Der Ring der Erde

Kapitel 55

„Mama! Papa! Wir müssen jetzt aber wirklich los!“, rief Gweneth laut und genervt, während sie im Wohnzimmer unruhig auf und ab lief.
Dabei blähte sich ihr nachtblaues Kleid auf, welches sich dank der Schnürungen an ihrem Rücken perfekt an ihre wohlgeformte Figur schmiegte. Ihre topasfarbenen Augen glitten zur großen Standuhr, die neuerdings im Wohnzimmer war und warf dann einen Blick nach draußen. Es war der dritte Morgen in der Menschenwelt und ihre Sehnsucht nach Mittelerde war schon beinahe unerträglich. Obwohl sie die Vorzüge der Menschenwelt genoss und hier ihre Heimat war, spürte sie tief in ihrem Inneren, dass sie nicht mehr hierher gehörte. Zu viel war geschehen und eine zu lange Zeit hatte sie in Mittelerde verbracht, als dass sie in der Menschenwelt bleiben würde.
Erneut glitt ihr Blick zur Uhr und entnervt seufzte sie tief.
„Soll ich euch helfen?“, rief sie noch einmal ungeduldig und hoffte, dass ihre Eltern bald fertig sein würden mit dem Anziehen.
Gweneth hatte ihnen Kleider aus Mittelerde mitgebracht und sie war gespannt darauf, ihre Eltern darin zu sehen. Endlich hörte sie die erlösenden Schritte ihrer Eltern auf der Treppe und Gweneth hielt inne, im Wohnzimmer auf und ab zu laufen. Ihr Kopf wandte sich zur Glastür um, als jene just in dem Moment geöffnet wurde. Ihre Mutter trat zuerst ein, gehüllt in ein seidiges, dunkelrotes Kleid, mit kostbar besticktem Gürtel um ihre Hüfte und ihr Deckhaar war mit einem Lederband zurückgebunden worden. Ihr Blick war unsicher, doch konnte sich Gweneth ein Lächeln nicht verkneifen. Dahinter trat ihr Vater herein, der im grünen Wams und dunkelgrüner Hose recht gut aussah. Um seine Hüfte war ein Ledergürtel mit daran hängendem Dolch geschlungen und wenn es Gweneth nicht selber wüsste, war sie sich sicher, dass niemand vom Äußeren her erkennen konnte, dass sie nicht aus Mittelerde waren.
„Ihr seht gut aus“, meinte Gweneth mit einem Lächeln und die beiden sahen unsicher an sich herunter.
„Können wir sie so überzeugen?“, fragte ihr Vater und strich sich über die lederne Hose, die er trug.
„Ich hoffe es, doch ihr müsst ja nur die Untertanen und Diener überzeugen. Die meisten hohen Herrschaften wissen, woher ich komme, ergo also auch woher ihr kommt.“
Dann wandte sie sich von ihren Eltern ab und ließ ihren Blick über das Gepäck schweifen. Sie war in den letzten Tagen des Ausruhens hin und her gerissen gewesen, was sie alles mitnehmen konnte und was nicht. Zu gerne hätte sie verschiedene elektronische Dinge mitgenommen, doch wusste sie, dass ohne Elektrizität jene Dinge nutzlos waren. So hatte sie sich für Kleinigkeiten entschieden, die für die Menschen hier nichts Besonderes waren, aber für Mittelerde etwas Außergewöhnliches. Sie hatte für jeden ihrer Freunde, die von ihrer wahren Herkunft wussten, ein Geschenk mitgenommen und sie war sehr neugierig, wie ihre Freunde und die Hohen Herrschaften darauf reagieren würden. Die Geschenke waren unterschiedlich groß und so viele, dass mit der Hilfe ihrer Eltern es einen ganzen Tag gedauert hatte sie zu besorgen. Ihr Blick glitt von ihrem prall gefüllten Rucksack wieder zu ihren Eltern, die unsicher über ihre ungewohnte Kleidung strichen.
„Wisst ihr noch, was ich euch alles erzählt habe? Über das Land und die Bräuche?“, fragte sie noch einmal sicherheitshalber, doch ihre Eltern nickten nur.
Dabei fiel Gweneth auf, wie blass ihre Eltern waren und ihre Mutter fing an, an ihrem Kleid herum zu zupfen, so wie sie es immer tat, wenn sie nervös war.
„Bist du sicher, dass du das schaffst?“, fragte ihre Mutter besorgt und ihre topasfarbenen Augen lagen auf Gweneth.
„Ja, ich bin mir sicher“, log Gweneth und hoffte innerlich, dass nichts Schlimmes passieren würde.
