Kapitel 58
Langsam erwachte sie aus ihrem Schlaf und gähnte ausgiebig, bevor sie müde ihren Kopf wandte und dann ihre Augen öffnete. Staub tanzte im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen, der sich durch die hölzernen Fensterläden durchgeschlichen hatte.
´Es muss schon spät am Tag sein, da wir ja erst bei Tagesanbruch ins Bett gekommen sind.´
Ein kleines Geräusch neben ihr ließ sie ihren Kopf auf die andere Seite drehen und sie blickte in Éomers friedlich schlafendes Gesicht. Strähnen seines offenen, leicht zerzausten Haares fielen ihm ins Gesicht und seine Lippen waren einen kleinen Spalt breit geöffnet. Ein kleines Lächeln stahl sich bei seinem friedvollen Anblick auf ihre Lippen und sie drehte sich vorsichtig auf ihre Seite, darauf bedacht, ihn nicht zu wecken. So sorglos hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen und Gweneth musste sich zusammenreißen, damit sie nicht über seine stoppelige Wange strich und ihn damit wecken würde. Stattdessen betrachtete sie ihn still und ihr Blick glitt über seine geschwungenen Augenbrauen, den kurzen, stoppeligen Bart und seine nackte, stählende Brust.
Wärme strömte durch ihren Körper und sie konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, denn sie konnte intuitiv spüren, dass endlich die Zeit gekommen war, in der sie einfach nur glücklich sein durfte.
Der Drang, ihn zu berühren, wuchs in ihr immer weiter heran, doch stattdessen rutschte sie etwas näher zu ihm, bis sie seine Körperwärme auf ihrer Haut spüren konnte und mummelte sich dann glücklich tief in die Decke ein. Ihr Blick wanderte wieder hoch zu seinem Gesicht und sie bemerkte, wie seine Augenbrauen leicht zuckten und hörte, wie sich seine Atmung leicht beschleunigte.
´Oh je, jetzt habe ich ihn geweckt´, dachte sie leicht bedauernd und sah zu, wie er seine Augen öffnete, kurz orientierungslos blinzelte und dann direkt in ihre sah.
Kaum, dass sich ihre Blicke trafen, lächelte Gweneth ihn breit an und seine Augen fingen an, zu leuchten.
„Godhan morgen (Guten Morgen)“, sprach sie mit sanfter Stimme in der Sprache der Rohirrim und auf Éomers Lippen breitete sich ein strahlendes Lächeln aus.
Sie hatte inzwischen ein paar Brocken Rohirrisch gelernt und auch wenn ihre Aussprache noch etwas hölzern klang, so freute sich Éomer stets, wenn sie etwas in seiner Sprache sagte.
„Godhan morgen fore beheald éac (Auch dir einen guten Morgen)“, erwiderte er ihren Gruß und in seinen Augen lag solch eine Wärme, die sie zu durchdringen schien und ihr Herz höher schlagen ließ.
Dann umschlang er sie mit seinen breiten Armen, zog sie an seinen warmen Körper und Gweneth vergrub sogleich ihr Gesicht an seiner breiten Brust. Tief atmete sie seinen angenehmen Geruch nach Leder, Gras und Pferd ein, bis er ihren Kopf auszufüllen schien und schmiegte sich dann glücklich seufzend enger an ihn. Sie spürte, wie er sanft ihr Haupt küsste und dann sein Kinn auf ihren Kopf legte. Eine Weile blieben sie so eng umschlungen und genossen jeweils die Nähe des anderen.
„Morgen ist es soweit“, raunte Éomer und bei der Erwähnung der morgigen Heirat wurde Gweneth auf einen Schlag fürchterlich nervös.
„Schon bei dem Gedanken daran werde ich ganz unruhig“, gestand Gweneth und versuchte, die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu beruhigen, doch war es vergebens.
„Nicht nur du“, meinte Éomer und bei seinem Geständnis fühlte sie sich sogleich etwas besser.
„Ob Éowyn und Faramir genauso nervös sind? Immerhin werden sie ja vor uns heiraten“, fragte Gweneth und ihre Gedanken wanderten zu Éowyn.
„Was glaubst du denn?“, fragte er Gweneth und augenblicklich stellte sie sich Éowyn vor, die hektisch hin und her rannte.
