Der Ring der Erde

Kapitel 7

Am nächsten Tag wurde sie durch eine der Heilerinnen geweckt. Denn die Sonne war schon aufgegangen und sie musste sich früh ans Werk machen. Praktischer Weise hatte sie ihre Kleider noch an und wollte schon nach draußen eilen, als die Heilerin sie zurück hielt.
„Haltet ein, Herrin!“
„Was gibt’s denn?“
Sie blieb schlitternd stehen und sah die Heilerin fragend an.
„Da ihr nun halbwegs genesen seid und Euer Aufenthalt in den Heilenden Häusern nicht mehr notwendig ist, werden Eure Sachen in ein anderes Zimmer verlegt.“
„Oh, ok. Und wohin?“
„Ich zeige Euch den Weg. Wollt Ihr mir bitte folgen?“
Mit den Worten trat die Heilerin aus dem Zimmer heraus und sie folgte ihr. Die Heilerin führte sie in die große Halle und auf deren andere Seite. Sie bog in den letzten Gang ein und lief nach wenigen Metern links eine Wendeltreppe hoch. Schon nach ein paar Stufen teilte sich ein Gang von der Wendeltreppe ab, den sie auch beschritten. In dem Gang waren ein paar hölzerne Türen, dessen erste sie ansteuerte.
„Dies wird nun Euer Quartier sein. Fühlt Euch wie zu Hause.“
„Ich danke Euch.“
Antwortete sie mit einer leichten Verbeugung und trat in ihr neues Zimmer ein. Das Zimmer war weiß gekalkt und durch das kleine Fenster viel sanftes Licht. Rechts an der Wand stand ein schlichtes Holzbett mit weißer Leinenbettwäsche und Daunendecke und -kissen. Am Fußende war eine große dunkle Truhe, die mit Eisenbeschlägen beschlagen war. Gegenüber vom Bett standen eine große Waschschüssel auf einem Podest und daneben ein großer Zuber.
´Wow, ich hab sogar ein eigenes Bad.´
Neben dem Zuber stand ein gefüllter Eimer mit Wasser, in dem duftende Blüten schwammen.
„Ihr könnt Euch frisch machen. Den Inhalt der anderen Truhe haben wir bereits hier rein verlegt. Da aber Eure Wunden noch nicht gänzlich verheilt sind, solltet ihr alle paar Tage die Heilenden Häuser aufsuchen und eure Verbände wechseln lassen. Ich wünsche Euch noch einen schönen Tag.“
Mit diesen Worten schloss sie die Tür und ließ Gweneth allein. Prüfend ging sie zur Truhe und öffnete diese. Da sie nicht viel besaß, war die Truhe nur zur Hälfte gefüllt. Ihre schwarze Tasche und ihre Kleider aus ihrer Welt, die Zahnputzwurzel und ein weißes Nachtkleid. Ansonsten besaß sie nicht mehr, bis auf das was sie am Körper trug. Jedoch war das auch nicht besonders viel. Ihre Unterwäsche, das rote Kleid, der Pelzumhang und die Ledernen Schuhe.
´Ich sollte Erkenbrand noch um ein anderes Kleid bitten. Irgendwann muss das ja auch mal gewaschen werden!´
Schnell Band sie ihre Haare mit dem Lederband hoch und goss Wasser in die Waschschüssel. Dann wusch sie schnell ihr Gesicht und als sie merkte, dass das wenig brachte, zog sie  sich aus. Sie hatte nämlich einen Lappen entdeckt, der unter der Waschschüssel klemmte und damit rieb sie sich nun den Körper ab. Nebenbei kaute sie auf einem Stück der Wurzel rum und hätte sich fast übergeben. Jedoch würgte sie tapfer den Brei runter und die Übelkeit verschwand rasch. Schnell zog sie sich an, fuhr sich mit den Fingern durch ihr dunkles Haar und flocht es wieder zusammen. Dann eilte sie aus ihrem Zimmer und schaffte es, ohne sich zu verlaufen, in die große Halle. An dem gleichen Tisch wie gestern, saß schon Eothin und aß ein Stück Brot mit Wurst und dazu Wasser vermischt mit Wein. Sie setzte sich zu ihm und er schob ihr das gleiche Essen zu, wie er aß.