Wenn ihre Eltern nämlich wüssten, wie gefährlich es für alle sein konnte, wären sie nicht einverstanden gewesen, mit nach Mittelerde zu kommen, dessen war sich Gweneth sicher. Ein letztes Mal atmete Gweneth tief ein, dann packte sie den schweren Rucksack, hievte ihn auf den Rücken und verließ die Wohnung durch die Terrassentür. Ihre Eltern nahmen Leinensäcke in die Hand, in denen viele Leckereien verstaut waren und folgten Gweneth hinaus in den Garten. Ganz am Ende des Gartens ließ sich Gweneth auf den Boden nieder, legte ihren Rucksack in ihren Schneidersitz und wartete auf ihre Eltern, die noch die Gartentür von außen abschlossen und dann zu ihr gingen. Gweneth sah stumm zu, wie ihre Eltern sich ihr gegenüber niederließen und sich dann alle gegenseitig die Hände reichten, damit ein Kreis zwischen ihnen entstand.
„Haltet euch gut fest“, gab Gweneth letzte Anweisungen und hoffte, dass sie nicht auseinander gerissen wurden.
Noch nie hatte sie jemanden mitgenommen und so wusste sie nicht, was ihre Eltern dabei empfinden würden. Mit dröhnendem Herzen umschloss sie die Hände ihrer Eltern fester und schloss ihre Augen. Der Wind streichelte ihr über die Haut und die Vögel zwitscherten in der Morgendämmerung, doch Gweneth konzentrierte sich nur auf das Stückchen Wald, in dem sie Mittelerde verlassen hatte. Es war schwer, sich nur darauf zu konzentrieren, denn die Sorge um ihre Eltern störte stets ihre Konzentration, doch dann begann sie, allmählich alles andere auszublenden. Ehe sie sich versah stieg ihr Geist auf, immer höher, bis sie schließlich die Grenze erreichte. Sie suchte fieberhaft nach dem Loch und fand es schnell. Es war größer geworden seit dem letzten Mal und erfreute Gweneth zutiefst. Die stemmte ihren Geist erneut dagegen und erweiterte das Loch unter brummenden Kopfschmerzen. Jeder Zentimeter war ein Kraftakt, doch schaffte sie es, ihren Geist hindurch schlüpfen zu lassen. Mit einem Mal merkte sie aber, dass etwas sie wie Gummiband zurück in ihre Welt zog. Unerbittlich stemmte sie sich gegen den Sog an und drückte in Richtung Mittelerde, während ihr Geist vollkommen auf den Wald fokussiert war. Mühevoll kämpfte sie dagegen an und das Zerren, welches sie zurück in ihre Welt zog, wurde immer stärker und schien sie zerreißen zu wollen. Schmerzen jagten durch ihren Körper und jede ihrer Zellen schien zu brennen, doch waren ihre Gedanken stets auf den Wald gerichtet und voller Entschlossenheit kämpfte sie sich weiter. Die Schmerzen wuchsen beinahe ins Unerträgliche, doch sah sie durch einen roten Schmerzensschleier endlich den Wald. Unter größter Kraftanstrengung ließ sie sich auf den Boden nieder und versuchte, das Gewicht ihrer Eltern mit auf diese Seite zu ziehen. Doch waren sie so schwer wie Eisenkugeln und Gweneth brauchte ihre ganze geistige und körperliche Kraft, um nicht loszulassen, sondern die beiden Gewichte durch das Loch in der Grenze zu ziehen. Gweneth hatte beinahe das Gefühl, als würden ihre Arme reißen, als sie das Gewicht ihrer Eltern mühselig durch das Loch zwängte und sie dann in Richtung Gweneth schnalzten. Mit einem Mal spürte sie das Gras unter ihren Füßen und die Vogelgesänge, hörte das Knistern vom Lagerfeuer, spürte die klammen Hände ihrer Eltern und sie fiel rücklings in eine erdrückende Dunkelheit.

Die Welt um sie herum schaukelte und sie spürte einen eisernen Griff um ihre Taille und etwas Hartes in ihrem Rücken. Verwundert versuchte sie, ihre Gedanken zu sammeln, doch fiel es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, doch ihre Augenlider waren schwer wie Blei. Verärgert versuchte sie es erneut mit größerer Anstrengung und mühselig öffnete Gweneth sie, musste sie aber gleich daraufhin wieder schließen, denn die Sonne blendete ihre Sicht und ließ ihren Kopf schmerzen.
„Du bist erwacht“, ertönte eine ihr wohlbekannte Stimme an ihrem rechten Ohr und ließ sie innerlich erleichtert seufzen.
