Kapitel 4
Die Dunkelheit, die sie eingehüllt hatte, wie eine dicke Decke, lichtete sich allmählich und ließ den grausamen Schmerz hindurch. Da waren nur Schmerzen, die sie nicht mehr losließen.
Zu gerne wäre sie wieder hinab gesackt in die Dunkelheit, nur dass sie diese furchtbaren Schmerzen nicht mehr ertragen musste. Sie spürte, wie sich etwas auf ihren Arm legte und war erstaunt, dass sie überhaupt etwas fühlen konnte, außer diesem Schmerz.
´Aber… wenn ich… Schmerzen empfinde… lebe ich noch…. Ich.. lebe… noch!´
Mit dieser Erkenntnis versuchte sie gegen die Dunkelheit anzukämpfen und ihre Augen zu öffnen. Doch sie war noch zu schwach und immer wieder glitt sie in die Schwärze zurück. Doch immer wieder holten die Schmerzen sie ins Leben zurück und wieder begann der Kampf von vorne.
Gweneth merkte langsam, dass jemand bei ihr war und um sie kümmerte. Dieses Wissen gab ihr Kraft und Mut weiter zu Kämpfen. Sie wusste nicht wie lang sie schon versuchte ins Leben zurück zu finden, doch ihr kam es wie ihr halbes Leben vor.
Gweneth merkte auf einmal, wie ihr etwas eingeflößt wurde und Ihr Kraft gab. Immer wieder wurde ihr etwas eingeflößt und langsam kamen ihre Sinne zurück. Der Tastsinn war als erstes wieder da. Sie lag auf einer Matratze, die mit einem rauen Leinen bezogen war. Eine dünne Decke lag um ihren Körper und sie spürte, wie ihr manchmal jemand aufhalf, damit sie etwas trinken konnte. Der Geruchsinn folgte und sie roch das frische Leinen und die Kräuter. Aber auch der metallische Geruch von Blut. Vermutlich sogar von ihrem eigenem.
Zwar sackte sie immer wieder hinab in die Dunkelheit, jedoch schöpfte sie daraus Kraft und mit einem Mal ging alles ganz schnell. Sie konnte gedämpfte Stimmen hören und den bitteren Trank auf der Zunge schmecken. Ein Paar mal schaffte sie es flatterhaft ihre Augen zu öffnen. Jedoch waren die Augenlider noch zu schwer.
Im Halbschlaf hörte sie den fremden Stimmen zu, bis sich eine rauere dazugesellte und sich Gweneth zwang ihre Augen zu öffnen. Diesmal hatte sie größeren Erfolg und sie schaffte es ihre Lider zu heben. Verdutzt blickte sie an die Zimmerdecke, die nicht die war, die sie erwartet hatte. Über ihr war eine graue Felsendecke. Langsam ließ sie ihren Blick durch den kleinen Raum schweifen. Sie lag in einem Zimmer, dessen Wände aus grauem Stein waren und nur in der Wand rechts von ihr war ein kleines, schmales Fenster. Diffuses Licht fiel hindurch und erhellte das Zimmer nur zaghaft. Neben ihrem Bett standen ein Holzhocker und ein hölzernes Nachtschränkchen. Darauf standen ein Kerzenhalter mit brennenden Kerzen, eine große Tonkanne mit Wasser und ein leerer Tonbecher. Gegenüber ihrem Bett war eine hölzerne Tür in die Wand eingelassen, die jedoch nur angelehnt war und die Stimmen anscheinend von draußen kamen.
Vorsichtig versuchte sie sich aufzusetzen, aber die Schmerzen in ihrer Schulter und ihrer Hüfte zwangen sie zurück in ihr Bett. Leise fluchte sie und bemerkte, dass sie etwas anderes Trug. Sie war in ein langes, weißes Kleid gehüllt, dass sie stark an ein Nachtgewand erinnerte.
