Kapitel 43
Gweneth lief im Wohnzimmer auf und ab, denn sie konnte bei den Erkenntnissen nicht mehr still sitzen. Der Ring funktionierte noch und die Hoffnung auf eine Rückkehr wuchs in ihr heran. Ihre Freude ließ sich kaum bändigen und ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust.
´Ich kann zurück! Ich kann endlich zurück! Bei Eru, was mag in der langen Zeit wohl geschehen sein? Ob es ihnen allen noch gut geht? Mist, ich sollte mich nicht zu sehr freuen… vielleicht werde ich dort Dinge sehen und erleben, die mich letzten Endes zerstören würden.´
„Setz dich hin, du machst mich ganz nervös“, meinte ihre Mutter mit einem kleinen Lächeln und Gweneth ließ sich mit einem Seufzen neben sie fallen.
Eigentlich wollte sie sofort versuchen, nach Mittelerde zu kommen. Doch ihr Vater hatte sie gebremst. Er wollte zuerst darüber sprechen und planen, wie es nun weiter gehen sollte. Deswegen war er in die Küche gegangen und suchte nach einem Blatt Papier und einem Stift.
Nervös knetete sie ihre Hände, als ihr Vater endlich wieder zurück kam und sich neben Gweneth setzte.
„So, zuerst sollten wir überlegen, was du alles brauchst. Vor allem musst du auf jegliche Situation gefasst sein. Was wird dich erwarten, wenn du wieder dort bist?“, fragte er und Gweneth antwortete eilig: „Es gibt eigentlich nur zwei Optionen, Papa. Entweder wurde der Eine Ring vernichtet oder nicht. Wenn er vernichtet wurde, werde ich kaum etwas brauchen. Ich denke, das Meiste werde ich dort besorgen können, immerhin kenne ich dort ja einige.“
´Wenn sie denn noch am Leben sind´, dachte sie und spürte einen Stich in ihrer Magengrube.
„Und wenn nicht?“, fragte ihr Vater vorsichtig.
Sie atmete tief ein und schloss kurz die Augen.
„Wenn nicht, dann wird das Land von Krieg, Unterdrückung und Schmerz gepeinigt sein. Vermutlich… werden all jene, die ich kannte, in den Hallen Mandos weilen. Immerhin sind es Krieger und kämpften für die gute Seite… Sie würden nie aufgeben, das zu beschützen, was ihnen wichtig ist.“
Schon allein darüber zu sprechen, ließ sie beinahe wieder in Panik verfallen, doch ihr Vater unterbrach ihre schlimmen Gedanken.
„Nehmen wir mal an, das Land ist zerrüttet vom Krieg. Wann kannst du so schnell wie möglich hier her kommen?“
„Ich nehme mal an, dass ich ein bis zwei Tage brauchen werde, um mich zu erholen.“
„Dann sorgen wir dafür, dass du bis dahin überlebst.“
„Ich hab mein Schwert, das müsste genügen, um mich zu verteidigen.“
Ihr Vater legte den Stift beiseite und lehnte sich zurück. Er rieb sich die Schläfen, was bedeutete, dass er angestrengt nachdachte. Gweneth wagte nicht, ihn zu stören und wartete ab. Sie warf einen fragenden Blick zu ihrer Mutter, welche die ganze Zeit still gewesen war und Gweneth den Rücken gestreichelt hatte. Doch sie zuckte nur ahnungslos die Schultern, als sie den Blick ihrer Tochter bemerkte. So wandte sie sich wieder ihrem Vater zu, der noch immer zu überlegen schien und wartete ungeduldig ab. Jede Sekunde, in der sie nichts tat, brannte unter ihren Nägeln und sie spürte ein seltsames Ziehen in der Brust. Plötzlich öffnete er seine Augen und seine Gesichtszüge wurden härter.
„Dein Schwert allein wird dir gegen eine Horde dieser Monster nichts bringen“, sprach er langsam und rieb sich wieder die Schläfen.
„Erinnerst du dich noch an Onkel Heinrich?“, fragte er zögernd und Gweneth ahnte etwas.
„Du meinst deinen Freund vom Studium, den irren Waffenfanatiker? Was ist mit dem?“
„Er ist mir noch einen großen Gefallen schuldig. Vielleicht kann er dir… Dinge besorgen, die dir helfen werden.“
„Was meinst du mit ´Dingen´?“, fragte nun ihre Mutter leicht alarmiert.