´Erkenbrand… ich habe es also geschafft! Aber was ist mit meinen Eltern? Geht es ihnen gut?´
Sofort durchrollte Gweneth die Sorge um ihre Eltern und sie versuchte zu sprechen, doch ihre Kiefer waren so schwer, dass sie jene nicht auseinander brachte. Sie versuchte ihren Kopf zu heben, doch allein der Versuch kostete sie so viel Kraft, dass sie erneut in Dunkelheit fiel.

Der Geruch von Rauch und gebratenem Fleisch drang an ihre Nase und ließ ihren Magen leise knurren. Mehrere Leute schienen sich zu unterhalten, doch war es zu anstrengend, ihnen zu lauschen. Sie wollte erneut ihre Augen öffnen und stellte erleichtert fest, dass es nun wesentlich einfacher war. Langsam hob sie ihre Augenlider und hoffte, die Sonne würde sie nicht blenden, doch als sie ihre geöffnet hatte, erstreckte sich über ihr ein funkelnder Sternenhimmel. Aus dem Augenwinkel konnte sie Bewegungen ausmachen und dieses Mal raubte es ihr nicht die ganze Kraft, ihren Kopf zu drehen. Sie lag neben einem großen Lagerfeuer und ihre Mutter saß zu ihren Füßen und Erkenbrand neben ihrem Kopf. Pippin, Legolas und Gimli, als auch ihr Vater befanden sich gegenüber von ihr und schienen sich lachend miteinander zu unterhalten. Der Anblick ihrer Eltern, wie sie gesund und munter bei ihr waren, erleichterte sie ungemein und nahm die Last von ihrer Brust. Erneut wollte sie sprechen und stellte erfreut fest, dass sie schon ihren Mund aufmachen konnte.
„Es geht euch gut“, sprach sie erleichtert und spürte, dass es sie viel Kraft kostete, zu sprechen.
Sofort zuckten alle Köpfe zu ihr und ihre Augen weiteten sich vor Freude, als sie ihre Blicke erwidern konnte. Ihre Mutter war augenblicklich an ihrer Seite und auch Erkenbrand beugte sich über sie.
„Wie geht es dir?“, fragte ihre Mutter besorgt und strich sanft über Gweneths Wange.
In dem Augenblick grummelte ihr Magen leise und ein Hunger überkam sie.
„Hungrig“, antwortete Gweneth erschöpft, doch bei ihren Worten musste ihre Mutter lächeln.
„Es kann dir also nicht schlecht gehen, wenn du hungrig bist“, sprach sie erleichtert und während sie sprach, drehte sich Erkenbrand um und hantierte etwas außerhalb ihres Blickfeldes.
Als er sich wieder umdrehte, hatte er eine dampfende Schüssel voller Suppe in der Hand und lächelte ihr zu. Mit der freien Hand fuhr er unter ihren Rücken und richtete ihren Oberkörper auf. Ihre Mutter nahm sogleich den in der Schüssel befindlichen Löffel und fütterte sie dann langsam. Gierig schlang Gweneth die Suppe hinunter und die Wärme breitete sich angenehm in ihrem Körper aus. Sie schenkte ihnen ein dankendes Lächeln und nachdem sie geendet hatte, lies er sie vorsichtig wieder hinuntergleiten. Gweneth spürte, wie die Müdigkeit sie erneut zu übermannen drohte, doch durfte sie nicht schlafen, ehe sie Gewissheit hatte.
„Wie geht es…“, hauchte Gweneth, doch dann versagte ihre Stimme.
Ihre Mutter schien jedoch zu wissen was sie fragen wollte und antwortete mit einem kleinen Lächeln.
„Uns geht es gut, mach dir keine Sorgen. Das Einzige, was wir spürten war, wie wir durch einen engen Gummischlauch gepresst wurden, doch ehe wir uns versahen, waren wir auch schon hier.“
Gweneth lächelte erleichtert und sie war so glücklich, dass ihnen nichts geschehen war. Im nächsten Augenblick sanken auch schon ihre Augenlider und sie sank in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

Erneut schaukelte die Welt um sie herum, doch als sie dieses Mal die Augen öffnete, fühlte sie sich stärker als zuvor. Sie blinzelte gegen die Sonne an und als sich ihre Augen endlich an das helle Licht gewöhnt hatten, sah sie, wie sie über die weiten Wiesen ritten und in der Ferne sich hohe Gebirge mit schneebedeckten Gipfeln erhoben.
„Wir sind ja bald da“, meinte sie und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich.
„Du bist wach!“, riefen ihre Mutter und Vater gleichzeitig und ritten in Gweneths Blickfeld.
Beide strahlten ihre Tochter glücklich an und ihre Eltern auf Pferden zu sehen, ließ Gweneth schmunzeln.
„Ihr habt ziemlich schnell reiten gelernt“, meinte Gweneth und brachte Erkenbrand hinter sich zum Lachen.
