufgehen, so wie es ihm geziemt.“
„Was!“, zischte Gweneth panisch und drehte sich zu Faramir um, der bereits auf dem Brett lag und hochgehoben wurde.
„Nein…“, flüsterte sie, als sie mit panischen Augen mit ansehen musste, wie sie Faramir aus dem Raum trugen und Gweneth einfach beiseite drängten.
„Nein!“, rief sie lauter, folgte den Männern, ging an ihnen vorbei und schloss zu Denethor auf.
Sie stellte sich ihm in den Weg und sah ihn flehend an.
„Mein Herr! Er lebt! Geduldet Euch noch etwas, dann wird er wieder erwachen! Eurer Sohn lebt!“, rief sie laut, doch Denethor hörte nicht zu.
Sein Gesicht verzog sich zu einer bösartigen Grimasse, seine grauen Augen funkelten bedrohlich und er holte weit aus. Verwundert sah sie zur Seite und sah nur noch den Griff einer Fackel auf sich zu fliegen. Ein Schmerz explodierte in ihrem Kopf und sie sah, wie der helle Boden ihr entgegen kam. Hart und ungebremst schlug sie auf dem Boden auf und ihr Sichtfeld verkleinerte sich zu einem kleinen Punkt. Sterne tanzten ihr vor den Augen und sie konnte Blut schmecken. Sie drehte ihren Körper zur Seite und erkannte trotz ihres kleinen Sichtfeldes, wie Denethor sich mit den anderen und Faramir entfernte.
„Ich habe keine Söhne mehr… nicht mehr auf dieser Welt“, sprach Denethor kalt und seine laute Stimme hallte in ihren Ohren wider.
Übelkeit überkam sie und sie konnte sich nicht regen.
´Nein, so darf es nicht enden! So darf es nicht enden!´
„Pippin! PIPPIN! ER IST NICHT TOT! ER IST NICHT TOT! PIPPIN, RETTE IHN“, schrie sie aus voller Kehle und drehte sich dann erschöpft auf den Rücken.
Ihr Kopf pochte schmerzhaft und die Welt drehte sich um sie selber. Zwanghaft amtete sie ruhig ein und aus, hoffend, dass Pippin in der Nähe war und sie gehört hatte. Eine gefühlte Ewigkeit lag sie auf dem kühlen Boden und versuchte, den Schwindel in ihrem Kopf zu legen. Die Schmerzen verschwanden jedoch nicht, sondern schwollen zu einem stetigen Pochen an. Als es ihr jedoch nicht jedes Mal schwarz vor Augen wurde, als sie sich versuchte aufzusetzen, rappelte sie sich langsam und nach mehreren Versuchen auf. Krampfhaft stellte sie sich auf die Beine, musste sich jedoch schnell an einer Säule festhalten. Es war anstrengender, als sie gedacht hatte, doch ging es ganz langsam. Sie hangelte sich von einer Säule bis zur nächsten, bis endlich die Welt aufhörte, sich zu drehen. Langsam torkelnd lief sie ohne Stütze und als ihr die Tore geöffnet wurden, schlug ihr kalte Luft entgegen, die geschwängert war von Ruß und grausamen Schreien.
Schwankend schritt sie hinaus, alles wahrnehmend durch einen Schleier, der das Bild vor ihren Augen etwas verzerrte. Am Weißen Baum angekommen, lehnte sie sich gegen ihn und schloss kurz ihre Augen. Grausame Schreie und eine Eiseskälte lagen in der Luft, die sie erzittern ließ.
´Aber ich kann hier nicht aufhören! Ich muss zu Faramir oder Gandalf oder Pippin!´
Entschlossen torkelte sie weiter und ihr Sichtfeld wurde immer weiter. Sie schwankte an der Wand entlang, die Schräge hinunter in den sechsten Ring, als ihr plötzlich am Eingang des Tunnels Pippin entgegen kam.
„Gweneth!“
Seine Stimme war voller Panik und auch sein Gesicht zeugte davon. Sie war zu benommen, um etwas zu erwidern, sondern versuchte zu lächeln, was ihr jedoch kläglich misslang.
„Sie haben Faramir in die Gruft der Könige gebracht und wollen ihn bei lebendigem Leib verbrennen!“
„Ich weiß,…wir werden… ihn aber aufhalten“, keuchte Gweneth und trat aus dem letzten Schatten des Tunnels.
Pippin stockte kurz und seine Augen weiteten sich.
„Gweneth, du blutest ja!“
Verwundert sah sie ihn an.
„Ja? Wo denn?“, fragte sie, doch automatisch wanderte ihre Hand zu ihrem Kopf und erneut explodierten Schmerzen in ihrem Schädel, als sie ihn berührte und sie aufkeuchen ließ.
Sofort ließ sie ihre Hand sinken und als sie auf ihre Hand hinab sah, war diese voller Blut. Schnell schloss sie ihre Augen, bis sich der anbahnende Schwindel gelegt hatte. Dann biss sie ihre Kiefermuskeln zusammen, verdrängte all den Schmerz so gut wie es ging und öffnete ihre Augen.