„Ich dachte an so was wie… Sprengstoff.“
Gweneth fiel fast die Kinnlade runter.
„Du willst was?!“
„Naja, er ist im Mischen von so Dingen ganz gut. Immerhin ist er Chemielehrer. Ich dachte, so was in die Menge zu werfen, ist doch am besten.“
Gweneth schüttelte belustigt ihren Kopf und hoffte auf die Unterstützung ihrer Mutter, dass die Idee total schwachsinnig sei, doch ihre Mutter schwieg, bevor sie das Wort ergriff: „Ich halte das für eine gute Idee.“
Gweneths Kopf fuhr zu ihrer Mutter herum.
„Mama, das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!“
Sie nahm Gweneth sanft in den Arm und küsste ihren Scheitel.
„Ich möchte dich nur mit ruhigem Herzen gehen lassen. Vielleicht hilft es dir oder im Idealfall brauchst du es nicht, aber ich würde mich sicher fühlen, wenn du jegliche Ausrüstung dabei hättest, die wir auftreiben können.“
Unsicher sah sie ihre Mutter an, die ihren Blick jedoch fest erwiderte. Schließlich gab sie sich geschlagen.
´Vielleicht ist es ja ganz hilfreich. Wer weiß, wie es dort aussehen mag.´
„Na gut, ihr habt gewonnen. Ich nehme alles mit, was ihr an Waffen bekommen könnt. Doch abgesehen davon, was soll ich noch mitnehmen?“
Ihr Vater zückte die Liste und lächelte ihr aufmunternd zu.
„Ich denke, es ist Zeit, sich eine Liste zu machen.“
In den nächsten zwei Stunden wurden sehr viele Dinge aufgeschrieben und mindestens die Hälfte wieder verworfen. Es war allen klar, dass sie nur ihren Lederrucksack von Mittelerde mitnehmen durfte und da dieser nicht endlos groß war, schränkte sie es sehr ein, was sie alles mitnehmen konnte. Nach endlosen Stunden der Diskussion hatten sie sich jedoch geeinigt und beschlossen, den Tag der Abreise in eine Woche zu verlegen, da ihre Eltern sie nicht zu schnell gehen lassen wollten. Vor allen Dingen brauchte es Zeit, all die Waffen zu besorgen, die ihr Vater ihr mitgeben wollte. Obwohl sie am liebsten sofort gegangen wäre, konnte sie ihre Eltern durchaus verstehen und wollte ihnen noch eine schöne Woche mit ihr schenken. Als sie schließlich zu Bett ging, schlief sie zum aller ersten Mal ohne eine Träne zu vergießen ein.
Eine Woche später, es war schon der Beginn der zweiten Woche im Juli, war es endlich so weit. Der Tag der Abreise stand bevor und an jenem Tag erwachte sie mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages. Ihr Blick war starr an die Decke gerichtet, denn es war eigentlich noch viel zu früh am Tag und so blieb sie liegen und dachte an Mittelerde. Freude, aber auch Angst überrollte sie abwechselnd und ließ sie innerlich erzittern. Immer wieder ging sie in Gedanken die Vorbereitungen durch und als sie es nicht mehr aushalten konnte, stand sie schwungvoll auf, entkleidete sich beim Gehen in ihr Badezimmer und stellte sich ein letztes Mal unter die heiße Dusche. Genüsslich ließ sie das heiße Wasser über ihren Körper laufen und schloss genießerisch die Augen.
´Auf jeden Fall werde ich das Duschen vermissen.´
Gründlich wusch sie ihre Haare, ließ noch einige Minuten das heiße Wasser über ihren Körper laufen und drehte dann leicht bedauernd das Wasser ab. Schnell stieg sie aus der Dusche, hüllte ihre Haare in ein Handtuch und trocknete sich mit einem anderen schnell ab. Die Ruhe, die sie während des Duschens in sich hatte, wurde mit aller Macht verdrängt und Nervosität stieg in ihr hoch. Schnell putzte sie ihre Zähne, cremte ihren Körper ein und öffnete ihre Haare. Um ihr unruhig pochendes Herz zu beruhigen, atmete sie ein paar Mal ruhig ein und aus, doch es half nichts. Je weiter die Zeit davonschritt, desto rastloser wurde sie. Nach einem kleinen Seufzen kämmte sie ihre Haare mit Galadriels Kamm und föhnte sie trocken. Danach wischte sie den Beschlag von ihrem Spiegel ab und zuckte zusammen, als sie ihr Spiegelbild sah. Noch hatte sie sich nicht recht an ihre veränderte Erscheinung gewöhnt, die sie seit der Benutzung des Kamms erlangt hatte. Erneut musste sie an die Worte der Herrin denken und die Macht, die in ihnen lag, ließ sie leicht frösteln.