„Danke.“
Murmelte sie noch etwas müde und fing an zu essen. Das Brot war trocken und sie schaffte es nur mit dem Gesöff es runter zu schlucken. Die Wurst war recht gut und erinnerte sie an eine harte Salami. Stumm aßen sie, bis sie nachsah, über was er brütete. Es waren die Pläne für den Bau der Umleitungssysteme. Schnell aß sie auf und drehte sich mit dem Oberkörper zu ihm um.
„Habt Ihr noch Fehler entdeckt?“
Fragte sie neugierig und rückte unweigerlich etwas näher zu ihm hin.
„Ich denke nicht. Jedoch sollten wir geeignetere Männer zu Rate ziehen. Sie vermögen es Fehler in der Konstruktion zu entdecken, die uns verborgen blieben.“
Er sah auf und winkte einen der Soldaten her.
„Bringt mir Neotan den Baumeister, Actreo den Schreiner, Eorcanstan den Steinmetz, Beod den Tischler, Brim der Gerüstbauer und Isensmilp den Schmied!“
„Jawohl, Herr.“
Der Soldat verbeugte sich leicht und eilte dann davon.
´Komische Namen.´
Sie zog ihre Stirn leicht nach oben und versuchte sich einen der Namen wieder ins Gedächtnis zu rufen, scheiterte jedoch kläglich. Sie hatte ohnehin kein besonders gutes Namengedächtnis.
´Wie soll man sich nur solche Namen merken?!´
„Was beschäftigt Euch?“
Fragte plötzlich Eothin und sie sah ihn an. Offenbar hatte sie die ganze Zeit vor sich hin gestarrt.
„Mir erscheinen nur die Namen so fremd. Ich mein, in meiner Heimat gibt es auch seltsame Namen, aber die sind meist nicht so lang und kompliziert wie Eure.“
„Was sind denn bei Euch normale Namen?“
„Naja, so was wie Andrea, Lena, Hans, Peter und so halt.“
„Solch Namen gibt es hier wirklich nicht, auch wenn sie vom Klang den unseren ähneln.“
„Da habt ihr wohl recht…. Sie sind dennoch ungewohnt.“
Meinte sie mit einem Lächeln und sah wieder auf die Pläne herab.  
Wenig später trafen die gewünschten Personen ein und besahen sich zusammen die Pläne. Wie Eothin schon richtig vermutet hatte, fanden die Fachleute gleich alle Schwachstellen und gemeinsam arbeiteten sie den ganzen Tag daran, bis endlich der Plan von allen abgesegnet war. Schon am nächsten Morgen würden die Arbeiten anfangen. Man beschloss die meisten Soldaten am Bau des Burggrabens zu positionieren, da dieser am längsten Zeit benötigte.
Als endlich alles eingeteilt war setzte sie sich an einen der Tische und spielte mit dem Gedanken schlafen zu gehen. Doch die Sonne war noch nicht untergegangen und Lust zu schlafen hatte sie nicht.
´Ich würde nur wieder diesen Traum haben… der nervt langsam wirklich und ich weiß einfach nicht was damit gemeint ist.´
Sie betrachtete ihren Ring am Finger und drehte ihn vorsichtig um ihren Finger.
„Wieder in Gedanken versunken?“
Ertönte eine raue Stimme neben ihr und sie zuckte heftig zusammen. Erkenbrand saß neben ihr und grinste sie breit an.
„Man, hast du mich vielleicht erschreckt!“
Knurrte sie und legte eine Hand auf ihr pochendes Herz. Er jedoch lachte nur leise und sah sie amüsiert an.
„Ich hab etwas für dich.“
„Für mich?“
„Du hast heut bestimmt noch nichts Wirkliches gegessen, oder?“