„Es gibt jetzt wichtigere Dinge als mich, suchen wir Gandalf! Er kann Denethor vielleicht vor seinem Wahnsinn stoppen!“
„Aber du bist verletzt!“
Sie schüttelte leicht ihren Kopf und bereute es sofort. Sie schwankte kurz, doch Pippin hielt sie fest.
„Es wird gehen müssen, komm!“
Sie lief schwankend voraus, bis Pippin sie um die Hüften fasste und ihr somit etwas mehr Sicherheit gab. Zusammen eilten sie so schnell es ging und mit vielen Pausen hinunter. Je tiefer sie gingen, desto mehr Verletzte begegneten ihnen und umso gehetzter waren die Gesichter der Männer. Der Boden war bald übersät mit Trümmern. Brandgeschosse rollten über die Böden und verbannten Fleisch und Stroh. Sie drängten sich an Feuer vorbei, wurden von panisch schreienden Soldaten beiseite gedrückt oder einfach über den Haufen gerannt. Mehr als einmal musste Pippin ihr aufhelfen und immer wieder bahnten sie sich ihren Weg durch die Soldaten, laut nach Gandalf rufend. Bald kamen sie in den unteren Teil der Stadt, der größtenteils in Trümmern lag und die Leichen die Straßen pflasterten wie Steine. Die Meisten wurden schnell weggebracht, doch jeder Augenblick brachte mehr Tote. Erinnerungen an Helms Klamm drangen in ihr hoch, mit all den leeren Augen, toten Gesichtern und dem Geruch von Tod, doch schnell verdrängte sie diese. Ihre Aufgabe war, Gandalf zu finden und dafür würde sie ein paar mehr schlimme Erinnerungen in Kauf nehmen.
Sie mussten bald hintereinander gehen, da der Weg zu schmal war und erst jetzt bemerkte sie, dass Pippin ihren Rucksack trug, der ihm viel zu groß war.
„Woher hast du meinen Rucksack“, fragte sie atemlos, durch den Gestank brennenden Fleisches hindurch, der ihr in der Nase brannte.
„Ich dachte, dass der Herr Denethor unsere Sachen beschlagnahmen lässt, wenn dies alles vorbei ist und da dachte ich mir, ich hole es lieber vorher. Meine Sachen habe ich bereits in Sicherheit gebracht. Nur deine trage ich mit mir herum, weil ich nicht wusste, wohin damit.“
„Hab Dank, dass du sie die ganze Zeit getragen hast, aber ich werde sie jetzt nehmen.“
Schnell nahm sie ihm den Rucksack ab und schnallte sich ihn selber um, während er sie skeptisch beobachtete. Das zusätzliche Gewicht hätte sie jedoch beinahe umgerissen, so geschwächt war sie schon von ihrem Blutverlust, doch ließ sie sich nichts anmerken und lächelte ihm nur aufmunternd zu, während sie sich am liebsten einfach hingelegt hätte. Die Zähne zusammenbeißend, gingen sie immer weiter hinunter, bis in den zweiten Ring, aus dem das meiste Kampfgeschrei drang. Flammende Geschosse schlugen immer wieder in den untersten und auch in die darüber gelegenen Ringe ein. Das Tosen von bröckelndem und berstendem Gestein vermischte sich mit dem Kampfeslärm der Orks und der Schreie sterbender Menschen. Rauch, verbranntes Fleisch und der Geruch von Blut brannten ihr in der Nase und der Rauch stach ihr in die Augen, beides versuchte sie jedoch auszublenden. Zusammen durchstreiften sie die engen Gassen der Ringe, stets Gandalfs Namen rufend, doch erst als sie weiter in die Richtung des großen Eingangstores gingen, hörten sie endlich Hufgeklapper und seine Stimme, die Mut bringend durch die Gassen hallte. So schnell wie sie konnten, eilten sie der Stimme hinterher, bis sie endlich am Ende der Gasse zwischen den Soldaten Minas Tiriths Schattenfell sahen und darauf Gandalf. Sie schrien abwechselnd seinen Namen, er hörte sie jedoch nicht. Beide sahen sich dann kurz an, atmeten tief ein und riefen dann zusammen Gandalfs Namen. Endlich wendete er seinen Kopf und erblickte beide.
„Gandalf!“
Pippin quetschte sich durch weitere Soldaten hindurch, wobei Gweneth mehr Schwierigkeiten hatte, als der kleine Hobbit und somit war Pippin vor ihr bei Gandalf, der Schattenfell gewendet hatte.
„Gandalf! Denethor ist nicht bei Sinnen! Er will Faramir lebendig verbrennen!“
Geschockt sah er Pippin an und als Gweneth seine Aussage mit einem erschöpften Nicken bestätigte, packte er Pippin am Arm und zog ihn vor sich auf Schattenfell.