´Der Glanz meines Blutes ist wirklich erwacht und das Dank eines Zauberkammes.´
Sie schüttelte seufzend den Kopf und ihre langen, seidigen Haare klimpern dabei. Ihre Haare hatten einen gesünderen Glanz angenommen und schienen kräftiger in ihrer Farbe. Ihre bronzene Haut war reiner, weicher geworden und auch sie schien kräftiger und leicht golden zu schimmern. Die Zähne strahlten weiß in einer nie da gewesenen Perfektion und ihre Lippen waren röter und voller. Ihre Augen waren wie zwei funkelnde Bernsteine, wie auch die von Mallos waren. Ihre Eltern waren auch der Ansicht, dass ihr Lachen mehr wie ein helles, sanftes Wasserspiel geworden war, doch sie bestritt das immer.
´Wäre auch echt komisch, wenn sich deswegen meine Stimme geändert hätte.´
Erneut schüttelte sie ihren Kopf und flocht dann ihre Haare zu einem Zopf, den sie mit einem schwarzen Lederhaarband zusammenhielt. Sie schlüpfte in frische Unterwäsche und schlüpfte dann in die Kleider aus Mittelerde. Zuerst zog sie ihre lederne Hose an, dann den hellgrünen, langärmligen Pullover und darüber das dunkelgrüne, dicke Wams. Ihre Füße steckte sie in ihre ledernen Stiefel und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Sie passten noch immer wie angegossen. Schlussendlich zog sie ihre Rüstung an und warf sich ihren grünen Umhang über. Mit Schnallen befestigte sie diesen an ihren Schultern und fühlte sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in der Menschenwelt wieder richtig wohl in ihrer Haut. Lächelnd betrachtete sie sich im Spiegel und ihr Herz pochte vor Freude in ihrer Brust. Sie genoss richtig das Gefühl ihres lebendigen Herzens, denn sie hatte sich so lange so schrecklich leer gefüllt. Gweneth riss sich von ihrem Spiegelbild los, ließ ihren Blick ein letztes Mal über ihr Zimmer streifen, spürte jedoch nichts mehr, dass sie hier noch hielt. So wandte sie sich ohne ein Gefühl des Bedauerns ab, packte ihren Kulturbeutel und schritt mit wehendem Umhang die Treppe hinunter in das Wohnzimmer.
„Du siehst wahrhaftig wie eine Kriegerin aus“, ertönte die Stimme ihrer Mutter aus der Küche und Gweneth grinste breit.
„Ich bin auch eine… naja, zumindest halb“, meinte sie, stellte ihren Kulturbeutel auf das Sofatischchen und ließ sich auf ihr Sofa nieder. Ihr Blick glitt über die Gegenstände, die auf dem Tischchen lagen und ließ sie leicht seufzen. Ihre Eltern waren übervorsichtig gewesen und nun lagen darauf ein imprägniertes Kuhfell zum Wärmen, ein Multifunktionstaschenmesser, ein Sturmfeuerzeug, ein fünf Meter langes Seil, stark genug um einen Menschen zu tragen, zwanzig Meter lange Mehrzweckschnur, Zahnputzzeug, eine Packung feuchtes Toilettenpapier, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel, Kompass und ihre Zeichenutensilien. Zum Trinken nahm sie zwei Glasflaschen Wasser mit und zum Essen ein Laib Brot mit einer derben Wurst. Sie raffte sich auf, schnappte sich ihren ledernen Rucksack und fing an, ihn zu füllen. In einer Seitentasche hatte sie bereits heimlich das Kleid der Herrin Galadriel versteckt, denn noch war sie nicht bereit, ihr Geheimnis mit jemandem zu teilen. Während sie einpackte, ging ihre Mutter zu ihr hin und beobachtete Gweneth, wie sie alles sorgsam einpackte.