Er stellte vor ihr eine dampfende Schüssel und neugierig betrachtete sie deren Inhalt. Es war eine Gemüsesuppe mit Fleischstücken und dazu legte er mehrere Schreiben Brot und ein kleines Stück Butter.
„Danke! Ich hab gar nicht gemerkt, wie ich hungrig wurde.“
Wie zur Bestätigung knurrte ihr Magen laut und schnell nahm sie den Löffel in den Mund. Gierig schlang sie die köstliche Suppe hinunter und verspeiste vier Scheiben Butterbrots. Erkenbrand hatte sie die ganze Zeit gemustert und lächelte amüsiert. Als sie fertig war, konnte sie gerade noch so ein Rülpsen unterdrücken und lächelte ihn dann dankend an.
„Das tat gut. Mir ist gleich viel wärmer.“
„Das war meine Absicht. Aber das war eigentlich nicht der Grund warum ich zu dir wollte.“
„Sondern?“
Er lächelte und überlegte wie er anfangen sollte.
„Du hast mir mal einst erzählt, dass du so etwas wie eine Künstlerin bist. Und ich dachte, du sehntest dich vielleicht nach so etwas.“
Er legte ein breites, in Leder gebundenes Buch vor ihr hin und sah sie gespannt an. Sie strich vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Einprägungen des ledernen Einbandes. Linien waren ineinander geschlungen und zogen sich kunstvoll über die ganze Vorderseite des Buchs. Entlang am Rand waren ebenfalls verschlungene Ranken mit Blütenblätter verziert und Worten, die sie nicht lesen konnte. Vorsichtig entknotete sie die ledernen Bänder, die das Buch zu hielten und öffnete dann das Buch. Weiße, reine Seiten sahen sie an und verständnislos drehte sie den Kopf zu ihm um.
„Ein leeres Buch?“
„Ja… und du bist dafür Verantwortlich es zu füllen.“
Er reichte ihr ein ledernes, verschlossenes Rohr und auch dieses öffnete sie. Als sie den Inhalt auf ihre Handfläche fallen ließ keuchte sie überrascht. In dem kurzen ledernen Rohr waren Kohlestifte und ein kleines Messer zum anspitzen drin.
„Ich danke dir!“
Sie viel ihm um den Hals und drückte ihn fest. Er widerte die Umarmung und lachte leise. Dann lösten sie sich voneinander und strahlend nahm sie das Buch in ihre Hände. Sie drückte es an ihre Brust und zog den Geruch des Leders ein.
„Ich denke, ich weiß, was ich als erstes zeichnen werde! Wenn du mich suchst, ich bin in meinem neuen Gemach!“
Rief sie ihm zu, während sie hastig aufstand und in ihr Gemacht eilte. Schnell hastete sie die Treppen hoch und gelangte in ihr Zimmer.
Dort stellte sie sich an ihr Fenster und sah hinaus. Von hier aus hatte sie einen herrlichen Blick auf das Klammtal und die Burg. Sie öffnete das Buch und holte sich einen Kohlestift raus. Tief atmete sie ein und zeichnete die erste Linie, dann ging alles wie von selbst. Ihre Hand flog nur so über das Papier und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sie zeichnete bis die Sonne unter ging und sie nur noch wenig erkennen konnte. Sie steckte den Stift weg und klappte das Buch zu. Beides legte sie neben ihr Kopfkissen und zog sich dann um. Sie schlüpfte in ihr Nachtgewand und legte sich in das Bett. Bald wurde es kuschelig warm und schützte sie vor der kühlen Bergluft, die durch das Fenster rein wehte. Fröhlich mummelte sie sich in die Decke und schlief dann mit einem sanften Lächeln auf den Lippen schließlich ein.