Verwundert sah sie über ihre Schulter und er tätschelte sachte ihren Kopf.
„Nach drei Tagen im Sattel ist es wohl kein Wunder“, meinte er und Gweneth fiel fast der Kiefer hinunter.
„Wir sind schon seit drei Tagen unterwegs!“, rief sie erschrocken und starrte Erkenbrand mit großen Augen an.
´Ich war so lange nicht wach… wow, ist ja krass! Dann hat mich die Reise mehr Kraft gekostet als sonst.´
„Du solltest etwas essen“, ertönte plötzlich eine helle Stimme auf der anderen Seite und als sie ihren Kopf wendete, ritt neben ihr Pippin, der sie mit besorgtem Gesicht ansah.
Bei dem Wort essen, fing ihr Magen plötzlich an zu grummeln und verlangte lautstark nach etwas Essbaren. Pippins Gesicht hellte sich augenblicklich auf und er rief laut: „Essenspause!“
Schon wollte er sein Pony zügeln, als Erkenbrand ihm widersprach.
„Wir sollten nicht rasten, sondern auf den Pferden essen. Schon länger als geplant sind wir unterwegs und bereiten unseren Freunden gewiss Sorge“, brummte er und der freudige Ausdruck erlosch im Gesicht des Hobbits.
„Auf den Pferden essen? Wollt Ihr mich umbringen! Es ist schon schwer genug, nicht vom Gaul zu fallen und da soll man noch gleichzeitig essen!“, rief Gimli empört und als Gweneth weiter ihren Kopf wendete und hinter Pippin blickte, erkannte sie Legolas mit Gimli.
„Ich fange dich, wenn du fällst“, sprach Legolas mit einem schiefen Lächeln und ließ Gimli den Kiefer herunter fallen.
Bei seinem Anblick musste Gweneth schmunzeln und drehte sich dann wider nach vorne um.
„Das fehlte mir gerade noch, dass ein Elb mich auffängt!“, tönte Gimli und grummelte noch etwas Unverständliches in seinen dichten Bart.
„Hier, iss etwas“, sprach Pippin und reichte Gweneth drei Scheiben Brot, Dörrfleisch und einen großen Apfel.
Gweneth bedankte sich und biss herzhaft und hungrig in ihr Brot und Fleisch. Doch als sie geendet hatte, war sie noch immer hungrig und ließ sich von Pippin noch einmal zwei Scheiben Brot und Dörrfleisch geben. Dieses Mal aß sie langsamer und richtete ihren Blick nach vorne.
„Wann hätten wir Edoras erreichen sollen?“
„Gestern Abend hätten wir ankommen sollen und nun erreichen wir Edoras, wenn die Sonne bereits sinkt“, antwortete Erkenbrand.
Gweneth sah schnell hoch in den Himmel und bemerkte, dass die Sonne bereits im Zenit stand.
´Dann wird es wohl nicht mehr allzu lang dauern… Ich hoffe Éomer macht sich keine allzu großen Sorgen.´
Der Gedanke an ihn erweckte die Sehnsucht in ihr und sie konnte es kaum erwarten, endlich wieder in seinen Armen zu liegen. Bedächtig kaute sie auf ihrem Essen herum, während sie die Landschaft betrachtete und sie die Schönheit bewunderte. Langsam wanderte ihr Blick umher und blieb bei ihren Eltern hängen, welche ebenfalls die Landschaft zu genießen schienen.
„Schön, nicht wahr?“, fragte Gweneth an ihre Eltern gewandt, die sich lächelnd zu ihr drehten.
„Wahrhaftig ein wunderschönes Land. Auch die Luft ist so frisch und rein“, sprach ihre Mutter mit glitzernden Augen und sah sich weiterhin sanft lächelnd um.
Vergnügt beobachtete Gweneth noch weiter ihre Eltern, die jeden Eindruck in sich aufzusaugen schienen, als sie ihren Blick nach vorne richtete und in der Ferne mit einem Mal ein goldenes Licht ausmachen konnte. Sofort schnellte ihr Herzschlag in die Höhe und sie lehnte sich weit nach vorne.
„Ist das Edoras?“, fragte Gweneth aufgeregt und alle Blicke richteten sich nach vorne.
„Ai“, bestätigte Legolas ihre Frage und Freude drang in jedes ihrer Glieder.
„Können wir nicht etwas schneller reiten?“, fragte Gweneth mit Sehnsucht in ihrem Herzen, doch Erkenbrand schüttelte seinen Kopf.
„Deine Eltern sind keine geübten Reiter, als dass wir galoppieren könnten“, meinte er, doch ihr Vater wiedersprach rasch.