Schon allein die Vorstellung brachte Gweneth zum Schmunzeln.
„Ich denke schon… Éowyn wird vermutlich den ganzen Tag hin und her rennen und alle anderen wahnsinnig machen und Faramir wird seine Nervosität im Übungskampf versuchen abzuschütteln“, meinte Gweneth und Éomer lachte leicht bei ihren Worten.
„Wahrscheinlich wirst du Recht behalten“, sprach Éomer mit gedämpfter Stimme, da er den unteren Teil seines Gesichts in ihren Haaren vergaben hatte.
Gweneth versuchte, sich wieder zu entspannen und den Moment an ihn gekuschelt zu genießen, doch spürte sie immer mehr die Nervosität, die sie ganz unruhig werden ließ. Genervt seufzte sie, schälte sich aus seiner Umarmung und legte sich auf ihren Rücken.
„Ich bin so schrecklich nervös“, gab Gweneth zu und rieb sich genervt den letzten Schlaf aus ihren Augen. „Ich kann mich gar nicht mehr richtig entspannen.“
Éomer küsste leicht ihre nackte Schulter und stützte sich dann auf seinem Arm ab, damit er in ihr Gesicht sehen konnte.
Vorsichtig strich er mit seinen rauen Fingerspitzen ihr eine Strähne aus dem Gesicht und sah sie liebevoll an.
„Der Tag wird schneller vorbeigehen, als du merken wirst und ehe du dich versiehst, werden wir vermählt sein und deine Aufregung wird sich legen“, sprach er ihr ruhig zu und Gweneth atmete tief ein.
„Ja, vermutlich wirst du Recht haben“, meinte Gweneth und seufzte noch einmal tief. „Dennoch bin ich nervös und im Laufe des Tages wird es gewiss schlimmer werden.“
Stumm sah Éomer Gweneth an, die an die Decke starrte und jeden Atemzug unruhiger zu werden schien.
„Wie war dein gestriger Tag?“, fragte er mit einem Mal und der abrupte Themenwechsel brachte Gweneth zum Lachen.
Sie verstand, dass er sie ablenken wollte und dankte ihm im Stillen dafür.
„Ganz gut… ich wollte mir Edoras genauer ansehen, doch bin ich dabei Haldir und Kindern begegnet, die miteinander gespielt haben“, meinte sie und mit einem Mal fiel ihr wieder schlagartig ein, was sie mit Éomer unbedingt besprechen wollte.
Mit einem Ruck drehte sie sich auf die Seite und Éomer zuckte kurz erschrocken zusammen.
„Was ist?“, fragte er erstaunt und zog seine Augenbrauen fragend zusammen.
„Beim Spielen mit den Kindern haben sie mir viele Dinge erzählt, die mir nicht besonders gut gefallen haben“, begann Gweneth zögernd und Éomer legte seine Stirn in Falten.
„Das wäre?“, hakte er neugierig nach und Gweneth zog die Decke etwas enger um ihren Körper.
„Zum Beispiel würden viele gerne lesen und schreiben können, doch da auch deren Eltern das Wissen fehlt, werden sie es nie lernen. Viele Mädchen wünschen sich auch etwas Sinnvolleres zu tun, als den ganzen Tag ihren Müttern zu helfen. Deswegen dachte ich mir, dass ich gerne eine Schule bauen würde.“
„Eine Schule?“, fragte er neugierig und da verstand sie erst, dass er das Wort nicht kannte.
„Eine Schule ist ein Gebäude, in dem Kinder unabhängig von Geschlecht oder Rang gemeinsam etwas erlernen, wie zum Beispiel lesen, schreiben und rechnen.“
„Wozu sollte ein Reiter und Krieger Rohans rechnen können?“, fragte Éomer ernst und Gweneth sah ihn leicht erstaunt an.
Er schien ihren Gedankenweg nicht zu verstehen und Gweneth spürte, dass sie die Angelegenheit anders angehen musste.