Langsam schlug sie ihre Augen auf und sah in die Sonnenstrahlen des beginnenden Tages.
Kurz wanderten ihre Gedanken an ihr altes Zuhause, an ihre Eltern und ihre beste Freundin. Schmerzhaft zog sich ihr Herz zusammen und schnürte ihr die Kehle zu. Japsend schnappte sie nach Luft und krümmte sich zusammen. Mit aller Gewalt verdrängte sie den Gedanken und zwang sich ruhig zu atmen. Der Schmerz verschwand langsam und hinterließ nur ein dumpfes Gefühl. Sie wollte nicht daran denken, also verdrängte sie es mit aller Macht.
Zwar konnte sie ihre Gefühle nicht ewig verdrängen aber für den Moment funktionierte es gut.
Kurz lag sie noch zusammen gekauert im Bett, stand dann langsam auf und machte sich frisch. Immerhin war heut ein großer Tag und den wollte sie nicht verpassen.
Langsam zog sie sich um und machte sich frisch, dann verließ sie ihr Gemach und tapste die Treppe müde hinunter. Sie bemerkte, dass es langsam kühler wurde und fragte sich, welche Jahreszeit sie eigentlich hatten.
In der Halle angekommen suchte sie Eothin, den sie schnell fand. Er redete gerade mit einem Soldaten und hatte ihre Pläne und dem Arm zusammen gerollt.
„Guten Morgen.“
Sagte sie noch etwas matt und gähnte.
„Guten Morgen, Gweneth.“
Antwortete er und verbäugte sich leicht.
„Wollen wir nun zur Tat schreiten?“
„Gerne.“
Damit liefen beide gemeinsam durch die Burg hindurch, bis sie das Tor durchquert und den Grad überwunden hatten. Nun standen sie auf dem Feld vor der Burg, auf dem schon alle Soldaten der Klamm warteten. Eothin hatte sie alle einberufen und nun erhob er seine Stimme.
„Soldaten der Mark! Soldaten der Klamm! Der Tag des Kampfes ist nicht mehr fern! Orks werden kommen! Sie werden kommen und wir werden stand halten!
Damit wir Morgoth´s Geschöpfe einen würdigen Empfang bereiten können, haben die Herrin Gweneth und ich Pläne ausgearbeitet, damit sie wie Wasser gegen einen Felsen branden.
Wir werden nun Euch einteilen!“
Er zog eine lange Liste hervor und verlas die Namen daraus. Die Männer wurden in verschiedenen Gruppen eingeteilt und diese wechselten sich dann während den Bauarbeiten ab. Nachdem die Männer verteilt wurden, wurde jede Gruppe eingewiesen und mit Werkzeugen ausgestattet. Der größte Teil der Soldaten von Helms Klamm wurden für den Burggraben benötigt. Ein kleinerer kümmerte sich um das Tor und um den Fluss. Obwohl alle Soldaten beschäftigt waren, ließen sie die Burg nicht unbewacht.
Gweneth ging mit Eothin zu den verschiedenen Baustellen und beobachteten, wie die Arbeiter anfingen den Graben auszuheben.
Zu Anfang hatten die Männer noch gemurrt, als eine Frau ihnen Befehle gab, doch nach und nach folgten sie diese bereitwillig. Denn sie war gütig und ließ die Arbeiter ausreichend ruhen und wechselte oft die Schichten.
Die Zeit Schritt voran und es wurde immer kälter. Der Himmel zog sich immer öfters zu und ein kalter, schneidender Wind wehte vom Berg her. Nur dank Erkenbrands Kleidergeschenken überlebte sie das winterliche Wetter.
Jeden Tag musste sie die Baustellen besuchen und immer wieder neue Befehle erteilen.
Erkenbrand war ihr in dieser Zeit keine große Hilfe, den Orks trieben sich in den Landen umher und er musste immer öfter ausreiten.
Oft nahm sie sich Zeit und setzte sich dann wagemutig auf die Brustwehr und zeichnete. Zuerst hatte sie die Landschaft, die Burg und die Baustellen gezeichnet, doch jetzt war sie über gegangen Menschen zu porträtieren, mit denen sie viel zu tun hatte. Eothin hatte sie bereits gezeichnet, wie er über den Plänen brütete und dann ein weiteres, gestelltes Bild, auf dem er weit in die ferne Blickte.