„Mama, ist was?“, fragte sie dann doch, als sie den bohrenden Blick nicht mehr stumm ertragen konnte.
„Nein, es ist nichts“, doch dann stockte sie kurz, griff neben sich und hielt Gweneths Schwert in den Händen, als Gweneth die letzten Sachen einpackte und sich aufrichtete.
„Ich wünschte, du würdest das Schwert nicht gebrauchen.“
„Das wünsch ich mir auch, doch wer weiß, was mich erwarten wird.“
Sie nahm vorsichtig das Schwert aus den Händen ihrer Mutter und legte es neben sich an die Seite.
„Passt gut auf mein Haus auf“, meinte Gweneth mit einem kleinen Lächeln, das ihre Mutter nur zu gern erwiderte.
Sie hatten nämlich beschlossen, dass ihre Eltern so lange bei ihr wohnten, bis sie wieder bei ihnen war.
„Wann kommt…“, doch weiter kam Gweneth nicht, denn die Haustüre wurde geöffnet und wenige Sekunden später stand ihr Vater strahlend im Wohnzimmer, mit einer Tüte in der Hand. Gweneths Herz schlug bei seinem Anblick schneller und neugierig besah sie sich die ausgebeulte Tüte genauer, die ihr Vater auf das kleine Sofatischchen legte.
„Was hast du mitgebracht?“, fragte sie neugierig, während ihr Vater sich neben sie setzte und in die Tüte hinein griff.
„Nicht so viel, wie ich es mir gewünscht hatte, aber hoffentlich wird es reichen.“
Was er jedoch auf den Tisch legte, ließ ihr dennoch den Kiefer runter klappen. Vor ihr lagen vier schokoladentafelgroße Packungen Sprengstoff mit armlanger Zündschnur, drei Pfeffersprays und eine schwarze Pistole mit zehn Magazinen.
„Ich nehme mal an, du kennst das alles“, und deutete auf den Sprengstoff und auf die Pfeffersprays.
„Und mit der Pistole hier hast du pro Magazin sechzehn Schuss“, meinte er stolz und langsam legte sich der Schock, der Gweneth im Gesicht geschrieben stand.
„Hast du DAS alles vom Onkel Heinrich?“, fragte sie halb entgeistert und konnte nicht fassen, dass vor ihr eine echte Pistole lag, mit der man wirklich schießen konnte.
„Ja, er hat gute Beziehungen und diese Pistole ist eine, wie sie bei der Polizei benutzt wird. Den Sprengstoff hat er selber zusammengemischt und die Pfeffersprays hab ich gekauft.“
Ganz langsam sickerten die Worte in Gweneths Gehirn und wurden dort verarbeitet. Eine Zeit lang sagte niemand was, bis Gweneth die Stille brach. Sie wusste, dass sie dankbar sein sollte, dennoch fürchtete sie sich etwas davor, mit Sprengstoff im Rucksack durch die Gegend zu laufen.
´Ich hoffe, ich muss nichts von dem gebrauchen. Aber etwas erleichtert es mich schon.´
„Danke, Papa“, rang sich Gweneth ab und umarmte ihren Vater fest.
„Und wie funktioniert die Pistole?“, fragte sie dann neugierig und nahm die schwere Schusswaffe in ihre Hände.
„Zielen und Feuern“, meinte er schlicht und zeigte ihr dann, wie die Waffe gesichert und entsichert werden konnte.
Danach wickelte sie den Sprengstoff dick in ein Handtuch ein und verstaute dann alles in den Rucksack. Somit waren die Vorbereitungen abgeschlossen und die Zeit war gekommen. Ihr Herz dröhnte in ihrer Brust und sie stand langsam auf und schnallte sich ihr Schwert an die Seite.
„Es ist Zeit“, murmelte sie und sah zu ihren Eltern, die wieder ein ernstes Gesicht aufsetzten.
Ehe sie sich versah, waren ihre Eltern zu ihr getreten und zogen sie in eine feste Umarmung. Tränen schossen ihr in die Augen und sie drückte ihre Eltern nur noch fester an sich.
„Danke für alles, was ihr für mich getan habt! Ich hab euch lieb“, schluchzte sie und sie spürte, wie auch ihre Eltern anfingen zu weinen.