„In meinem Land entscheidet jeder Mensch selbst, welche Arbeit er ausüben möchte, gleich welchen Beruf deren Eltern ausüben und das ist auch gut so. Denn obwohl es das eigene Kind ist, muss es nicht die Fähigkeiten der Eltern übernommen haben und hat womöglich kein Talent, deren Arbeit fortzuführen. Ein anderer wiederum hat die besagten Fähigkeiten und kann die Arbeit sogar verbessern. Jedes Kind ist in etwas anderem gut und wenn wir ihnen die Chance geben, sich selbst zu entfalten, dann wirst du von den Talenten und Fähigkeiten der Kinder überrascht werden“, versuchte Gweneth ihn zu überzeugen, doch er sah sehr skeptisch drein.
Seine Stirn lag inzwischen komplett in Falten und seine Augenbrauen schienen sich fast zu berühren. Sie wusste, dass ihre Ansichten etwas völlig Neues für ihn waren und womöglich hätte er früher ihre Vorschläge abgelehnt, doch hatte er in der Zeit, in der sie in Mittelerde war, gesehen, dass ihre Vorschläge meistens geholfen hatten.
„Was würdest du sie denn gerne unterrichten wollen?“, fragte er stattdessen und Gweneth musste kurz überlegen, bevor sie antwortete.
„Lesen und schreiben in Rohirrisch und auch in Westron und wenn jemand sprachbegabt ist, dann womöglich auch in Sindarin. Die Grundlagen des Rechnens und vielleicht auch so etwas wie Kräuterkunde, Geschichte, Waffenkampf, Länderkunde, künstlerische Tätigkeiten und Reiten. Es wird sich einiges finden, glaube mir!“, sprach sie voller Überzeugung und sah ihm fest in die Augen.
„Waffenkampf?“, fragte er mit tiefer Stimme, seine Augen verdunkelten sich und seine Mundwinkel zogen sich leicht nach unten.
Sie wusste, dass sie einen Nerv getroffen hatte, doch wollte sie um keinen Preis nachgeben.
„Falls uns wirklich jene aus dem Süden angreifen werden, werde ich gewiss nicht verlangen, dass die Frauen mit in den Krieg ziehen. Doch wenn alle Männer aus den Dörfern und Städten gegangen sind, wer beschützt dann Frauen und Kinder? Ist es nicht besser, ihnen die Grundlagen des Kampfes beizubringen, damit sie in der Not ihr Heim und Familie selbst verteidigen können?“, fragte sie und sah ihm geradewegs in seine braunen Augen.
Er wich ihrem Blick hingegen nicht aus und erwiderte ihn stur, doch konnte sie spüren, dass er ihre Logik verstanden hatte und mit einem Mal senkte er leicht den Kopf.
„Du wirst nicht ruhen, ehe ich es dir gestatte, nicht wahr?“, fragte er sanft und Gweneth musste sich ein kleines Grinsen verkneifen.
„Géa (Ja), ehe würden mir die Haare ausfallen, bevor ich Ruhe gebe“, antwortete sie und Éomer schloss für einen kurzen Moment die Augen.
„Und sorge dich nicht, ich werde mich um alles kümmern“, sprach sie sanft und bei ihren Worten öffnete er wieder seine Augen.
„Ich werde darüber nachdenken müssen“, meinte Éomer mit zusammengezogenen Augenbrauen und Gweneth konnte sich ihr Grinsen nun nicht mehr verkneifen.
„Ic beheald thanc (ich danke dir)“, sprach sie erneut in Rohirrisch und der Blick in Éomers braunen Augen wurde etwas weicher.
Kurz zögerte Gweneth, denn sie wollte ihn noch um etwas bitten und sie wusste, dass dies ihm überhaupt nicht gefallen würde.
„Da wäre noch etwas“, begann sie zögernd und sie hoffte, er würde es nicht gleich ausschlagen.
Éomer hingegen zog seine Augenbrauen wieder zusammen, als ob er ahnen würde, dass sie ihn gleich etwas Unangenehmes fragen würde.
„Ich würde gerne Haldir fragen, ob er als einer der Lehrer hier bleiben kann. Doch bevor ich ihn frage, wollte ich dich erst um Erlaubnis bitten“, meinte sie kleinlaut, denn sie wusste, wie Éomer zu dem Elb stand und sah Éomer vorsichtig an, dessen Augenbrauen nun fast eine verärgerte Linie bildeten.