„Komm, rasch!“, rief Gandalf, während er Gweneth packte und mit einer erstaunlichen Kraft sie hinter sich auf Schattenfell zog. Schnell klammerte sie sich an Gandalfs Hüfte fest und nicht zu früh, denn Schattenfell preschte nach vorne und schlüpfte geschwind durch die Soldaten hindurch, ohne jene zu verletzen. In einem schnellen Tempo verließen sie den Ring und ritten immer weiter hinauf. Sorge beschattete ihr Herz, als sie den dritten Ring passierten und sie betete inständig zu Eru und den Valar, dass Faramir noch leben möge. Doch gerade als sie den fünften Ring passierten, geschah es.
Ein riesiges, fledermausartiges Ungeheuer landete vor ihnen und versperrte ihnen den Weg. Schattenfell wich wiehernd zurück und Gandalf hob seinen Zauberstab. Gweneth sah voller Horror auf die Gestalt, die das Untier ritt. Gehüllt in einen schwarzen Umhang, mit gepanzerten Armen und mit einer dornartigen Krone, die zugleich sein Helm war. Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht und mit einem Mal erfasste sie Panik, als sie sah, dass der Reiter kein Gesicht besaß.
„Geh zurück in den Abgrund!“, grollte Gandalf, doch das Untier wich nicht zurück.
Obwohl der Reiter keine Augen besaß, fühlte sie doch, wie er sie aus dem schwarzen Loch anstarrte.
„Stürze zurück in das Nichts, das deinen Herrn und dich erwartet!“, rief Gandalf mit Mühe, doch seine Stimme schien an Macht verloren zu haben.
Nichts war mehr in ihr, dass die Kälte des Wesens verscheuchen konnte.
„Fürchtest du den Tod nicht, wenn du ihn siehst, alter Narr?“, sprach der Reiter und seine Stimme hallte in ihrem Kopf tausendfach wider, während sie sich wie ein eiskalter Pfeil tief hinein bohrte. Hoffnungslosigkeit und Angst befielen sie. Sie presste ihre Hände auf ihre Ohren und konnte den Blick nicht von dem schwarzen Reiter abwenden. Das geflügelte Untier kam schmatzend immer näher und sie spürte, wie Schattenfell unter ihr zitternd zurückwich.
„Dies ist meine Stunde!“, zischte der schwarze Reiter erneut und hob sein Schwert.
Mit einem Mal stand die Klinge des Schwertes in Flammen und schien zunehmend an Macht zu gewinnen, während es eine Eiseskälte ausstrahlte. Die Flamme wurde immer größer und ein anfänglich leises Kreischen wurde immer lauter und bohrte sich wie eine Nadel in ihren Kopf. Plötzlich wurde sie heftig nach hinten geschleudert und fiel hart auf den Boden. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst und Schwindel erfasste sie erneut. Ihre rechte Schulter schmerzte und als sie sich benommen aufrichtete, stellte sie voller Grauen fest, dass Gandalf zu Boden gegangen war. Der weiße Zauberstab lag in Trümmern zu Gandalfs Füßen und mit einem Mal fühlte sie sich so kraftlos, wie noch nie. Pippin hatte sich in Sicherheit gebracht, während sie voller Grauen sah, dass Gandalf nicht aufstehen konnte. Gweneth konnte es nicht glauben. Gandalf war der mächtigste Mann, der ihr je begegnet war und er war von dem Bösen niedergerungen worden.
Pippin rief verzweifelt Gandalfs Namen, der versuchte, sich aufzuraffen, doch das Untier brüllte, entblößte seine scharfen Zähne und Gandalf ging erneut zu Boden. Wütend zog Pippin sein Schwert, wollte schreiend das Untier angreifen, während Gweneth noch immer auf dem Boden kauerte, unfähig vor Schmerzen und lähmender Angst, sich zu regen. Das Untier brüllte nun Pippin an und voller Furcht ließ dieser sein Schwert klirrend fallen.
Schattenfell scheute, während das Untier langsam auf Gandalf und somit auch auf Gweneth zuging, die etwas hinter Gandalf lag.
„Du hast versagt!“, sprach erneut der Reiter zu Gandalf und obwohl der schwarze Reiter zu Gandalf sprach, bohrte sich erneut seine Stimme in ihren Kopf.
„Die Welt der Menschen wird untergehen!“
Dann sah er plötzlich zu Gweneth und zischte kurz, während ihr beinahe das Herz stehen blieb.
„Weib aus der anderen Welt… deine Zeit ist gekommen und der Ring wird unser sein.“
Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen, doch konnte sie nicht sprechen. Der Schrecken saß ihr in jeglichen Gliedern und ein Zittern rollte durch ihren Körper, das selbst ihre Gedanken lähmte.