„Wir haben uns bereits an die Pferde gewöhnt und sie werden uns bestimmt nicht abwerfen. Wieso sollten wir es nicht also probieren?“, fragte er und ihre Mutter nickte zustimmend.
Erkenbrand zog seine Augenbrauen zusammen und wollte schon etwas sagen, als ihm Legolas zuvorkam.
„Wenn dies Euer Wunsch ist, werden wir ihn gewiss nicht abschlagen. Doch lasst mich neben Euch reiten, damit ich Euch in Not helfen kann“, sprach Legolas melodisch und lächelte so strahlend, dass ihre Eltern ihn mit großen Augen anstarrten.
„Hab Dank, Legolas“, bedankte sich Gweneth und erst als er sich ihr zuwendete und ihr zunickte, befreite er ihre Eltern aus seiner strahlenden Aura.
Erkenbrand brummte leicht und sie spürte die Vibrationen seiner Brust, doch wusste sie, dass er dagegen nichts sagen konnte. So gesellte sich Legolas zwischen ihre Eltern und alle verfielen in einen sanften Galopp. Gweneth sah wieder nach vorne und fieberte ihrer Ankunft in Edoras entgegen. Dank ihrem schnellen Tempo kamen sie zügig voran und obwohl Gimli lautstark schimpfte, wie ungemütlich es sei und ihre Eltern angestrengt auf den Pferden saßen, verlangsamte niemand das Tempo. Edoras kam immer näher und schon bald konnte sie die goldene Halle, als auch die Häuser und den Wall darum ausmachen. Aufregung und Freude durchströmte Gweneth und je näher sie kamen, desto größer wurde ihre Sehnsucht nach Éomer. Endlich erreichten sie Edoras und durchritten im gezügelten Tempo das große, hölzerne Tor. Sie ritten den gepflasterten Weg durch das Dorf hinauf zur goldenen Halle, vorbei an staunenden Menschen und Elben, die draußen das schöne Wetter genossen. Erst vor den steinernen Treppen brachten sie ihre Pferde zum Stehen und sogleich eilten Soldaten zu ihnen, die ihre Pferde hielten, während sie abstiegen. Erkenbrand glitt zuerst von dem Rücken seines Pferdes und wartete dann, dass Gweneth ihm folgen würde, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht wirklich. Sie versuchte ihr eines Bein über den Rücken zu schwingen, damit sie nur vom Pferd gleiten musste, doch konnte sie es kaum anheben. Sauer sah sie auf ihre Beine herab und dann seufzend zu Erkenbrand.
„Ich schätze, meine Beine versagen ihren Dienst“, brummte Gweneth sauer und starrte wieder auf ihre Beine.
Plötzlich packte sie Erkenbrand an der Hüfte und zog sie vom Rücken des Pferdes, als würde sie nicht mehr wiegen, als ein Sack Federn. Er stellte sie auf die Füße, die unter ihrem Körpergewicht sogleich einknickten und hätte Erkenbrand sie nicht aufgefangen, wäre sie auf den Boden gestürzt. Erkenbrand nahm sie in seine starken Arme und hob sie mühelos hoch.
„Ich bin doch schwer“, maulte sie leise, doch Erkenbrand lachte nur rau.
„Ich habe schon schwerere Dinge getragen als dich“, brummte er mit Schalk in seinen Augen und ging schon die ersten steinernen Stufen hinauf, als sich die hölzernen Tore der goldenen Halle öffneten und Éomer mit Aragorn, Gandalf und Éowyn an seiner Seite heraus trat. Éomer lief ihnen schnell entgegen und als sich ihre Augen trafen, spürte sie augenblicklich den Drang, sich in Éomers Arme zu werfen.
„Éomer!“, hauchte Gweneth erleichtert, als Erkenbrand stehen blieb und Éomer zu ihnen ging.
„Geht es dir gut?“, fragte er schnell und Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich bin nur etwas geschwächt“, gestand sie und strich Éomer über seine stoppelige Wange.
„Weswegen hatte sich Eure Reise verzöget?“, fragte Éomer, doch dieses Mal sah er Erkenbrand an.
„Mein Herr, Gweneth war so erschöpft, dass wir später als gedacht die Rückkehr antraten“, sprach Erkenbrand mit einem kleinen Kopfnicken und Éomer seufzte erleichtert.
„Willkommen zurück“, erklang mit einem Mal Gandalfs ruhige Stimme und Éomer trat respektvoll beiseite, damit er zu Gweneth konnte.
Gandalfs altes Gesicht war mit leichter Sorge durchzogen und seine blauen Augen schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Seine beruhigende Aura hüllte sie ein und die Anstrengung der vergangenen Tage schien in den Hintergrund zu rücken.