„Warum ihn?“, brummte er mit finsterem Blick.
„Er ist mir ein guter Freund geworden und ich habe gesehen, wie gerne er mit den Kindern spielt und sie zum Lachen bringt. Die Kinder haben ihn gleich akzeptiert und durch sein Wissen kann er uns eine große Hilfe sein“, erklärte sie schnell, doch Éomer sah noch immer recht finster drein.
Gweneth schien jedoch zu spüren, warum Éomer einen kleinen Groll gegen Haldir hegte und so legte sie sanft eine Hand auf seine Wange und sah ihn eindringlich an.
„Ich werde morgen dich heiraten und für immer an deiner Seite bleiben, als deine Ehefrau. In unserer Liebe wird es keinen Platz geben für einen anderen Mann. Sorge dich also nicht um ihn, denn für mich bist du mein Seelenverwandter und mein Gefährte und er nur ein guter Freund. Wie sonst hätte ich dem Charme seines Werbens widerstehen können, wenn nicht meine Liebe zu dir mein Herz völlig ausfüllte“, sprach sie eindringlich und der Ausdruck in seinem Gesicht wurde bei ihren Worten etwas weicher.
Er nahm sanft ihre Hand von seiner Wange und küsste sachte ihre Handinnenfläche. Einen Moment lang hielt er ihre Hand gegen seinen Mund gedrückt und hielt seine Augen geschlossen. Dann legte er ihre Hand auf seine Brust und sah sie aus warmen, braunen Augen an.
„Wenn es dich glücklich macht, so kann er bleiben“, raunte er und Gweneths Herzschlag setzte für einen Atemzug aus.
„Beheald thanc (Danke)!“, rief sie glücklich und schmiss sich um seinen Hals.
Stürmisch küsste sie sein Gesicht und Hals ab und brachte Éomer zum Lachen. Dann kuschelte sie sich grinsend an ihn und er schloss sie in seine starken Arme.
„Ic lufu thé (Ich liebe dich)“, hauchte sie voller Freude und Éomer zog sie enger in seine Arme.
„Ic thé éac (Ich dich auch)“, raunte er, küsste sie auf ihr Haupt und brachte Gweneth glücklich zum Lächeln.
Sie lauschte seinem stetigen, kräftigen Herzschlag und beide genossen die letzte Ruhe, die ihnen vergönnt war. Eine Zeit lang lagen sie ruhig nebeneinander, bis Gweneth die Stille durchbrach.
„Ich vermute mal, Éowyn ist schon auf den Beinen und steckt mit meiner Mutter über beiden Ohren in den letzten Vorbereitungen für morgen“, meinte Gweneth mit einem kleinen Seufzer. „Ich sollte ihr helfen, doch möchte ich wirklich ungern das Bett verlassen.“
Éomer zog sie enger an sich heran und küsste sie sanft auf den Scheitel.
„Auch auf mich wartet die Verpflichtung, doch lange kann ich mich ihr nicht mehr entziehen“, brummte er leicht missmutig und Gweneth sah zu ihm hinauf.
„Nicht aufstehen“, quengelte sie leicht und Éomer grinste breit.
„Ich wünschte es, doch der Tag ist weit fortgeschritten und wir werden gewiss erwartet“, meinte er, küsste sie ein letztes Mal und stand dann schwungvoll auf.
Seufzend sah sie zu, wie er sich wusch, langsam anzog und Gweneth schließlich sich schweren Herzens auch aus dem Bett schälte. Auch sie wusch sich, zog sich ein nachtblaues Kleid an und flocht sich mit geschickten Fingern einen lockeren Zopf. Dann verließen beide ihr Gemach und begaben sich in Richtung goldene Halle.
„Ich hoffe, Éowyn wird nicht außer sich sein, dass ich erst jetzt komme“, sprach Gweneth in gedämpftem Ton und erntete von Éomer ein kleines Grinsen.
„Sie wird der Sturm selber sein“, entgegnete Éomer hingegen grinsend.
Bei der Vorstellung musste auch Gweneth grinsen, doch als sie in der Halle ankamen, fiel es ihr aus dem Gesicht. Éowyn stürmte mit glänzenden Augen und wehenden goldenen Haaren bedrohlich auf sie zu.