Ihre Wunden waren Verbunden und die Verbände sahen frisch aus. Plötzlich wurde die Tür langsam geöffnet und eine ältere Frau streckte ihren Kopf durch die Tür. Sie hatte ihre grauen Haare mit einem weißen Tuch zurückgebunden und ihre grauen Augen sahen sie an. Als sie merkte, dass Gweneth ihren Blick erwiderte, lächelte sie diese an und trat ein. Verdutzt sah Gweneth ihre Kleidung an.
´So ist nicht mal meine Oma rumgelaufen!´ dachte sie und betrachtete das dunkelblaue Kleid, das der Frau bis auf den Boden reichte und die weiße Schürze, die sie darüber trug.
„Wie geht es Euch?“
„Den Umständen entsprechend gut.“ Röchelte sie und bemerkte, wie trocken ihr Mund war.
Die alte Frau schien es bemerkt zu haben, denn sie schenkte den Becher voll mit Wasser ein und reichte ihn ihr. Gweneth wollte den Becher in die Hand nehmen, doch schaffte sie es nicht den Arm zu heben.
„Entschuldigung… wären Sie vielleicht so freundlich und würden mir helfen?“ murmelte Gweneth und sah die Frau bittend an. Diese lächelte nur und halt ihr, sich aufzusetzen. Dann legte sie den Becker an ihre ausgetrockneten Lippen und sie trank den Becher begierig leer.
„Danke.“ Murmelte sie, als sie wieder im Bett lag. Noch einen letzten Blick ließ sie durch das Zimmer schweifen und konnte sich ihre Fragen nicht mehr verkneifen.
„Wo bin ich? Und wer seid ihr?“ fragte sie die Frau, die sie mit einem Stirnrunzeln betrachtete.
„Ihr könnt Euch nicht daran erinnern, wie Ihr hier her gelangtet?“
„Nein…. Ich weiß nur noch wie ich mir was zu essen in einer Tankstelle kaufen wollte und dann es einen Überfall gab. Dabei wurde ich angeschossen und dann…“ sie überlegte kurz wie sie es ausdrücken sollte.
„…dann war ich auf einmal wo anders.“ Flüsterte sie fast und konnte sich noch zu gut an das Gras unter ihr erinnern und das Gefühl, verschluckt worden zu sein.
Schweigend sah die Frau sie an und musterte sie.
„Ihr seid hier in Helms Klamm. Man fand Euch im Rasen liegend… mehr tot als lebendig. Die Reiter nahmen Euch mit und hier wurdet Ihr versorgt.“ Meinte die Frau ernst und sah sie schweigend an. Es schien als würde sie kurz überlegen.
„ Solch Wunden sah ich noch nie zuvor.“
´Ich glaub Schusswunden sieht man wirklich nicht alle Tage… aber wie hat sie den Ort genannt? Helms Klamm?! Von so einem Ort hab ich noch nie gehört.´
„Seid ihr eine Ärztin?“
Verdutzt sah die Frau sie an.
„Dieses Wort ist mir nicht bekannt. Ich bin eine Heilerin der Heilenden Häusern.“
´Komisches Wort für eine Ärztin… denn das ist sie bestimmt. Und sie scheint das ja wirklich ernst zu meinen mit Helms Klamm. Und Heilende Häuser? Meint sie damit so was wie eine Krankenhaus?´
„Wo liegt den Helms Klamm?“
„Ihr kennt Helms Klamm nicht?“
Leicht schüttelte sie den Kopf und sah erwartungsvoll die Heilerin an. Wenn die Heilerin schon vorher skeptisch geguckt hat, dann war das nichts im Vergleich mit diesem Blick, den sie Gweneth zuwarf.
„Helms Klamm befindet sich am Fuße der Berges Thrihyrne in der nordwestlichen Gabelung des Weißen Gebirges in Rohan.“
Immer noch sah Gweneth sie fragend an, denn sie war sich ziemlich sicher diese Begriffe noch nie in ihrem Leben gehört zu haben.
´Immerhin hab ich verstanden, dass Rohan so eine Art Land ist… aber auch von ihm hab ich noch nie was Gehört.´
Da aber die Frau sie immer noch komisch beäugte, verkniff sie sich die Frage, wo überhaupt Rohan läge.