„Gandalf“, hauchte Gweneth mit einem breiten Lächeln und Gandalf legte eine seiner Hände an ihre Wange.
Wärme schien von seiner Hand aus, ihren Körper zu durchströmen und alle Müdigkeit fiel von ihr ab.
„Ruhe dich heute aus, dann wird die Erschöpfung von dir abfallen“, raunte er und seine Augen waren so eindringlich, dass Gweneth nichts anderes konnte, als ihm zuzustimmen.
„Bring sie in unser Gemach“, befahl Éomer zu Erkenbrand, der sich leicht verbeugte und dann wanderten Éomers braune, warme Augen auf Gweneth.
„Ich werde gleich zu dir kommen, doch lass mich erst deine Eltern gebührend begrüßen.“
„Mach das“, stimmte Gweneth ihm zu und Erkenbrand setzte sich in Bewegung.
Er ging die restlichen Stufen hinauf, begrüßte dabei Aragorn und Éowyn mit einer leichten Verbeugung und betrat dann die goldene Halle. Viele vom hohen Volk, als auch die Hobbits waren darin versammelt und sahen sie mit großen Augen an, als Erkenbrand Gweneth an ihnen vorbei trug und den Gang zum königlichen Gemach betrat. Ohne zu zögern, öffnete Erkenbrand eine reich verzierte Holztür und Gweneth konnte sich ein leichtes Raunen nicht verkneifen. Wunderschöne Wandteppiche bedeckten die hölzernen Wände und der Boden war ausgelegt mit dichten, reich verzierten Teppichen. Éomers massiver Schreibtisch befand sich gegenüber der Tür an einer Fensterreihe und lange Bücherregale flankierten ihn. Aus dem Augenwinkel konnte sie noch einen großen Kamin mit Sitzmöglichkeiten ausmachen, doch bevor sie jene bestaunen konnte, hatte Erkenbrand den großen Raum durchschritten und öffnete eine Tür zum Nebenraum. Mit großen Schritten betrat er ihn und sie befanden sich nun in einem großen Schlafgemach. Die Wände waren fast komplett vollgestellt mit dunklen Schränken, die reich waren an Verzierungen und Schnitzereien. Der Rest der Wände war behangen mit wunderschönen, kunstvoll gewebten Wandteppichen und vor den geschlossenen Fenstern hingen dicke, dunkelgrüne Vorhänge, die mit einem goldenen Garn durchwoben waren. Der Boden war schon wie im Hauptraum mit dichten farbfrohen Teppichen ausgelegt und viele Kerzenständer mit brennenden Kerzen beleuchteten den Raum. Eine weitere Tür führte zu einem Nebenraum, in dem Gweneth ein großes Bad vermutete, es jedoch nicht zu sehen bekam, denn Erkenbrand bettete sie sanft auf das riesige Bett in der Mitte des Zimmers und deckte sie mit einem seidigen Stoff zu, der sich kostbar auf ihrer Haut anfühlte. Dann legte er ein schneeweißes, großes Fell über sie, das sie sogleich angenehm wärmte. Er setzte sich auf die Bettkante und sah sie aus grauen Augen ernst an.
„Was ist?“, fragte Gweneth und streichelte besorgt seinen Unterarm.
„Geht es dir ansonsten gut?“, fragte er mit seiner rauen, tiefen Stimme und Gweneth fand es süß, dass sich ihr Bruder so um sie sorgte.
„Mach dir um mich keine Sorgen. Mit einer ordentlichen Mahlzeit und viel Schlaf werde ich morgen bestimmt wieder fit sein.“
Erkenbrand seufzte leise, als beide mit einem Mal hörten, wie die Tür ins Schloss fiel und sich jemand mit schweren, schnellen Schritten näherte. Beide sahen zum Schlafzimmereingang, den wenige Herzschläge später Éomer durchschritt. Eilig lief er zu ihr und Erkenbrand erhob sich von seinem Platz, damit sich Éomer neben sie setzen konnte. Freude jagte durch ihre Adern und sie streckte sehnsüchtig ihre Hände nach Éomer aus. Dieser nahm ihre Hände in seine und küsste sachte ihren Handrücken.
„Wenn Ihr mich entschuldigen würdet, mein Herr“, sprach Erkenbrand und wollte nach einer kleinen Verbeugung gehen, als sich Éomer noch einmal zu ihm umwandte.
„Bringt ihr noch etwas zu essen, bevor Ihr geht“, befahl er und wandte sich wieder Gweneth zu.
„Ja, mein Herr“, antwortete Erkenbrand und mit einer kleinen Verbeugung verließ er das Schlafgemach mit großen Schritten.