„Da bist du ja endlich! Du hast dir ganz schön viel Zeit gelassen, dabei gibt es noch so viel zu tun!“, und bei den Worten packte Éowyn sie am Handgelenk und schleifte sie mit.
„Wir müssen noch die Kleider anprobieren, den Ablauf durchsprechen und die Wandteppiche müssen neu ausgesucht werden, da einer auseinander gefallen ist“, plapperte sie schnell darauf los, während Gweneth hilfesuchend zu Éomer zurück sah, der ihr jedoch mit verschränkten Armen und breit grinsend hinterher sah und keine Anstalten machte, ihr zu helfen.
Innerlich aufgebend, ließ sie sich von Éowyn neben ihre Mutter auf eine Bank drücken und akzeptierte die Tatsache, dass sie sich den ganzen Tag mit lästigen Dingen rumschlagen musste. Während sie frühstückte, wurde sie in den morgigen Ablauf eingeweiht, als auch was heute noch erledigt werden musste. Bei der langen Liste wurde es Gweneth ganz mulmig, doch sah sie an dem Blick von Éowyn und ihrer Mutter, dass sie sich nicht herausreden konnte. So gab sie sich geschlagen und fügte sich in die Anweisungen der beiden. Sie half letzten Endes die Umgestaltung der Königlichen Halle für den morgigen Tag zu koordinieren, das Essen probe zu kosten, in ihr Kleid zu schlüpfen, die dazu passende Frisur zu wählen, die Bierfässer und Weinfässer auszuwählen und noch viele andere kleine tausend Dinge. Erst, als es bereits dämmerte, hatte sie kurz Zeit für sich und suchte Haldir, den sie draußen auf einer Bank seitlich der goldenen Halle fand.
„Darf ich?“, fragte sie und deutete auf den leeren Platz neben ihm.
Sogleich erhob er sich galant und deutete mit einer Verbeugung auf den leeren Platz.
„Natürlich, heryn“, sprach er und synchron setzten sie sich nebeneinander auf die Bank.
Gweneth lehnte sich an die warme Wand in ihrem Rücken und ließ den Blick weit über die schneebedeckten Berge gleiten.
„Was bringt Euch zu mir?“, fragte er neugierig und Gweneths Blick glitt zu ihm.
„Darf ich einem guten Freund etwa keinen Besuch abstatten?“, fragte sie leicht neckend und Haldir verfiel in ein wunderschönes, glockenhelles Lachen.
„Ihr dürft jeder Zeit zu mir kommen und ich werde mich stets über Euren Besuch freuen, doch scheint es mir, als würdet Ihr etwas Bestimmtes von mir wollen“, sprach er und noch immer umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel.
„Fürwahr, ich will tatsächlich etwas von dir, und zwar eine Antwort“, meinte sie und Haldir zog fragend seine wohl geformten Augenbrauen nach oben.
„Eine Antwort auf welche Frage?“, fragte er, mit Neugierde in seiner Stimme.
„Du magst die Menschenkinder hier, nicht wahr?“, hakte sie nochmals nach und er nickte zögernd.
„Was würdest du davon halten, noch eine Weile hier zu bleiben… als Lehrer für die Kinder?“, fragte sie nun geradeheraus und überrascht weiteten sich seine Augen.
„Ich soll sie unterrichten?“, fragte er perplex und Gweneth nickte.
„Da ich gesehen habe, welchen Spaß dir der Umgang mit den Kindern bereitet hat und du über großes Wissen verfügst, dachte ich, du wärst ein geeigneter Lehrer für sie.“
Haldir schwieg und seine dunkelblauen Augen wendeten sich zu den Bergen.
„Du musst mir auch nicht sofort eine Antwort geben. Denke in Ruhe über mein Angebot nach und gib mir dann eine Antwort“, fügte Gweneth hinzu und sah dann wieder zu den schneebedeckten Berggipfeln.
Still saßen sie nebeneinander, während Gweneth einfach nur die Aussicht und Ruhe genoss und Haldir über ihr Angebot nachdachte.
„Ich fürchte, Eurer zukünftiger Gemahl wird nicht sehr glücklich darüber sein, wenn ich hier bliebe“, sprach er mit einem Mal langsam und Gweneth musste sich ein kleines Lächeln verkneifen.
„Zu Beginn wird er nicht glücklich sein, doch wird er sich mit der Zeit an dich gewöhnen. Seine ersten Zweifel konnte ich schon zerstreuen“, versuchte Gweneth ihm die Bedenken zu nehmen.
„Wie habt Ihr seine Zweifel zerstreut?“, fragte er neugierig.
„Indem ich ihn morgen heiraten werde“, antwortete sie und Haldir brach erneut in helles Gelächter aus, das so schön wie ein Windspiel in der Abenddämmerung war.
Innerlich grinste Gweneth und stand dann in einer fließenden Bewegung auf.
„Wie gesagt, denk in Ruhe darüber nach“, sprach sie und atmete dann tief durch, ehe Haldir sich etwas beruhigt hatte.
„Ai, das werde ich und noch bevor meine Leute Edoras verlassen werden, werde ich mit einer Antwort zu Euch kommen“, sprach er, stand auf und verneigte sich nach Elbenart.
Gweneth nickte ihm dankbar zu und sah dann zur goldenen Halle.
„Und ich werde auf dich warten. Doch nun entschuldige mich, Éowyn sucht bestimmt schon nach mir“, meinte sie seufzend, nickte ihm noch zu, dass er schnell erwiderte und ging dann wieder in die Halle.
Innerlich bereitete sie sich schon auf den nächsten Berg unerledigter Dinge vor, die noch auf sie warteten und betrat dann leicht widerstrebend die Halle. Plötzlich lief sie gegen etwas Hartes und ging taumelnd ein paar Schritte zurück. Schon wollte sie wütend denjenigen anfauchen, als sie ihren Kopf hob und in das Gesicht des Hünen blickte. Seine blonden Haare waren zerzaust und sein Bart länger, als sie es gewohnt war, doch leuchteten seine grauen Augen noch genauso, wie sie es in Erinnerung hatte. Ihr Herz machte einen großen Hüpfer und mit einem kleinen, glücklichen Schrei sprang sie in die Höhe, damit sie ihren Bruder um den Hals fallen konnte. Er schloss sie lachend in seine starken Arme, hob sie hoch und wirbelte sie für einen kurzen Moment um sich herum. Lachend setzte er sie wieder ab und glücklich lächelnd sah sie zu ihm hoch.
„Seit wann bist du wieder da? Ich dachte, du müsstest in Helms Klamm nach dem Rechten sehen und würdest es nicht bis zur Hochzeit schaffen“, sprach Gweneth und Erkenbrand wuschelte ihr leicht durch ihre ebenholzfarbenen Haare.
„So wäre es auch gewesen, wenn nicht ein Eilbote mich auf der Hälfte des Wegs eingeholt hätte, mit dem ausdrücklichen Befehl des Königs, umzukehren, um der Hochzeit beizuwohnen“, antwortete er mit seiner tiefen und rauen Stimme und Dankbarkeit gegenüber Éomer durchfloss sie und ihr Herz schwoll an vor Glück.
„Es freut mich so sehr, dass du nun doch da bist“, hauchte Gweneth mit Tränen in den Augen und umarmte dann ihren Bruder kräftig.
Dieser erwiderte ihre Umarmung und strich ihr sachte über ihren Kopf, ehe sie wieder voneinander abließen.
Strahlend sah sie ihn an und mit einem Mal fiel ihr das Geschenk für ihn ein. Sie schnappte schnell seine Hand und zog ihn stürmisch quer durch die große Halle.
„Wohin zerrst du mich?“, fragte er mit einem tiefen Lachen und Gweneth kam aus dem Grinsen fast gar nicht mehr heraus.
„In mein Gemach, ich hab nämlich noch etwas für dich“, antwortete sie grinsend und zog ihn unerbittlich weiter.
Durch die ganzen Gänge zerrte sie ihn und ließ ihn erst in ihrem Gemach los. Schnell ließ sie sich neben dem Rucksack, der noch ans Sofa gelehnt war, nieder und begann, darin herum zu suchen.
Dann spürte sie in einer Seitentasche das Geschenk für Erkenbrand, zog er heraus und überreichte ihm einen in Leder eingeschlagenen, länglichen Gegenstand.