„Ihr solltet Euch noch etwas ausruhen. Eure Gedanken scheinen mir noch von Nebeln durchzogen.“
Mit diesen Worten stand die Heilerin auf und schloss die Tür hinter sich. Es stimmte zwar, dass sie noch etwas schwach war, aber ihr schwirrten zu viele Gedanken im Kopf herum um schlafen zu können.
´Ok… also offensichtlich bin ich nicht mehr in der Stadt… auch bin ich an einen Ort gelangt, der nicht mehr in Europa liegt oder ich ihn zu mindestens nicht kenne? … bin ich vielleicht in so was wie einem Paralleluniversum gelandet oder in der Zeit gereist? Das würde zu mindestens einiges erklären… Offensichtlich bin ich im Mittelalter gestrandet… oder so was in der Richtung… aber die Zeitreise kann ich eigentlich ausschließen, da ich mich einigermaßen in Geschichte auskenne und es so was wie Rohan nie gegeben hat… also doch die Paralleluniversumtheorie… nur… warum bin ich hier? Hat das was mit dieser Stimme in meinem Kopf zu tun? Hat sie mich hier her gebracht? Und wenn ja, kann ich auch hier wieder verschwinden? ´
Sie seufzte leicht und starrte an die Zimmerdecke.
´Irgendwie muss ich ja wieder zurück kommen… jetzt, wo alles so gut bei mir läuft, verschwind ich einfach…
morgen sollt ich auf jeden Fall mit jemanden sprechen, der mir glaubt. Denn diese Heilerin hält mich noch zu verwirrt um einen klaren Gedanken fassen zu können. Ich frag sie morgen gleich mal…´
Und mit diesen Gedanken schlummerte sie ein. Doch in dieser Nacht träumte sie zum ersten Mal den Traum, der unregelmäßig wiederkehren sollte.
Sie saß auf einer grünen, saftigen Wiese und die Sonne schien klar vom blauen Himmel. Weit entfernt konnte sie Vogelgezwitscher hören und eine sanfte Brise lies die Grashalme im sanften Takt schaukeln. Der Ort war voller Schönheit und ließ Gweneth das Herz aufgehen. Sie fühlte sich sehr wohl und es schien, als ob die Natur sie tief in ihr berühren wurde. Fast war es so, als ob jeder Grashalm zu ihr sprechen und die Erde sie sanft umfangen würde. Vorsichtig stand sie auf und schritt barfuß und mit wehendem weißem Kleid über die Wiese. Zufriedenheit strömte durch sie hindurch und sie wusste plötzlich, dass es hier der Natur gut ging. Auf einmal erschien ein Berg vor ihr, den sie in wenigen Schritten erreicht. Wie einer inneren Eingebung folgend, legte sie eine Hand auf das Gestein und spürte die Kraft des Steines und das ungeheure alter des Berges. Ehrfurcht ergriff sie und sie sank auf die Knie. Der Boden gab nach und schien sie zu verschlucken. Im nächsten Augenaufschlag kniete sie auf einer öden und trockenen Ebene, in der alles verdorrt war.
Kälte ergriff sie und sie spürte den Schmerz der Erde und der Pflanzen. Tränen rannten ihr über das Gesicht und tiefe Traurigkeit befiel sie. Plötzlich spürte sie jemandes Anwesenheit und sie öffnete ihre Augen. Vor ihr saß ihr Spiegelbild. Erst erschrak sie kurz, doch sie beruhigte sich wieder, als die Frau, die wie sie aussah, sie anlächelte.
`Hab keine Angst… Ich tue dir nichts.` sprach sie in Gweneths Stimme.
´Wer bist du?´ fragte Gweneth und erntete ein weiteres Lächeln.
´Ich bin du und du bist ich… zwei und doch eins. Wir haben zueinander gefunden, nach langer Zeit des Suchens.´
Gweneth verstand kein Wort und es schien die Frau auch nicht zu kümmern.