Die Heilerinnen hatte sie ebenfalls gezeichnet, denn sie musste noch oft zu ihnen um die Verbände zu wechseln und den Heilungsprozess zu beobachten. Zwar waren ihre Wunden schon recht gut verheilt, rissen aber noch manchmal auf, wenn sie mit Gamling übte.
Sie hatten ihn angesprochen, denn wenn sie schon in einer gefährlichen Welt lebte, wollte sie sich wenigstens verteidigen können.
Er war der Führer der Wachen auf Helms Deich und der Oberste, wenn Erkenbrand nicht da war. Zwar war er schon ein alter Veteran, aber immer noch ein guter und Fähiger Krieger. Von ihm lernte sie den Schwertkampf, auch wenn das Erkenbrand weniger gut fand. Immerhin war sie eine Dame. Doch Gamling schien das wenig zu kümmern und er war ein guter Lehrmeister.
Wenn er sie Unterichtete, waren immer eine kleine Gruppe Zuschauer dabei, die sie anfeuerten und Tipps im Kampf gaben. So wurde Gweneth viel beigebracht und wurde immer geschickter im Umgang mit dem Schwert.
Dadurch hatte sie viel zu tun und ließ sich aber absichtlich keine Zeit, denn dann hätte sie nur an ihre Eltern gedacht und die Gefühle, die sie die ganze Zeit verdrängte wären hervorgebrochen.
Währenddessen gingen die Bauarbeiten gut voran und nach ein paar Wochen war der Graben schon zur Hälfte ausgehoben.
Eines Abends saß sie auf der Brustwehr und beobachtete, wie die Sonne unter ging.  Sie spürte plötzlich jemanden hinter sich und als sie sich umsah, stand Erkenbrand hinter ihr.
„Er ist schön, nicht wahr?“
Meinte er und sah dabei den Sonnenuntergang an.
„Ja… er ist der gleiche wie bei mir daheim.“
Der verbotene Gedanke an ihr Zuhause ließ ihr Herz schmerzen. Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen in Strömen über ihre Wangen.
„Hast du Heimweh?“
Fragte er sanft und lehnte sich neben ihr an die Brustwehr. Sie konnte jedoch nicht antworten sondern nickte nur zaghaft. Doch dann riss sie sich wieder zusammen und verdrängte den Schmerz. Ein paar Mal atmete sie tief ein und bekam sich wieder unter Kontrolle. Energisch wischte sie sich die Tränen weg und versuchte ein Lächeln. Vermutlich sah das weniger fröhlich aus, als sie gehofft hatte, den Erkenbrand sah sie nur noch trauriger an.
„Versuch nicht so stark zu sein, Gweneth.“
Raunte er und nahm ihre Hand in seine. Sanft strich er mit seinem rauen Daumen über ihre zarte, bronzefarbene Haut.
„Jeder darf mal Schwäche zeigen.“
„Ich… ich will aber stark sein! Es gibt momentan wichtigeres, als mein Heimweh.“
Sagte sie mit belegter Stimme. Zaghaft strich sie mit ihren Fingerspitzen über den ledernen Band ihres Buches und ihr viel ein, dass Erkenbrand darin noch nicht verewigt war.
„Komm, ich zeichne dich!“
Meinte sie und packte ihn gerade noch am Kragen, als er versuchte zu fliehen.
„Sie es doch einfach als eine Ehre, dass ich dein Gesicht hier drin verewige!“
Sagte sie und zückte den Kohlestift. Erkenbrand rieb sich die Kehle und lächelte schwach.
„Da du mich anscheinend eh verfolgen würdest, lass ich es halt über mich ergehen… Was soll ich tun?“
„Einfach nicht bewegen.“
Mit einem Seufzer lehnte er sich gegen den kalten Stein und sah hinaus. Er bewegte sich nicht und ihre Hand flog über das reine Papier. Ihre Augen glitten über sein Gesicht. Seine Augenbrauen, die sorgenvollen Augen die weit in der Ferne ruhten, die kantige Nase und das markante Gesicht. Die Sonne versank und tauchte alles ins Zwielicht. Lange standen sie so dar, bis Gweneth nichts mehr erkennen konnte, sie aber sowieso Fertig war.
„Magst du es sehen?“
„Gerne.“
Er erwachte aus seiner Starre und ging zu ihr. Sie drehte ihr Buch so, dass er das Bild im Schein der Fackeln gut sehen konnte.