„Ist dies aus deiner Welt?“, fragte er neugierig, welches sie mit einem Nicken bestätigte und schlug das Leder zurück.
Heraus kam ein langer Dolch, mit ledernem Griff und Scheide, welche mit Einkerbungen und metallenen Einlassungen verziert war. Erkenbrand zog den Dolch mit einem leisen, schneidenden Geräusch hervor und betrachtete erstaunt die schwarze, scharfe Klinge. Mit Kennerblick besah er sich die schlichte Schneide und hob dann ehrfürchtig den Blick.
„Solch eine scharfe Schneide habe ich noch nie gesehen“, gab er zu und drehte die Schneide im Licht des Kaminfeuers, welche bedrohlich schimmerte.
„Das ist eine Klinge, die mit Diamantstaub veredelt wurde und als eine der schärfsten Klingen unserer Welt zählt“, erklärte Gweneth und Erkenbrand steckte den Dolch vorsichtig zurück in die Dolchscheide.
„Ich werde gut darauf Acht geben, ich danke dir, Schwester“, sprach er, schritt an Gweneth heran und drückte ihr einen rauen Kuss auf ihren Scheitel.
Plötzlich wurde die Gemachtür ruckartig geöffnet und beide drehten sich leicht erschrocken um. In der Tür standen breit grinsend Éowyn, ihre Mutter und zu Gweneths Überraschung auch Arwen. Als Gweneths Blick den von Arwen kreuzte, war sie für einen kurzen Moment gefangen in deren sturmgrauen Augen, in denen sich das Licht der Sterne widerspiegelte.
„Ich hoffe, wir stören nicht“, meinte ihre Mutter und ihr Blick fiel auf Erkenbrand.
„Nein, nein, ich habe nur meinem Bruder sein Geschenk überreicht. Aber warum grinst ihr mich alle so an?“, fragte Gweneth misstrauisch und die drei Frauen warfen sich einen belustigten Blick zu.
„Weil dies dein Junggesellinnenabschied ist“, sprach ihre Mutter und Gweneth fiel fast die Kinnlade herunter.
„Mein Junggesellinnenabschied?“, fragte sie belustigt, denn damit hatte sie nicht im Mindesten gerechnet.
„Dies ist der Abend vor Éowyns und deiner Vermählung und gemäß der Tradition deines Landes gehört dieser Abend euch“, sprach nun auch Arwen mit ihrer sanften Stimme und ihre Augen leuchteten so stark, dass sich Gweneth dazu zwingen musste, den Blick abzuwenden.
„Da wir die letzten Tage damit verbracht haben, alles zu organisieren, werden wir uns nun etwas entspannen und den Abend und auch die Nacht miteinander verbringen“, sprach Éowyn grinsend und Freude wallte in Gweneth hoch.
Nach einem heißen Bad hatte sie sich schon lange gesehnt und auf ein gutes Gespräch mit den dreien freute sie sich besonders. Sie warf Erkenbrand ein breites Grinsen zu, drückte ihn noch einmal kurz, ehe sie den drei Frauen zum großen, marmornen Bad folgte. Im heißen Wasser fiel von allen die Anspannung der vergangenen Tage und der bevorstehenden Hochzeit ab, wobei ihr auch die anderen drei sehr halfen. Sie neckten sich gegenseitig, halfen sich, die Haare zu waschen und redeten dabei über Eru und die Welt. Gweneth genoss es in vollen Zügen, nach Herz und Seele zu plappern und genoss die Gesellschaft der drei Frauen ausgiebig. Sie badeten und plantschten so lange, bis ihre Haut vollkommen aufgeweicht war und begaben sich dann gemeinsam in Éowyns Gemach. Diener hatten bereits den Esstisch mit allerlei Köstlichkeiten beladen und Gweneth aß aus Herzenslust. Gemäß den Traditionen der Menschenwelt würde sie die Nacht mit den drei Frauen verbringen und obwohl sich Gweneth darauf freute, vermisste sie dennoch Éomers wärmende Arme. Doch die Frauen ließen Gweneth und Éowyn keine Zeit, sich über ihre Männer Gedanken zu machen, sondern verwickelten sie stets in Gespräche, die noch bis in den späten Abend hinein reichten.