´Der Ring der die Erden verbindet und uns, ist nun deiner.´ Und sie sah auf Gweneths Ring herab, der an ihrem Finger ruhte.
´Benutze deine Gefühle und die Worte des Herzens und er wird dich dorthin bringen… so wie er dich hier her gebracht hat.´
Und mit diesen Worten löste sich der Traum auf und ihr Bewusstsein sickerte langsam hindurch.
Langsam öffnete sie ihre Augen und war verwirrt.
`Was war das denn für ein Traum? Benutze deine Gefühle?´
Ein Geräusch ertönte neben ihr. Vorsichtig drehte sie den Kopf und entdeckte die alte Heilerin, wie sie neues Wasser in die Tonkanne goss. Als sie Gweneths Blick bemerkte hatte, lächelte sie und reichte ihr den Becher. Dieses Mal schaffte sie es fast sich alleine aufzusetzen, wobei sie sofort wieder mit Schmerzen gestraft wurde. Zügig trank sie den Becher leer und die beiden darauf folgenden ebenso.
„Wie geht es Euch? Habt Ihr Hunger?“
„Besser. Ich fühle mich jeden Tag stärker! Bald möchte ich versuchen aufzustehen… und über etwas zu essen wäre ich sehr dankbar.“
Die Heilerin lächelte, verschwand wieder durch die Tür und gab Gweneth etwas Zeit zum nachdenken.
´Wenn der Traum stimmen sollte, dann hat mich der Ring hier her gebracht.´
Vorsichtig hob sie ihren linken Arm, dessen Schulter sofort zu schmerzen anfing, und besah sich den Ring. Er funkelte genauso schön wie eh und je und sah unschuldig aus, wie er so an ihrem Finger steckte.
´Diese Frau nannte ihn… Ring der die Erden verbindet… also verbindet er meine Welt und diese miteinander… irgendwie… und anscheinend kann ich auch wieder nach Hause, wenn ich die richtigen Worte des Herzens weiß… toll! Und woher soll ich wissen welche Worte ich sagen muss! Dass ist ja zum Mäusemelken! Sie hätte es mir auch einfach sagen können! … aber zu mindestens weiß ich jetzt was Sache ist.´
Die Tür ging wieder auf und die Heilerin kam mit einer kleinen Holzschüssel in ihren Händen wieder. Vorsichtig setzte sie sich auf und verschlang die warme Gemüsesuppe.
„Danke. Sie war sehr lecker.“
Meinte sie und reichte ihr die leere Schüssel zurück. Die Heilerin nahm sie zurück und wollte gerade gehen, als sie Gweneth zurück hielt.
„Ähm… könnt Ihr vielleicht jemand holen, mit dem ich reden kann? Vielleicht derjenige, der mich gefunden hat? Ich möchte noch gern ein paar Dinge erfahren… und möchte Sie nicht allzu arg aufhalten. Ich bin bestimmt nicht die einzige, um die Ihr euch kümmern muss.“
Schnell setzte sie ihre Unschuldsmiene auf und hoffte, dass sie damit einverstanden wäre und nicht verstand, dass sie nicht mit ihr reden wollte.
„Wenn das Euer Wunsch ist, versuche ich ihm nachzukommen. Doch solltet ihr heute noch ruhen. Euer Körper brauch noch den heilenden Schlaf um vollends zu genesen.“
Damit verschwand die Heilerin wieder und Gweneth legte sich wieder unter Schmerzen hin und schlief traumlos ein.
Nur noch einmal wurde sie geweckt und bekam trockenes Brot und erneut eine Gemüsesuppe, mit kleinen Fleischstücken drin. Erneut bekam sie den Trank und ihr wurde danach sofort schläfrig zumute… offensichtlich war es ein Schlaftrunk, der ihre Gedanken lähmte und ihrem Körper Kraft schenkte. Zu gerne hätte sie mehr über ihren Traum gegrübelt, aber dafür hatte sie vermutlich noch genug Zeit.
Langsam glitt sie in den Schlaf hinab und schlief tief und fest.