„Du zeichnest wahrlich gut.“
Murmelte er und betrachtete das fotoähnliche Porträt.
„Danke.“
Sie klappte das Buch geräuschvoll zu und legte es neben sich hin.
„Sag mal… weiß du noch am welchen Tag ich hier her kam?“
„Das müsste der 18. Juli gewesen sein. Wieso fragst du?“
„Ich will nur wissen, wie lange ich schon hier bin.“
„Achso. Also heute ist der 5. Oktober. Dann bist du… mehr als zwei Monat schon hier. „Zweieinhalb Monate.“
„Ja. Und in dieser kurzen Zeit hast du schon so viel bewirkt. Du hast die Männer die Hoffnungslosigkeit genommen in dem du ihnen Arbeit gegeben hast auf die sie stolz sein können. Du bist leoth amdir, das Licht der Hoffnung für uns alle. Und du bist für mich gwathel niebn, meine kleine Schwester.“
Gerührt sah sie ihm die Augen und Tränen schwammen darin.
„Du bist auch ein großer Bruder für mich… In meiner Heimat, war ich stets allein und wünschte mir jemanden wie dich an meiner Seite. Jetzt finde ich dich hier.“
Erkenbrand hielt ihr seine Hand hin und sie nahm sie in ihre. Die andere Hand legte sie auf seine Schulter und sprang hinunter. Er hatte sie an der Hüfte festgehalten und sie landete sanft auf dem Boden. Dann umarmten sie sich wie Geschwister es taten und beide lächelten sich an.
„Weißt du, bei uns gibt es einen Spruch der sagt: wir sind zwar nicht Geschwister im Blut aber im Herzen.“
Erkenbrand lächelte breit und strich ihr über ihre Haare.
„Schwester im Herzen… das könnte mir gefallen.“
Und er lachte leise. Sie grinste zurück und musste ein plötzliches Gähnen unterdrücken.
„Ich glaub ich hau mich aufs Ohr.“
Meinte sie schläfrig und er sah sie seltsam an.
„Aufs Ohr haun?“
Ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht.
„Bei uns heißt das, dass ich mich hinlege und etwas schlaf.“
„Achso! Na dann, wünsch ich dir eine gute Nacht und einen erholsamen Schlaf.“
Lachte er und verwuschelte ihr leicht die Haare.
„Danke!“
Schnell ordnete sie wieder ihre Haare und schritt dann die Treppe hinunter. Sie durchquerte die belebten Innenhöfe und die Hallen. Die Wendeltreppe stieg sie schnell hinauf und in ihrem Zimmer angekommen, entledigte sie sich ihre Kleider und schlüpfte in ihr Nachtgewand. Müde legte sie sich in ihr Bett und starrte an die Decke. Ihre Wunden schmerzten wieder und mit einem gequälten Gesichtsausdruck legte sie ihre Handfläche auf ihre Hüfte.
´Ich sollte es wirklich ruhiger angehen lassen. Meine Wunden sind immer noch nicht ganz verheilt. Ich sollte morgen zu den Heilerinnen gehen.
Vielleicht können die noch ne Salbe oder so was drauf schmieren.
…Daheim wär ich bestimmt noch im Krankenhaus.´
Der Gedanke an ihr Zuhause ließ ihr wieder die Kehle zuschnüren und mit aller Macht versuchte sie wieder das alles zu verdrängen, doch dieses Mal schaffte sie es nicht. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und benetzten ihr weißes Kopfkissen. Ein Zittern lief durch ihren Körper und ihr Herz schien sich schmerzhaft zusammen zu ziehen, als sie an ihre Eltern dachte.
´Sie vermissen mich bestimmt und machen sich Sorgen um mich!´
Bei dem Gedanken daran, schmerzte ihr Herz so sehr, dass sie sich krümmte und ihr ein lautes Wimmern entfuhr. Schnell packte sie ihr Kissen und drückte es auf ihr Gesicht. Niemand sollte ihr Gewimmer und die leisen Schmerzensschreie hören. Schmerzeswellen wallten durch ihren Körper und ließ ihn erzittern. Ihr Gesicht war eine verzweifelte Fratze und sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Erst dann konnte sie sich langsam wieder beruhigen und viel in einen unruhigen Schlaf.

Sie schlug ihre Augen auf und wusste nicht mehr wo sie war. Verwirrt sah sie sich um und erschrak, als kalte, leblose Augen sie ansah. Doch dann erkannte sie, dass die Augen nicht echt waren und sie von Postern herunter sahen. Verwirrt stricht sie über das kühle und glatte Papier der Poster, welche die Wände bedeckten. Sie sah sich um und erkannte einen Schreibtisch, einen Stuhl und ein Sofa. Da wusste sie es plötzlich. Dies war ihr altes Zimmer bei ihren Eltern.
`Wie ist das Möglich? War ich nicht grad in Mittelerde? In Helms Klamm?´
Verwirrt strich sie über ihr wirres Haar und setzte sich vorsichtig auf. Da erst viel ihr auf, dass sie einen Snoopypyjama trug. Er war derselbe, den sie mit sechzehn ständig getragen hatte. Vorsichtig setzte sie ihre nackten Füße auf den Boden und sie fröstelte leicht, als sie ihre Daunendecke zurückschlug. Wankend stand sie auf und ging die Treppe hinunter in das Wohnzimmer. Dort saßen auf dem roten Sofa ihre Eltern und sahen fernsehen. Gweneths Herz machte einen Sprung und vorsichtig tapste sie zu ihnen. Neben dem Sofa machte sie halt und sah auf die beiden herab, wie sie kuschelnd beieinander saßen.
„Mama? Papa?“
Fragte sie zögern und halb erwartend, dass sie sie nicht bemerkten würden.
Doch beide hoben ihren Kopf und lächelten sie an.
„Guten Morgen…Komm her, mein Kind.“
Sagte ihre Mutter voller Liebe und hob ihren Arm. Zuneigung durchflutete sie und mit einem Satz lag sie im Arm ihrer Mutter. Tief atmete sie den wohlvertrauten Geruch ein und sie hörte ein leises Lachen. Eine Hand tätschelte ihren Kopf und sie hob ihn leicht. Ihr Vater betrachtete sie aus liebevollen Augen und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf.
„Hab ihr mich vermisst?“ hauchte Gweneth.
„Du warst doch nie weg.“
Antwortete ihre Mutter und streichelte ihr sanft den Rücken.
„War ich nicht? Hm.. dann muss ich aber einen langen Traum gehabt haben… und er war so real. Dort waren Monster und ein baldiger Krieg… und eine Festung voller Soldaten!“
„Das hört sich alles sehr spannend an.“ sagte ihr Vater
„Aber zum Glück war es nur ein Traum.“
Fügte er hinzu und sah zum Fernseher, in dem gerade Braveheard lief.
„Ja… zum Glück.“
Murmelte sie und leiser Zweifel schien sich in ihr zu regen.
´War es wirklich nur ein Traum? Es schien so real… aber…´
Sie sah auf den Bildschirm und beobachtete abwesend das Szenario.
´Hätte ich nicht… irgendwie…. Glück gehabt dort zu landen? Ist es nicht eher Pech, dass es nur ein Traum war? So aufregend ist es in meiner Welt schon lange nicht mehr… dort konnte ich wirklich was bewirken. Ich hätte Leben retten können. Oder… träum ich jetzt hier gerade? Ich mein… der Schlafanzug, hab ich irgendwann weg gegeben, weil er mir nicht mehr passte… also doch ein Traum?!´
„Mama, Papa?“
„Ja, mein Schatz?“
„Was würdet ihr eigentlich denken, wenn ich ganz plötzlich weg wäre?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ihr Vater sie an und ihre Mutter strich ihr über die Haare.
„Warum solltest du denn plötzlich verschwinden?“
„Keine Ahnung! Ich wurde in… eine fremde Zeit oder so was katapultiert.“
„Tja, wenn du wirklich einfach so weg wärest, würden wir uns große Sorgen machen. Wir hätten Angst, dass dir etwas passiert sein könnte.“
Ein Stein, schwer wie Tonnen landete in ihrem Magen.
„Würdet ihr denken, ich wäre Tod?“
Kurz schien ihre Mutter tief einzuatmen und antwortete schließlich.
„Wahrscheinlich würden uns das die anderen eintrichtern. Doch weißt du, eine Mutter hat eine tiefe Verbindung zu ihrem Kind. Da weiß man dann einfach, wann es noch Hoffnung gibt und wann nicht. Ich werde immer spüren, wenn du lebst und dein Vater vertraut meinem Gefühl.“
Gweneth nickte und die Last wurde leichter.
„Ihr würdet mich also nicht aufgeben?“
„Nein, wir würden dich niemals aufgeben.“
„Dann gebt mich auch nicht auf.“
Murmelte sie und Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
„Ich werde wiederkommen!“
Damit befreite sie sich aus der Umarmung und sah die beiden traurig an.
„Gehst du denn jetzt schon?“
Fragte ihre Mutter und sah leicht enttäuscht drein. Gweneth nickte und ihre Mutter umarmte sie noch einmal fest.
„Komm gesund wieder zurück.“
„Ja! Das werde ich! Versprochen!“
Mit diesen Worten stand sie auf und ging zur Haustür. Ein letztes Mal warf sie einen Blick zurück auf ihre Eltern, die ihr nachsahen. Sehnsucht erfüllte sie, doch sie wurde wo anders dringender gebraucht. Sie öffnete die Tür und ein gleißendes Licht blendete sie plötzlich. Doch mutig schritt sie darauf zu und öffnete die Augen.
Über ihr war eine weiße Felsendecke und sanftes Licht viel durch ein kleines Fenster. Ihr Herz schien noch nie so leicht.

Kapitel 1-10

1

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Kapitel 11-20

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18

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20

Kapitel 21-30

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Kapitel 31-40

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37

38

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Kapitel 41-50

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46

47

48

49

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Kapitel 51-60

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