„Wir lieben dich auch“, hauchte ihr Vater, während ihre Mutter leise schniefte.
„Pass auf dich auf!“, wimmerte ihre Mutter leise und beide drückten Gweneth einen Kuss auf die Stirn.
„Ich komme wieder! Wenn der Schnee vom Himmel fällt, bin ich spätestens wieder da. Gebt bis dahin die Hoffnung nicht auf!“, meinte sie und ließ ihre Eltern los, die sie leicht widerstrebend losließen.
Hastig wischte sie ihre Tränen von ihrem Gesicht, schulterte ihren schweren Rucksack und lächelte ihre Eltern an.
„Bis dann“, raunte sie, drehte sich um und ging durch die Terrassentür in ihren Garten.
Sie hörte, wie ihre Eltern ihr auf die Terrasse folgten, jedoch stehen blieben, während Gweneth sich etwas weiter entfernt in den Rasen setzte. Ihre Augen wanderten ein letztes Mal zu ihren Eltern, die, sich aneinander klammernd, ihr zusahen und mit tränennassen Gesichtern leicht lächelten. Noch einmal lächelte sie aus ihrem tiefsten Herzen und sprach, bevor sie die Augen schloss: „Fürchtete Euch nicht, denn ich werde wieder kommen!“
Dann atmete sie tief ein und schloss ihre Augen. Sie hörte, wie das Blut in ihren Ohren rauschte und versuchte, ihr nervös schlagendes Herz mit kontrollierten Atemübungen zu beruhigen. Gweneth wusste, wohin sie gehen würde. Der Ort, an dem sie zuletzt war, sollte auch der sein, zu dem sie als erstes hinwandern würde. Wie ein Mantra wiederholte sie den Namen des Weißen Gebirges, an dessen Flanke Minas Tirith ruhte, in ihren Gedanken und blendete dabei alles andere aus. Der Gesang der Vögel verblasste und der Wind auf ihrer Haut hielt inne, sie zu streicheln. Die Gerüche verschwanden und ihr Herz schien vor Sehnsucht zu schreien. Schneller, als sie es gewohnt war, stieg ihr Geist in die Höhe und immer höher, bis sie die Grenze erreichte, die ihr einst solche Schmerzen zugefügt hatte. Doch dieses Mal war in ihrem Herzen kein Zögern, kein Bangen und entschlossen und mit aller Willenskraft, die sie aufbringen konnte, rammte sie ihren Geist gegen diese Barriere. Schmerz flammte in ihrem Kopf auf, doch energisch stemmte sie sich immer wieder gegen die Wand, bis ihr Kopf dröhnte und ihr beinahe schlecht wurde. Doch immer wieder schmiss sie sich dagegen, bis sie plötzlich ein klein wenig nachgab und etwas einriss. Durch das kleine Loch floss neue Energie und die andere Seite schien sie regelrecht zu rufen. Freude rann durch jede ihrer Adern und mit neuem Mut hämmerte sie nur noch fester gegen die Wand, die sich immer mehr öffnete. Voller Anstrengung bohrte sie ihren Geist gegen das immer größer werdende Loch, bis sie sich endlich hindurch quetschen konnte. Sofort spürte sie, wie die Macht des Ringes stärker wurde und erfüllte sie mit neuem Mut und Glückseligkeit. Sie fühlte sich nun stärker und die Kopfschmerzen verschwanden. Immer noch dachte sie an das Weiße Gebirge und sie spürte den vertrauten Sog in ihrer Brust. Sie passierte die Barriere und flog über die Länder Mittelerdes in einer rasenden Geschwindigkeit hinweg. Plötzlich erhob sich unter ihr ein mächtiges Gebirge, an dessen Flanke eine prächtige weiße Stadt lag. Doch war sie so weit entfernt, dass sie nicht erkennen konnte, ob sie in Ruinen lag oder noch ihre alte Pracht innehatte. Ihre Gedanken richteten sich auf eine Stelle, nicht weit von den Pelennorfeldern, aber weit genug, um von potenziellen Feinden nicht gesehen zu werden. Ihr Geist flog im Sturzflug auf die Stelle zu und ehe sie sich versah, verließ ihr Körper die Welt der Menschen, versank innerhalb eines Augenblicks im Boden und tauchte in der Welt auf, nach der sie sich so schmerzlich gesehnt hatte.