Gweneth sah noch kurz Erkenbrand hinterher, ehe sie sich Éomer zuwendete, der ihre Hände an seine Lippen gedrückt hatte. Er hatte die Augen geschlossen und schien ihren Geruch tief in sich einzuatmen. Sie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren und ein angenehmer Schauer breitete sich in ihr aus.
„Habe ich dir Sorgen bereitet?“, fragte Gweneth sanft und Éomer atmete tief aus.
„Wärest du bis zum Sonnenuntergang nicht hier gewesen, hätte ich nach dir gesucht. Es wurden Orkverbände an der Grenze gesichtet und…“, doch seine Stimme erstarb und seine Augenbrauen zogen sich sosehr zusammen, dass seine Stirn in Falten lag.
Gweneth wusste, was er sagen wollte und sie konnte seinen Schmerz gut nachempfinden. Langsam zog sie ihn zu sich her und er ließ sich bereitwillig in ihre Arme sinken. Sein Kopf ruhte an ihrer Brust und Gweneth strich ihm zärtlich über seinen breiten Rücken und durch seine offenen Haare. Sie spürte, wie sein Körper leicht zitterte und sie zog ihn nur noch enger an sich heran. Lange blieb er in ihrer Umarmung, bis ein lautes Klopfen an der Tür sie störte. Langsam richtete sich Éomer auf und gab die Erlaubnis einzutreten. Schwere Schritte näherten sich und Erkenbrand erschien in der Tür, mit einem voll beladenen, silbernen Tablett in seinen Händen. Erkenbrand verbeugte sich und Éomer gab mit einem Nicken das Zeichen, dass er eintreten durfte. Erkenbrand stellte das Tablett auf das Nachttischchen und verbeugte sich dann erneut.
„Ich danke Euch! Ihr dürft Euch nun zurückziehen!“ sprach Éomer und Erkenbrand verließ mit einer kleinen Verbeugung das Gemach der beiden.
´Sein Verhalten hat sich wirklich in das eines König verändert… zu mindestens gegenüber seinen Untertanen.´
„Iss etwas“, meint Éomer mit sanfter Stimme, half ihr, sich aufrecht hinzusetzen und reichte ihr dann das Tablett, welches beladen war mit einem halben Brathähnchen, gebratene Kartoffeln, Bratensoße sowie zwei Scheiben Brot.
In einem silbernen Schälchen befanden sich Apfelschnitze und daneben eine ebenfalls silberne Karaffe mit Wasser. Bei dem Anblick lief Gweneth das Wasser im Mund zusammen und mit einem Knurren ihres Magens stürzte sie sich auf das leckere Essen. Éomer beobachtete sie mit amüsierter Miene und als sie ihn etwas genauer musterte, fiel ihr auf, dass er müde wirkte und unter seinen Augen leichte Augenringe lagen. Sorge wallte in ihr hoch und sie würgte schnell den Bissen in ihrem Mund herunter.
„Du siehst müde aus… hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?“, fragte sie besorgt und er lächelte sie an, wobei er jedoch so müde und erschöpft aussah, dass es Gweneths Herz unangenehm zusammenschnürte.
„Meine Sorge um dich und die näher rückende Beerdigung raubten mir in den vergangenen Nächten den Schlaf“, gab er zu und Gweneth lehnte sich augenblicklich nach vorne und drückte sachte seine Hand.
„Ich bin nun wieder bei dir und die Beerdigung wirst du auch gut überstehen“, versuchte sie ihn zu trösten.
Er nickte nur leicht und erwiderte den Druck ihrer Hand.
„Wann wird denn die Beerdigung sein?“, fragte Gweneth vorsichtig und der Gesichtsausdruck von Éomer verdunkelte sich augenblicklich, so dass sie es schon bereute, gefragt zu haben.
„Morgen wird sie stattfinden“, raunte er und sah auf den Boden, damit sie seine Augen nicht sehen konnte.
Ein schwerer Stein legte sich auf ihre Brust und sie überlegte, wie sie ihn wohl am besten ablenken konnte. Ihr Blick glitt über die Einrichtungen und blieb an den vielen Schränken hängen.
„Warum brauchst du eigentlich so viele Schränke? Nicht einmal ich habe so viele“, meinte Gweneth und aß einen weiteren Bissen von ihrem Hähnchen.
Éomer hob seinen Blick und sah sie verwundert an. Zwar konnte sie noch den Schmerz und die Trauer in seinen Augen sehen, doch ihre Frage hatte ihn von seinem Leid abgelenkt.
„Die Schränke sind nicht nur für mich gedacht, sondern darin befinden sich auch Kleider für dich“, meinte er und Gweneth hielt mitten im Essen inne.
Mit großen Augen sah sie ihn an und mit einem Mal brach Éomer in Gelächter aus. Verwirrt sah sie ihn an, dennoch war sie froh, dass der Schmerz in seinem Gesicht verschwunden war.
„Was ist?“, fragte sie mit vollem Mund und würgte den Bissen hinunter, während sich Éomer bemühte, sich zu beruhigen.
„Dein Gesichtsausdruck war gerade sehr außergewöhnlich“, erklärte er mit funkelnden Augen und Gweneth nahm einen Bissen von ihrem Brot.
„Doch sag, warum du gerade so überrascht wirkest?“, fragte er neugierig und Gweneth überlegte kurz, ehe sie antwortete, während sie die letzten Apfelschnitze verschlang.
„Irgendwie habe ich wohl noch nicht ganz realisiert, dass ich dich heiraten und mit dir hier wohnen werde. Es kommt mir unwirklich und wie in einem Traum vor. Als würde ich jeden Moment aufwachen und feststellen, dass dies alles hier nur ein schöner Traum war und ich mich in meinen Traummann verliebt habe“, antwortete sie wahrheitsgemäß und Éomer schien es zu verstehen, denn er nickte leicht und dann ruhte sein Blick auf ihr.
„Auch ich kann es kaum glauben, dass mich die Valar mit solch einer wunderschönen, willensstarken Frau beschenkt haben. Doch ist dies kein Traum, sondern die Wirklichkeit“, raunte er und lächelte so breit, dass es Gweneth ganz warm ums Herz wurde.
Er beugte sich nach vorne, stellte das leere Tablett zur Seite und nahm ihre Hände in seine. Gweneths Puls schoss in die Höhe und sanft strich sie mit ihrem Daumen über seinen Handrücken.
„Was hältst du eigentlich von meinen Eltern?“, fragte sie neugierig und bei ihren Worten musste Éomer leicht lächeln.
„Du ähnelst deiner Mutter sehr, nicht nur äußerlich, sondern auch in ihrer Art und Weise. Zwar konnte ich mir von ihr noch keine genaue Meinung bilden, doch scheint sie ebenso freundlich und willensstark, wie du es bist. Dein Vater ist kein Krieger und dennoch liegt Stärke in seinem Blick… sie müssen dich sehr lieben, wenn sie breit waren, sich in das Ungewisse zu begeben.“
Gweneth lächelte bei seinen Worten und dachte mit Wärme in ihrem Herzen an ihre liebenden Eltern.
„Sie sind großartig und ich hätte mir keine besseren wünschen können. Auch wenn wir oft unterschiedlicher Meinung waren, haben sie mich doch letzten Endes stets unterstützt. Aber wo werden sie untergebracht? Die Gästezimmer müssen doch schon belegt sein?“, fragte sie neugierig.
„Mein altes Gemach wird ihnen in der Zeit als Unterkunft dienen“, antwortete er und Gweneth atmete erleichtert aus.
„Ich hoffe, es wird ihnen hier gefallen“, sprach Gweneth ihre kleine Sorge aus und Éomer drückte sachte ihre Hand.
„Es wird ihnen gewiss gefallen. Doch nun ruhe dich gut aus, du wirst morgen all deine Kraft brauchen“, sprach er mit fester Stimme und sie sah an seinem entschlossenen Blick, dass er keinen Widerspruch duldete.
So ließ sie sich seufzend in das dicke Federkissen sinken und Éomer deckte sie sorgsam zu.
„Bleibst du hier?“, fragte sie, während sie schon spürte, wie die Müdigkeit in ihre Glieder kroch.
„Es sind noch ein paar Dinge wegen der morgigen Beerdigung zu erledigen, doch werde ich mich bald zu dir legen. Versprochen“, fügte er noch hinzu und bei der Erwähnung von Théodens Beerdigung, legte sich ein Stein in ihren Magen.
„Wie geht es dir?“, fragte sie schnell besorgt, doch Éomer schüttelte leicht den Kopf.
„Mach dir um mich keine Gedanken. Es geht mir gut“, meinte er, doch wusste sie, dass es nicht stimmte.
Dennoch widersprach sie nicht, denn sie spürte deutlich, dass er nicht mehr darüber sprechen mochte. Einen Moment lang musterte sie ihn, ehe sie seufzend nickte.
„Na gut, beeil dich aber“, hauchte sie und mummelte sich tiefer in das Bett.
Müdigkeit übermannte sie und ließ ihre bleiernen Augenlider schließen.
„Schlafe gut“, hörte sie ihn noch raunen und er küsste sie dann sanft auf die Stirn.
Gweneth brummte zufrieden und Éomer lachte leise mit seiner rauen Stimme. Das war das Letzte, was sie hörte, bevor sie in einen tiefen Schlaf glitt.

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29

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Kapitel 31-40

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