„Du wirst sie nicht bekommen!“, rief mit einem Mal der geschwächte Gandalf und mit weit aufgerissenen Augen musste sie mit ansehen, wie Gandalf sich zwischen sie und das Untier schob.
„Alter Narr! Nun wirst du zuerst sterben!“
Tief röchelnd sog der schwarze Reiter die Luft ein, hob erneut sein Schwert, um zum letzten Schlag auszuholen, als plötzlich ein helles Horn ertönte. Der Ton war hell und warm und ihm folgten weitere, welche die Kälte in ihrem Körper leicht vertrieben und sie aus ihrer Starre holten. Die Kreatur hielt inne und sah über die Schulter. Dann drehte er sich wieder um, wendete plötzlich laut kreischend sein Untier, welches geschickt mit seinen zwei klauenartigen Füßen auf die Brüstung sprang und mit kräftigen Flügelschlägen gen Sonnenaufgang flog. Die Kälte verschwand mit ihnen und gab Gweneth genügend Energie, um sich langsam aufzurappeln und zusammen mit Pippin Gandalf aufzuhelfen.
Er wirkte um mehrere Jahre gealtert, aber ansonsten schien ihm, abgesehen von dem Verlust seines Stabes, nichts zu fehlen. Ihr hingegen ging es nicht besonders gut, denn ihr Körper litt unter den Verletzungen und dem Blutverlust. Ab und an verschwamm die Sicht vor ihren Augen, ihr Körper zitterte vor Schwäche unkontrolliert, doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
„Woher kamen die Hörnerrufe?“, fragte Pippin mit leicht zittriger Stimme und zusammen humpelten sie zum Rand des Ringes und sahen gen Osten. Der Horizont war gefüllt mit Reitern und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, während ihr Herz anschwoll vor Erleichterung.
„Éomer!“, flüsterte Gweneth und Freudentränen stiegen ihr in die Augen.
Pippin jubelte und auch Gandalf konnte man seine Erleichterung ansehen.
„Zur rechten Zeit“, murmelte Gandalf glücklich und zwinkerte Gweneth zu, die nahe bei ihm stand und Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben.
Einen Moment lang sahen sie noch alle zu der Schar Reiter, während die Morgensonne ihnen das Gesicht wärmte und ihr Herz leichter wurde.
„Kommt, Faramir wartet nicht!“, sprach Gandalf schließlich eindringlich und beide nickten Gandalf zu, wobei sich Gweneth nicht sicher war, ob ihre Beine sie später noch tragen würden.
Gweneth beobachtete, wie Gandalf sich auf Schattenfell schwang, Pippin vor sich zog und dann zu Gweneth umsah, die noch immer am Rand des Ringes stand. Plötzlich erstarrte Gandalfs Miene zu einer schockierten Maske. Sein Blick war hinter sie gerichtet und verwirrt drehte sie sich um. Ein Steingeschoss, groß wie zwei erwachsene Männer, raste in ihre Richtung und schlug nur wenige Meter unter ihr ein. Die Gesteine bebten und barsten unter ihren Füßen und ein Grollen drang zu ihr empor. Die Steine unter ihren Füßen gaben nach und sie spürte, wie sie an Halt verlor. Geschockt sah sie Gandalf und Pippin an, deren Gesichter ebenfalls vor Schreck gezeichnet waren. Sie streckte ihre Hand nach ihnen aus und versuchte, Gandalfs zu ergreifen, doch sie war zu weit weg. Ihre Hände verfehlten sich um wenige Zentimeter und sie sah, wie die Gesichter von den beiden sich immer weiter entfernten. Sie kippte nach hinten und ihr grüner Mantel flatterte um sie herum, während für einen Moment alles still zu sein schien. Ihre Gedanken waren wie leer gefegt, als sich ihr Blick gen den düsteren Himmel richtete. Sie fiel und der Wind pfiff in ihren Ohren. Hörnerklänge vermischten sich mit den Rufen der Schlacht und dem singenden Wind. Eine steinerne Wand zischte an ihr vorbei. Trümmer der Häuser stachen in ihr Sichtfeld, als ihr letzter Gedanke Éomer galt. Plötzlich war alles um sie herum still. Sie spürte einen harten Aufschlag und fiel in die Dunkelheit.

Kapitel 1-10

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Kapitel 11-20

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Kapitel 21-30

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Kapitel 31-40

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

Kapitel 41-50

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

Kapitel 51-60

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner